Populistische Memetik: Eine Analyse symbolischer Gewalt in Social Media

Von Marcel Lemmes | Der vorliegende Artikel untersucht die Konstruktion von sozialen Hierarchisierungen und (Re-)Produktion von Stereotypen im Digitalen am Beispiel von populistischen Internet-Memes in sozialen Medien. Nach begrifflichen Vorüberlegungen zu einer memetischen Praxis und zu Populismus als Konzept zwischen dünner Ideologie und rhetorischer Strategie, werden diese Prozesse mithilfe des Bourdieu’schen Begriffs von symbolischer Gewalt anhand von Fallbeispielen beschreibbar gemacht. Soziales, symbolisches und ein spezifisches memetisches Kapital erweisen sich dabei als zentral.

Visuelle Tropen

Von Hans J. Wulff | Die Idee der Tropen, die ursprünglich aus der antiken Rhetorik stammt und die Ersetzung eines sprachliche Ausdrucks durch einen anderen, nicht-synonymen Ausdruck aus einem anderen Bedeutungsfeld vorsieht, zeigt sich bei der Übertragung auf visuelle Darstellungen als komplex. Dies liegt nicht nur an der anderen Art des referentiellen Bezugs von Bildern im Vergleich zu sprachlichen Zeichen, die konzeptueller und abstrakter sind, sondern auch daran, dass Bilder stets als Kombination verschiedener Elemente (Realia und Strukturen) erscheinen. Selbst eine kurze Betrachtung von Beispielen visueller Repräsentationen zeigt, dass eine Rückführung auf “eigentliche Bedeutungen” (ob inhaltlicher oder formaler Natur) stets auf der Grundlage kulturellen Wissens erfolgen muss. Die dabei angenommenen Bildformen gehören dann zur Phänomenologie kultureller Wissenseinheiten und nicht zur Produktivität der Sprache. Auf der Basis von Modellen aus der linguistischen Semantik und der kognitiven Semiotik wird vorgeschlagen, sogenannte Handlungsrollen als phänotypische Elemente visueller Darstellungen kultureller Einheiten zu erfassen, beispielsweise in der Jazz-Bildgestaltung und der für den Jazz essentiellen Performativität – von Akteursrollen (Solisten, Gruppen, Orchester) über Instrumente und Ortsdarstellungen von Publikum bis hin zu den ursprünglichen und aktuellen Lebenswelten des Jazz.

Transformative Bildlichkeiten in der Wissenschaft Überlegungen zu bildinduzierten Perspektivverschiebungen

Von Axel Philipps | Nach Thomas S. Kuhns Ausführungen verändert sich die Perspektive der Forschung in wissenschaftlichen Revolutionen fundamental. Neue theoretische Annahmen würden nicht nur bis dahin unverständliche Phänomene überzeugend erklären, sie würden auch neuartige Herangehensweisen eröffnen, um wissenschaftliche Probleme und Rätsel zu lösen. In diesem Zusammenhang wurde bisher der Stellenwert des Bildlichen für einen Wechsel der Perspektive kaum untersucht. Der Beitrag unternimmt den Versuch, transformative Bildlichkeiten in der Wissenschaft aufzuspüren, ihre Bedeutung für Perspektivverschiebungen aufzuzeigen und zu erklären, wieso sie weitgehend unthematisiert bleiben. Für meine Überlegungen führe ich in Anlehnung an Hans Blumenberg und Kuhn ein Phasenmodell ein, welches transformative Bildlichkeiten in der Phase der Vorbegrifflichkeit verortet, die wiederum die Phasen der Unbegrifflichkeit und der Begrifflichkeit verbindet. Die unterschiedlichen Phasen und die Charakteristik transformativer Bildlichkeiten werden anhand eines literarischen und zwei historischer Beispiele näher beleuchtet.

