Dada-Montage: kontingent und komplex unter dem Einfluß Nietzsches

Von Hanne Bergius[1]

Abstract

Zwischen 1916 und 1922 lösten kleine Gruppen von europäischen Dadaist*innen eine Kultur-Revolte über ihre nationalen Grenzen hinweg aus – angesichts gesellschaftlicher, politischer, medialer und industrieller Umbrüche und erschütternder Erfahrungen seit dem Ersten Weltkrieg. In diesem krisengeschüttelten Raum zwischen einer untergehenden und einer noch nicht absehbaren neuen Welt reagierte die Dada-Bewegung mit einer radikalen Skepsis, indem sie die Künste gleich Narrenschiffe aufs offene Meer der Moderne setzte – schwankend zwischen „Allem” und „Nichts”. Kontingenz und Komplexität wurden als sich bedingende ästhetische sowie dadasophische Kategorien der offenen Montageprozesse wahrgenommen – vom Fragment bis zum Entwurf eines „direkten negativen Gesamtkunstwerks” (Marquard 1983). In Grotesk-Verfahren sollten die Dadaist*innen ihr „Spiel mit den schäbigen Überbleibseln” (Ball) als sublimen Heroismus der Moderne allegorisieren und inszenieren. Wie Nietzsches Kunst- und Lebensphilosophie die Künstler*innen durch einen produktiven Nihilismus auf die „gesamte brutale Realität” (Huelsenbeck) einzustellen vermochte, wird im Folgenden in der Gewinnung eines umwälzenden Verhältnisses zwischen Kunst und „Leben” sowie zwischen Kunst und den Ingenieur- und Naturwissenschaften aufgezeigt. Eine „polar ambivalente” Dadasophie prägte mit einer „Balancierfähigkeit in Widersprüchen” die dionyisch-apollinischen Interaktivitäten der dadaistischen Werke (Hausmann 1982).

Between 1916 and 1922, small groups of European Dadaists sparked a cultural revolt across their national borders – in the face of social, political, media and industrial upheavals and harrowing experiences since the First World War. In this crisis-ridden space between a declining world and an as yet unforeseeable new world, the Dada movement reacted with radical skepticism by setting the arts on the open sea of modernity like ships of fools – wavering between “everything” and “nothing”. Contingency and complexity were perceived as interdependent aesthetic and Dadasophical categories of the open montage-processes – from the fragment to the draft of a “direct negative Gesamtkunstwerk” (Marquard 1983). In their grotesque procedures, the Dadaists allegorized and performed their “play with the shabby leftovers”(Ball) as the sublime heroism of modernity. How Nietzsche’s philosophy of art and life enabled the Dadaists to perceive the “entire brutal reality” (Huelsenbeck) through a productive nihilism is explained in a revolting relationship between art and “life” as well as between art and the engineering and natural sciences. A “polar ambivalent” Dadasophy with an “ability to balance in contradictions” shaped the Dionysian-Apollonian interactivities of the Dadaist products (Hausmann 1982).

1. Ein großes Ja und ein großes Nein

Seit der Gründung vom Cabaret Voltaire in der Zürcher Spiegelgasse 1916 bezogen sich die Dadaist*innen[2] auf den nietzscheanisch geprägten Typus des „Künstler-Philosophen” als „Erkennendem und Schaffendem”.[3] Herausgefordert vom Untergang der „tausendjährigen” Kultur durch den Ersten Weltkrieg, die Industrialisierung und die „Massenschichtung der Bevölkerung” deklarierte Hugo Ball 1917 in der Galerie Dada die Künstler*innen zu “Vorläufern, Propheten einer neuen Zeit […]. Ihre Werke tönen in einer nur erst ihnen bekannten Sprache […] Ihre Werke philosophieren, politisieren, prophezeien zugleich […] Man versteht sie nicht, wenn man an Gott glaubt statt an das Chaos. Die Künstler in dieser Zeit wenden sich gegen sich selbst und gegen die Kunst.” (BALL 1917/ 1984: 43).

In diesem Sinne bezeichnete sich der Berliner Dadaist Raoul Hausmann 1919 als „Dadasoph”.[4] In Dada siegt betonte Richard Huelsenbeck 1920 die umfassende Kenntnis der Dadaist*innen von Nietzsches Philosophie (Huelsenbeck 1920/2012: 80); dies gilt vor allem für Hugo Ball, der Nietzsche in Basel: Eine Streit­schrift (1909/10) verfasste. Durch seine Abhandlungen Friedrich Nietzsche. Eine intellektuale Biographie (1911) und Schöpferische Indifferenz (1918) spielte der Philosoph Salomo Friedlaender/Mynona im Berliner Dadaismus eine besondere Rolle.

Indem die Dada-Künste die Schrecken der Zeit in ein „Narrenspiel aus dem Nichts” umwerteten, „in das alle höheren Fragen verwickelt” (BALL 1946: 91) waren, schickten sie nicht nur „alle metaphysische Trösterei zum Teufel” (KSA 1: 22), sondern bezogen sich umfassend auf Nietzsches „Ja-sagen zum Leben selbst noch in seinen fremdesten und härtesten Problemen” (KSA 6: 160). So verband sich das dadaistische „Ja zum gigantischen Weltenunsinn” (Grosz 1920: o.S.) illusionslos und ernüchtert mit der Devise „Hinein in den Schutt” (Grosz 1917/ 1979: 54), was nicht bedeutete „imperialistische Kriege” zu befürworten, päzi­sierte Otto Dix, sondern das Leben als sich selbst behauptende komplexe Vital-Kraft wahrzunehmen, in der man sich bewährte (Dix 1985: 289). So löste Dada mitten in der Gesellschaft gegen diese offene literarische und künstlerische Verfahren aus, die in deren zerbrochenen Spiegel tief zu schauen vermochten. Indem sie Gewissheiten auflösten, ‚Hässlichkeiten’ zuließen, Relativitäten und Mehrdeutigkeiten offenbarten, gleicherweise das Unwägbare und Zufällige, das Dezentrierende und Bodenlose radikalisierten, entfesselten sie eine grundlegende Revision der bisherigen Künste.Tristan Tzara bezeichnete Dadas Revolte als „point où le oui et le non se rencontrent, non pas solennellement dans les châteaux des philisophies humaines, mais tout simplement au coin des rues comme les chiens et les sauterelles” (Tzara 1922/1975: 424).

Zerstörung als Schöpfungsakt — das verband die dadaistische Revolte mit der bedingungslosen „Härte” von Nietzsches „Umwertung aller Werte”: „Und wenn eure Härte nicht blitzen und schneiden und zerschneiden will: wie könntet ihr einst mit mir – schaffen?” forderte er in Götzen-Dämmerung (1889) (KSA 6: 161). ‚Nichts’ sollte den Schneideprozessen der Dadaisten entgehen. Die erstarrten, manipulierten Lebens-, Denk- und Wahrnehmungsweisen ihrer Zeitgenoss*innen wurden in den Dada-Verfahren der Collagen, Fotomontagen, Assemblagen sowie der literarischen Produktionen der Grotesken und Satiren Verfremdungsstrategien unterzogen, die Nietzsche schon dem „freigewordenen Intellekt” zuschrieb, der mit „verwegensten Kunststücken” „jenes ungeheure Gebälk und Bretterwerk der Begriffe” „zerschlägt, durcheinanderwirft, ironisch wieder zusammensetzt, das Fremdeste paarend und das Nächste trennend” (KSA 1: 888). Sinnverlust wie Sinnverzicht, Sinnstörungen wie Sinnzersetzungen erfassten dergestalt die divergierenden dadaistischen Schneide-Montage-Prozesse von Wort- und Bildproduktionen ihrer Zeit. Diese Umwertungsprozesse der Künste richteten sich gegen idealistische Sublimationstheorien, eskapistische „Wolkenwanderertendenzen der sogenannten heiligen Kunst” (Grosz/Herzfelde 1925: 22), expressionistische Untergangsängste wie futuristische Technikeuphorien und grundlegend gegen die nationalistischen Ideologien einer „christlich-bürgerlichen Welt” und ihre imperialistische Kriegstheologie. „Die Lächerlichkeit und Sinnlosigkeit ihres geistigen und sozialen Mechanismus” (Hausmann 1920/1982: 112) sollte schonungslos aufgedeckt werden, umso mehr, da die alten nationalkonservativen Kräfte als Vorboten eines faschistischen Terrors, als „Zuhälter des Todes” (Grosz)[5], im demokratischen Aufbruch der Weimarer Republik der Zwanzigerjahre weiter wirkten.