Das Topische Bild

Von Swantje Martach | Fühlst du den öffentlichen Raum auch als dich zu einem Aspekt deiner Selbst reduzierend (z.B. zu einer Shopperin in der Mall, oder einer Beobachterin im Café)? Der vorliegende Text sieht den Grund darin, dass heutige Räume Bilder sind, und macht sich auf den Weg, die Ontologie dieser Phänomene, ihre Implikationen für die menschliche Existenz darin, und die Gründe ihres Entstehens zu erkunden. Während also bisherige Bildtheorien sich auf eine Diskussion von Bildern-in-Räumen beschränkten, möchte dieser Text eine neue Art von Bild in den bildtheoretischen Diskurs einführen: Raum-als-Bild. Nach einem Abgrenzen von bildlicher zu narrativer Konzeptualisierung von Raum wird argumentiert, dass Räume einen sogenannten „Bilderdruck“ beinhalten: Räume drängen uns dazu, uns ihren Rahmen anzupassen und konstant bereit zum Bild zu sein, also uns so zu benehmen, als wären wir immer schon im Bild. Als Grund dafür wird der bildliche Raum-Konsum unserer Mitmenschen angeführt, der unsere Aktionen im Raum zu Replikationen von bereits existierenden Bildern jener reduziert. Da Platon einst das Bild als atopoi, also nicht-örtlich und unmöglich zu verorten definierte, wird das hier diskutierte Phänomen provokant als “topisches“ Bild bezeichnet. Jedoch wird diese Bezeichnung nicht einfach nur vorgeschlagen, sondern kritisch diskutiert und seziert um sie auf ihre eigenen Möglichkeiten hin zu dehnen.

Editorial zur IMAGE 39

Sehr geehrte Leser*innen,
die aktuelle, nunmehr 39. Ausgabe der IMAGE, erscheint in enger Zusammenarbeit mit dem Herbert von Halem Verlag. Sie enthält dieses Mal eine bildtheoretische Auseinandersetzung mit dem technologischen Aspekt der Augmentation bzw. der Augmented Reality (AR). Erneut möchten wir allen Beteiligten und ganz besonders dem Herbert von Halem Verlag unseren Dank für die Unterstützung der IMAGE aussprechen. Den geneigten Leser*innen wünschen wir eine anregende Lektüre!

Die Herausgeber*innen der IMAGE
Goda Plaum, Lars Grabbe und Zhuofei Wang

Bild und Augmentation Einleitung

Von Lars C. Grabbe / Manuel van der Veen | Die Augmented Reality ist bildtheoretisch gesprochen ein Modus der Erweiterung von digitalen Bildern, wobei hier entweder das Digitale als ein Super­additum des Wirklichen gilt oder aber das Virtuelle selbst durch Hinzufügen von physikalischen Interfaces und Interpositionen als augmentiert erscheint (vgl. Milgram et al. 1994). Bildtheoretisch notwendig erscheint die Frage, im Spannungsfeld von Augmented Reality und Augmented Virtuality, wie sich die Erweiterung als eine Frage des Bildes oder des Bildverstehens analytisch fassen und bestimmen lässt. Die Augmentation stellt neben den Begriffen der Extension und der Expansion eine Erweiterung, Ausdehnung, eine Fortsetzung, Verlängerung oder sensorische Kontagierung (vgl. Grabbe 2024) des Bildlichen in Aussicht. Eine Ausweitung der Realitätszone wird somit auf die Übertragung bestimmter Wirklichkeitseigenschaften in einen anderen Bereich hindeuten. Die unidirektionale Erweiterungsmetaphorik der Realität verunsichert gleichzeitig das Geschehen und fordert zu einer genaueren Bestimmung einer Augmented Virtuality heraus. Welche Bereiche treffen aufeinander? In welche Richtung, wo und wie finden die Übergänge statt? Zusammen mit der Augmentation erscheint somit das große X der Crossed Realities (Dresscher/Verhoeff 2020) an deren Schnittmengen, die Frage nach dem Bild zu stellen ist. Der Sammelband rückt daher explizit verschiedene Art und Weisen des Übergangs in den Fokus.