Peter Sloterdijk attestierte in Kritik der zynischen Vernunft 1983 den Dadaisten daher, dass sie „nach Nietzsche wieder die ersten” gewesen seien, die die „Wie­der­kehr des Verdrängten von einer positiven Seite” aufzunehmen suchten und sich bewußt geistesgegenwärtig vom Gegebenen treiben ließen (Sloterdijk 1982: 174). Und Walter Benjamin hob schon hervor, dass „die revolutionäre Stärke Dadas” darin bestand, die Künste auf ihre „Authentizität” hin zu überprüfen, da sie wieder Lebensnähe mit kleinsten Schnipseln des Alltags zuließen (Benjamin 1934/1991: 692). Dadaistische „Authentizität” war jedoch kein stabiles Produkt, sondern musste erst gegen Widerstände immer wieder neu heraus­gefordert werden – und sei es experimentell im Tanz als Akt und Konzept.

Alle Dadaist*innen zeigten sich inspiriert von der lebensbejahenden Nietz­scheanisch inspirierten Bedeutung des Tanzes als Sinnbild einer „göttlichen Leichtigkeit, Leichtfertigkeit im Schwersten, aus der auch der höchste Schmerz nicht abgerechnet werden kann” (KSA 13: 497).

Dadaistischer Tanz fand sowohl in Grotesk-, Stepp-, Masken- und Ausdrucks-Performances statt als auch in artistischen Transformationen von Wort und Bild – nicht nur um das bürgerliche Sitzfleisch als „die eigentliche Sünde wider den heiligen Geist” (KSA 6: 281) aufs Korn zu nehmen, sondern auch um gleich Zarathustra als Tänzer und Wanderer die künstlerischen Verfahren selbst in Bewegung zu halten, immer auf der Hut, dass sich nichts festsetzte: „Nicht nur mit den Füssen tanzen zu können, sondern auch mit den Begriffen, mit den Worten…auch mit der Feder,” forderte Nietzsche (KSA 6:110), der Mann mit den „fröhlichen Eingeweiden” (Hausmann). Dadas Kunst-Produktion entsprang so der freien Bewegung, einem nomadischen Unterwegssein und prägte die Ausdrucks- und Darstellungsformen durch das Sprunghafte, das Unterbrochene, Abgebrochene, den Aufbruch, das Umherschweifen, Assoziieren, die plötzliche Nähe, die beobachtende Distanz, den Zufall, die Multiperspektivität. Nicht über Etwas schaffen, sondern selbst das Etwas im Schaffen werden, das war die artistische Intention von Dadas Erzeugnissen, die nicht beim fertigen Produkt stehen blieben.

Durch sinnentgrenzende Verfahren wurden Freiheiten mit tänzerischem Geist bis zur Absurdität, „Ohne”-Sinn (Arp) und Unsinn beschworen. „Die Gegenwart ist […] nur noch assoziativ vorhanden […] der gestaltende Geist kann mit dieser Zeit beginnen, was ihm beliebt. Sie ist in ihrer ganzen Ausdehnung Freigut, Materie” (Ball 1946: 83).

Die Berliner Dadaistin Hannah Höch verwandelte den Tanz Zarathustras in eine graziös schwerelose Allegorie im Zentrum der grotesken Mensch-Montagen mit Zitaten aus Politik, Club Dada, Massenveranstaltungen und Naturwissenschaft in Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauch­kultur-Epoche Deutschlands (1919/20): Die Pirouetten drehende kopflose Tänzerin – als Pritzel-Puppe verkleidet – warf den Kopf der Käthe Kollwitz gleich einem Ball in die Höhe und ‚contrebalancierte’ auf diese Weise als „Waghalter der Welt” (Friedlaender 1915) mit artistischer Leichtigkeit jenen Geist der Schwere der sozial-politisch engagierten Anti-Kriegskünstlerin Käthe Kollwitz.[6]

Wie der Tanz so ermöglichte auch das Lachen Dadas eine Steigerung der Lebens­bejahung, um zugleich die gegenwärtige Realität und Kultur scharf zu kritisieren. „Aristophanische Welt-Verspottung” (KSA 5:157; Dada Almanach 1920: 7) sowie dadaistisches „Wahrlachen” (vgl. KSA 4; 366) prägten die satirischen, grotesken, parodierenden, absurden Strategien und montierenden Verfremdungsverfahren der Dada-Werke. Mit anarchischer Konfrontationslust sollte das Tragische des Kulturuntergangs lachend exekutiert werden, um das Konventionelle zu sezieren, Absurditäten zu diagnostizieren, die Grenzen der Vernunft bloßzustellen und das Unvereinbare herauszustreichen.

In diesen entregelnden Prozessen wurde die dadaistische Rezeption des hellsichtigen Nietzsche verarbeitet, sein Konzept einer „andren Kunst” – „einer spöttischen, leichten, flüchtigen, göttlich unbehelligten, göttlich künstlichen Kunst” (KSA 3: 351). Damit sollte sich Dada von der verbreiteten bildungsbürgerlichen Nietzsche-Überhöhung seiner Zeit absetzen. Anstatt der „komischen Selbsttäuschung als Überallesmenschen” zu verfallen, hätten die Nietzsche-Rezipienten nach Raoul Hausmann auch die Möglichkeit gehabt, aufgeklärter – „romanischer, gesünder, dadaistischer” – zu werden (Hausmann 1982: 157). Für Hugo Ball schwang Nietzsche in Deutschland erstmals die „Voltairesche Geißel”, weshalb er die bürgerlichen Bildungs- und Kunstideale im dadaistischen Cabaret Voltaire als „Candide gegen die Zeit” der Lächerlichkeit preisgab (Ball 1970: 162).

2. Artistik von Polaritäten

Dadas Strategie des gleichzeitigen Ja und Nein, seine lachende und tanzende Selbstermächtigung ist im komplexen Zusammenhang der „polar-ambivalente” Dadasophie wahrzunehmen (Hausmann 1982: 80). Nach Nietzsche war die „Zugänglichkeit zum Entgegengesetzten als die höchste Art alles Seienden” zu beurteilen (KSA 6: 344). Sie war wesentlich von den dionysisch-apollinischen Gegensätzlichkeiten geprägt, die er 1872 in „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik” als Grundkonflikt der Kultur erkannte (KSA 1), weshalb Beat Wyss das attische Tragödienprojekt als „erstes Manifest der klassischen Moderne” in Der Wille zur Kunst bezeichnet (Wyss 1996: 27). Das Dionysische, wahrgenommen als rauschhafte Enthemmung unterdrückter Natur, wirksam in Tanz und Musik, als Urkraft des Lebens, des „Chaos”, von dem der „höchste Schmerz”, der Ur­grund des Leidens als tragisch dionysischer Zustand nicht abgerechnet werden kann; das Apollinische im Gegensatz dazu wahrgenommen als maßvolle, ordnende, visionäre Klarheit des Geistes, „weisheitsvolle Ruhe” und als Gegenspie­ler zum Dionysischen idealiter frei von „wilderen Regungen” und strukturge­bend als Vision des Sehens, Verknüpfens, Dichtens, Bildens (KSA 1: 40; 28).[7] Schöpferisch wirksam konnten diese Gegensätzlichkeiten Nietzsche zufolge jedoch nur werden, wenn sie in einem ständigen Prozess „wechselseitiger Proportionen” aufeinander bezogen wurden, denn nur dann gewährleistete ihre „Duplicität” die „Fortentwicklung der Kultur” (KSA 1: 25).

Dada erzeugte in Analogie zu den „zweier ineinander gewobenen Kunsttrieben” des Tragödienprojektes (KSA 1: 82) eine simultane „Konstrastverschlungenheit des unaufhörlich beweglich gestalteten Gesamterlebens” (Hausmann 1982a:37). Ein „wildes Bündel von Widersprüchen und Gegensätzen” (Huelsenbeck 1920/2012: 355) relativierte und dekonstruierte in gleichzeitigen Konfrontationen jede Hierarchie und hielt zugleich „gerade durch die innere Gegensätzlichkeit” alles komplex zusammen (Ebd.). Zugrunde lag jener dadaistisch wirbelnden Konfliktbereitschaft und Komplexitätslust die auratische lebensbejahende Dimension des „Ewigen Wiederkunft-Gedankens” (KSA 6: 333). Als „Hopsassa des Immergleichen” (Hausmann 1982:168) wurde das zyklische Weltbild Nietzsches oftmals in Rad-Motiven visualisiert und poetisiert.

Die Künstler-Philosoph:innen Dadas wurden durch das polarisierende Konzept dazu inspiriert, die kontingente Erfahrung der fragmentierten, aus den Fugen geratenen Welt in die komplexe „Identität des gesamten Seins mit allen seinen Widersprüchen” umzuwerten und „hinter einem Schleier von Lachen und Ironie noch das magisch Unerklärbare, dessen man nicht Herr werden kann, ahnen” zu lassen (Hausmann 1982: 170) – eine „Identität”, die „polar ambivalent” in Gegenläufigkeiten gestaltet wurde und bis in den Surrealismus hinein wirkte: „Die Identität wird konvulsiv sein – oder sie wird nicht sein.” (Ernst 1936/1991: 314).