Schnittstellen Figurationen der Erweiterung und des Übergangs in Intarsien

Von Maja-Lisa Müller | Während augmentierte Bilder zumeist mit digitalen Bildern und deren Praktiken verbunden werden, möchte dieser Beitrag das Spektrum der untersuchten Gegenstände um die vormodernen Bildgefüge der Intarsien erweitern. Intarsien oder Holzeinlegearbeiten erweisen sich als Hybride aus Bildern, Möbeln und Architekturen und als Objekte, die die jeweiligen Grenzen und Übergänge thematisieren und durch einen Exzess an Rahmungsstrukturen überhaupt erst produzieren. Ziel des Beitrages ist es, aus einer Analyse der Motive, räumlichen Bezüge sowie der (Bild-)Praktiken der Intarsien Schlüsse auf augmentierte Bilder in einem breiteren Rahmen zu schließen.

Augmentierende Bilder Zu bildlichen Erscheinungsweisen in Augmented Reality

Von Niklas Fabian Becker | Der Artikel skizziert zunächst tradierte und doch viel diskutierte Konzepte wie Illusion und Immersion aus bildphänomenologischer Perspektive und unter Einbezug bildtheoretischer und medienphilosophischer Diskurse der 1990er-Jahre zu Simulation und Virtualität bzw. ‚virtuellen Realitäten‘. Anschließend werden vor diesem Hintergrund sowie der Kontrastfolie der Virtual Reality bildliche Erscheinungsweisen von Phänomenen der Augmented Reality diskutiert, wobei neben ihren technologischen Bedingungen die Leiblichkeit des bilderlebenden Subjekts in den Fokus rückt.

Epistemologien der Kunst in Augmentierter Realität und Virtualität: Ein Spekulativ-Komparativer Ansatz

Von Swantje Martach | Das vorliegende Paper befasst sich mit dem konzeptionellen Unterschied zwischen der Kunst, die im Bereich der Augmentierten Realität (AR) betrieben wird, und jener Kunst, die im Bereich der Augmentierten Virtualität (AV) betrieben werden wird. Zu diesem Zwecke wird die Distinktion von „Objekt“ und „Raum“ zu Rate gezogen, welche im epistemologischen Sinne als „Fokus“ und „Feld“ umgedeutet wird. Dies erlaubt die Erkenntnis, dass in der AR-Kunst die übliche Hierarchie bestehen bleibt: Der Fokus ist das Kunstwerk, das Feld bleibt der Rahmen. Dahingegen dreht die AV-Kunst eben jene Hierarchie um: Hier wird das Feld zur Kunst, und der Fokus zum Rahmen. Daher bedarf AV-Kunst eine gänzlich andere kunsttheoretische Analyse, für welche die Tradition des objet trouvé als sinnig postuliert wird.

AR als Relationale Intervention Dynamiken ästhetischer Aushandlung zwischen Medientechnologie, Nutzenden und Umwelten

Von Jens Fehrenbacher | Augmented-Reality Anwendungen stiften Beziehungen: Sie bauen darauf auf, dass sowohl die physische Umgebung als auch die Bewegung der Nutzenden analysiert und in Relation zueinander gesetzt werden. Damit eine optische Augmentierung den Eindruck erweckt, fest in einer physischen Umgebung verankert zu sein, ist eine komplexe algorithmische Verarbeitung des Kamerabildes und der internen Sensorik vonnöten. Während diese vielschichtige Beziehungsarbeit häufig ausgeblendet wird, lässt sich anhand von künstlerischen Experimenten zeigen, inwiefern der Nutzung von AR stets auch ein Moment des Sich-in-Beziehung-Setzen innewohnt. AR kann in damit in (öffentliche) Räume intervenieren und zum Anstoß für Aushandlungsprozesse in physischen, sozialen und technischen Umgebungen werden.