Bedeutung erhielt in diesem Zusammenhang die philosophische Abhandlung zur „schöpferischen Indifferenz” (1918) von Salomo Friedlaender. In seiner Philosophie des nie endenden schöpferischen Weltausgleichs von sich polar entfaltenden Welt-Differenzen bezog er sich anlässlich seiner Studie Friedrich
Nietzsche. Eine intellektuale Biographie
explizit auf dionysisch-apollinische Gegensätze – „zwischen Mächten […], die das Leben eher zerreissen als zu vereinigen scheinen. Eine spannendere Indifferenz kann es nicht geben” (Friedlaender 1911: 27).

Dieser Spannungsbogen forderte die dadaistische „Balancierfähigkeit in Widersprüchen” (Hausmann 1972: 27) heraus. Doch im Unterschied zu Friedla­enders indifferenzierendem Ausgleich der Pole betonte Dada die Ambivalenz der polaren Verhältnisse: Im lachenden Ernst seines Spiels agierte der Dadaist als anarchischer Chaotologe u n d ironischer Dandy zugleich – „unberührt und doch erschüttert bis zum Grunde seines Denkens und Fühlens” (Huelsenbeck 1985: 302). Dada war auf Konfrontation und Kollision von Polaritäten aus, wie Theo van Doesburg erkannte: „Der Indifferenzpunkt ist nicht Schlichter zwischen a und z, er ist az …und stellt die Gegenstücke nebeneinander” (Merz 1: 7). Damit sollte sich Dada auch von Doesburgs harmonisierenden Gleichgewichtsstudien seines De Stijl-Konstruktivismus ebenso unterscheiden. „Gefährlich” war „nur eine unentschiedene Mischung” (Hausmann 1982: 147). Sie drohte, wenn die apollinischen Kräfte die dionysischen bis zur Erstarrung mechanisierten und wenn die dionysischen Kräfte zügellos ekstatisch explodierten, ohne Gegenkraft des Apollinischen.

Es wäre ein „Glück für die Wirksamkeit der Wahrheit”, wenn sie „ihre echte Gegnerschaft” entdeckte und wie „eine neue Aussaat” das traditionelle Denken in Polaritäten neu „erblühen” ließe – so Friedlaender (Friedalender 1911: 29; 1918: 7).[8] Auf diese Weise sollte das Konzept der polar aufeinander bezogenen dionysisch-apollinischen Werkphasen Dadas wirkungsvoll Funken schlagen. Wie bedingten sich nun die „polar-ambivalenten” kontingent – komplexen Gestaltungsverfahren?

3. Dionysische Artistenchaotologie

In der 1916 einsetzenden dionysisch dominierten Werkphase inspirierte Nietzsche die Dadaist*innen, die Kunst „unter der Optik des Lebens” (KSA 1: 14) zu gestalten – als „die große Ermöglicherin des Lebens, die große Verführerin zum Leben, das große Stimulans des Lebens” (KSA 13: 521). Mit radikaler „Hemmungslosigkeit” (Höch 1989: 219) wurden Wort und Bild aus kultur-ideologischer Verkapselung befreit und öffneten sich für „das Leben” – inhaltlich und medial: für Zufälliges, Nebensächliches und Abseitiges, für die materielle Kultur des Alltags: von „Faulendstem und Abstoßendstem” (Schwitters) bis zu modernen Medien, insbesondere für fotografische Reproduktionen, sowie Sammlerstücke indiginer Kulturen. Alle Dadaist*innen experimentierten mit ihrem Status als Produzenten und Performer und entzogen gleicherweise ihren Werken den Status eines Kunstwerkes, indem sie mit kunstindifferenten Materialien und Medien den hermetischen Werkcharakter sprengten und vielfach durch die intermediären Montageverfahren und offensiven Zitiertaktiken eine Lingualisierung des Bildes wie eine Ikonisierung der Sprache erschlossen. Vom Fragment bis zu einem ‚direkten negativen Gesamtkunstwerk’ (Marquard 1983: 45/46) öffneten sich die Künste nicht nur in einem sich gegenseitig inspirierenden Zusammenspiel, sondern erweiterten es um die Gewinnung des „Leben”. In den Werken wurden die Kollisionen von kulturell und politisch relevanten Gegensätzlichkeiten offen und simultan exponiert: beispielsweise die spannungsreichen Gegensätze zwischen Menschen und Maschine, zwischen Proletarier und Kapitalist, zwischen High and Low culture – letztlich zwischen Intellekt und Körper. Das traditionell antipodisch gedeutete Geschlechterverhältnis forderte besonders Dadas polar-ambivalentes Konzept heraus: Die dynamische „Kontrastverschlungenheit” vermochte höchst unterschiedliche Konstellationen, Kollisionen, Mischverhältnisse und Spannungsgrade zu erzeugen. Grausame lustmordende Gewaltakte, unterkühlte Entfremdungen, androgyne Spielarten, Dekonstruktionen von weiblichen und männlichen Rollenklischees, Emanzipationsansprüche entgrenzten die sozialen und kulturellen Geschlechternormen und –projektionen, um die polyvalenten kreativen Möglichkeiten „schrankenloser Freiheit” (Höch) zu demonstrieren.

Die Skala der „Erzeugnisse” reichte vom Elementarschrei des Einzelnen bis zu Kollektivarbeiten. Laut- und Simultangedichte, Collagen, Assemblagen und Fotomontagen und das breite Spektrum performativer Künste und politischer Aktionen sowie die offen konzipierten Ausstellungen kennzeichneten die ambivalente Artistik von Polaritäten. Dada politisierte, aktualisierte, ästhetisierte die Welt mehrdimensional gleich einem herakliteischen „Mischkrug, der beständig umgerührt werden muß. Aus dem Krieg des Entgegengesetzten entsteht alles Werden” (KSA 1: 825). Die Dinge erscheinen nicht nur gesellschafts- und kulturpolitisch definiert, sondern die Geschichte scheint ein fortwährendes Konfliktfeld von kontingenten, unvorhersehbaren Ereignissen zu sein, die über sie hinausweisen.

Die entregelnden Mischungsverhältnisse Dadas erzielten ihre genreübergreifende Wirkung durch die apollinische Schlagkraft einer Form der Formlosigkeit, die der „Verschlingung aller Gegensätze und aller Widersprüche, der Grotesken und Inkonsequenzen” (Tzara 1920: 131) ästhetisch durch eine komplexe simultane Kumulation der jeweiligen Materalien und Zitate zu entspre­chen vermochte.

Abb. 1: Hausmann, Raoul: Dada Cino (Dada im gewöhnlichen Leben), 1920. Montage aus Fotoreproduktionen und Schriftfragmenten, 31,7 x 22,5 cm. Bez.u.Mitte und handschrftilicher Widmung an Kurt Schwitters, 9. April 1921.Privatbesitz Bildrecht: Berlinische Galerie Museum für Moderne Kunst, Berlin

In der Fotomontage „Dada Cino (Dada im gewöhnlichen Leben)” (1920)[9] (Abb. 1) verdichtete Hausmann exemplarisch die dionysisch-apollinische Artistik sowohl in der Reflexion auf das Medium selbst als „statischer Film” mit seiner bewegt-fixierten Mischung aus Textfragmenten und fotografischen Zitaten (Hausmann 1982j, S.130) als auch in den unabschließbaren Sinnverweisungen der kumulierenden Widersprüchlichkeiten der Zitate – einem Embryo, einem umgebauten Panzer, dem Woolworth Wolkenkratzer, einer Schlittschuhläufe­rin, einem männlichen Modell, Fotoporträts der Freunde, Zitate wie „Vera Shoe”, „Dada siegt”, „Cannibale” (Titel des Dada Magazins, ed. Picabia, Paris April 1920).

Besonders in der Großstadt wurde die widersprüchliche lebensnahe Mischung erfahren. Aus dem Chaos des „beschmierten Paradieses” (Grosz 1917/1979: 54) schöpften die Dadaisten die stimulierenden und exaltierenden Reize ihrer sozial- und kulturkritisch revoltierenden Werke und Montagen, die eine im Übergang sich bewegende Welt beschworen. Die Hoch-Zeit in der „Stunde des Mittags” (KSA 4: 342-345) verkehrten Grosz und Heartfield in den abgründigen Katastrophenrausch von „Leben und Treiben in Universal City um 12 Uhr 5 mittags”[10], den sie in der amerikanisierten elektrischen Helle der New Yorker Großstadtwelt gesteigert vermuteten. Hier offennbarte sich das nietzscheanisch geprägte „rätselhafte X” (KSA 1: 879) eines tragisch-dionysischen Geschehens als „gänzliche Unbeständigkeit alles Wirklichen, das fortwährend nur wirkt und wird und nicht ist” (KSA 1: 824).

Abb. 2: Kurt Schwitters: Merzbau, Hannover 1933 , Photo: Wilhelm Redemann. Bildrecht: Sprengel Museum, Hannover

Als einen sich stetig verändernden Selbstentwurf, der nah am dionysischen Lebensgrund des Werdens und Vergehens geschaffen wurde – daher „unfertig aus Prinzip” (Schwitters 1931: 115) –, können wir in Schwitters gesamtkünstle­risch angelegtem „Merzbau” (1919-1937) (Abb. 2) als einen von Nietzsche inspi­rierten Höhlenturm wahrnehmen. Das groteske Crossover von Materialien und Sinnebenen entsprach dem Nietzscheanischen „Ideal eines Geistes”, „das (…) aus überströmender Fülle und Mächtigkeit mit allem spielt, was bisher heilig, gut, unberührbar, göttlich hiess” (KSA 1: 637). Während Zarathustra weit ab von der Zivilisation in der zeitlosen Bergeinsamkeit auf höchsten Höhen und zugleich in der Tiefe einer Höhle Flügel der Erkenntnis wuchsen, bevorzugte Schwitters für seinen „Merzbau” das Haus seiner Eltern in der Waldhausenstrasse in Hannover mitten in dem sich ständig regenerierenden anarchischen Zeichensystem massenmedialer Prägungen und gesammelter Dinge, die Spuren der Zeit in Gestalt mehrerer Zeitschichten verdichteten. „Alles” schien dem Werde- und Zerstörungsprozess des wachsenden „Merzbaus” untergeordnet, der auch über „die Leiche des Gegenstandes” (Schwitters 1931: 115) hinweggehen konnte – beispielsweise über die humorvoll gewählten Fetische von Schwitters Freund*innen: der dicke Bleistift von Mies van der Rohe, der Schlüssel und das Rezept von Dr. Steinitz, der abgeschnittene Schlips von van Doesburg, das Bordell mit drei Beinen von Hannah Höch – ebenso wie über verschlisssene Grotesk-Materialien von Kulturgütern und -mythen von Goethe und Luther, den Nibelungen und dem Kyffhäuser, dem Großherzogtum Braunschweig-Lüneburg und dem Ruhrgebiet. Im Zusammenspiel von Kontingenz und Komplexität überlagerte Schwitters gleich einem Bewusstseinsstrom Spuren von Eindrücken, Erlebnissen und Erinnerungen und materialisierte sie unter anderem mit collagierter Persilreklame, Kamel-Losung, einer halb gerauchten Zigarette, mit dem „Bein Goethes”, um jede Überhöhung ins Groteske zu kippen, so geschehen vor allem in der „Lustmordhöhle”, der „Grotte der Liebe”, dem Zentrum von seiner „Kathedrale des erotischen Elends”(KdeE).[11]

Indem die Lebens-Zeit von Schwitters sich je nach Erlebnissen und Erfahrungen räumlich im organischen Bauprozess der gefundenen Materalien auszudehnen vermochte, verweigerte der „Merzbau” jede architektonische Funktiona­lisierung und Gesetzmäßigkeit. Es galt im nietzscheanischen Sinn „ein Werden und Vergehen, ein Bauen und Zerstören ohne jegliche moralische Zurechnung, in ewig gleicher Unschuld” (KSA 1: 830). Das Architektonische mußte erst hinter sich zu einem Stadium zurückkehren, wo die Dinge und Begriffe noch im Fluss waren. Auf diesen Fluss des Werdens seiner dionysisch inspirierten Intuition setzte Schwitters nicht nur den „Merzbau”, sondern auch die Elemente der Sprache, ihre Konsonanten und Vokale. In der „Ursonate”, die zwischen 1922 und 1932 entstand (Schwitters 1932), komponierte er eine Klang-Laut-Partitur und betonte, dass sie nach dem übergeordneten Prinzip „durch Wertung im Rhythmus” (Schwitters 1931: 114) entstand – inspiriert von dem Zufallsprinzip des Lautgedichtes „fmbsbw” (1918) von Hausmann. Wir können vermuten, dass die Stalagmiten und Stalaktiten des „Merzbaus” die Klangwelten der „Urso­nate” zu „krystallisieren” vermochten (vgl. KSA 2: 435). Diese beiden Hauptwerke fügen sich symbiotisch in das „Merz”-Konzept von Schwitters. Ihm war daran gelegen, dass “zum Schluß das ganze Leben mit allem Wollen ganz dasteht […] Ich habe nichts zu verbergen.” (Schmalenbach 1984: 78) Der Merzbau entsprach exemplarisch dem sich bedingenden kontingent – komplexen Prozess eines „direkten negativen Gesamtkunstwerks” (vgl. Marquard 1983: 45/46).

Wie pauperistische Kunstkammern sollten auch die Dada-Ausstellungen, insbesondere die „Erste Internationale Dada Messe” (Berlin, 1920), wirken, in denen ‚Vollendetes’ neben Unvollendetem, Original neben Reproduktion,Text neben Montagen präsentiert wurden und sich Collagen, Fotomontagen und Assemblagen, Manichini und Krüppelversionen mit Großfotografien, Druckgraphiken, Ölgemälden, Aquarellen, Flugblättern, Reklamezetteln, Mappen­werken, mechanischen Arbeiten mischten. Sie allegorisierten ein gattungs- und werksprengendes groteskes Weltgericht, in dem nicht nur die „Lügen” der alten Kultur und ihre Pappkameraden entlarvt wurden, sondern auch die subvesiven und revoltierenden Kräfte der Strasse in den Kunstsalon drangen und direkte Einmischung in Kultur, Politik, Wissenschaft und Medienalltag einforderten: Die multiperspektivische Destabilisierung der Wände durch das all over Montageprinzip verwandelte die Räume in ein dadaistisches Ereignis von experimentellen Übergängen und Untergängen zugleich, von Widersprüchen und Dissonanzen, die zu wichtigen Garanten von Dadas widerständigem realistischen Bezug zum laufenden politischen und kulturellen Geschehen werden sollten. Mit einer dynamisch dekonstruktiven Wirkung drangen die Montageprozesse über die grotesken Themen hinaus in immer weitere Assoziationshorizonte und ließen nicht nur die „Stützen der Gesellschaft” (Grosz) als anachronistische Marionetten zurück, sondern streiften selbst die Ausstellungsräume wie Hüllen eines konventionellen Raumgefüges ab. Durch Bilderstürme wie Bilderfindungen wurde der Besucher der Ausstellung stets wachgehalten für weitere Assoziationshorizonte, auch und vor allem durch die Gleichwertigkeit der verwendeten Materialien (Bergius 2000: 233-297, 349-414).

Am spektakulärsten wurde die grenzensprengende polar inspirierte Gestaltkraft Dadas in den Aktionen und Performances deutlich – den das Publikum aufwühlenden und empörenden Inszenierungen der Dada-Soireen, die „die chaotische Bewegung des Lebens zum unmittelbaren Bewußtsein” bringen sollten (Huelsenbeck 1970: o.S.). Mit risikofreudiger Konfrontationslust schufen spontane sowie fluktuierende Gruppensituationen eine Artistenchaotologie, hinter der jedoch der kalkulierende Impresario stand, der das Publikum strategisch distanziert und souverän zu seinem Spielball machte (vgl. Bergius 1989, 312-385).

Die Dadaist*innen waren daher nicht nur ‚wilde Horde’, sondern auch apollinisch durchdrungene moderne Dandys, die um die große Bedeutung der Methoden und Strategien wussten. Es war eine subtile Zähmung des Dionysischen durch die mäßigende Gegenkraft des Apollinischen notwendig: Erfindungen subversiver und kalkulierter Formen der Ironie, des Sarkastischen, Satirischen und Grotesken, gezielte Taktiken des Widerspruchs, die den Feind trafen, Spiele der Täuschung und Enttäuschung, der Provokation und Revolte, Wege der Selbst­behauptung, Affektkontrolle und Immunisierung gegen jeden Zugriff der Macht bis ins Alltägliche hinein.

4. Dekonstruktionen der „Metamechanik”

Als entgegengesetzte Werkphase zur dionysischen Artistenchaotologie der Montageverfahren entstand seit 1919 eine unterkühlt sachliche Bildproduktion von „trockener” Ästhetik, als ob die vis activa der simultanen „Kontrastverschlungenheit” derart konzentriert wurde, daß ihr der qualitative Sprung in die apollinisch Raumgebende Leere einer vita contemplativa gelang. Diesem neuen Denkraum entsprach der Dadaist mit Askese „als einer bewußten Methodik und Beruhigung in Sprache und Bild” (Ball 1946:149) ebenso in letzter Konsequenz mit Schweigen (Marcel Duchamp). Kontingenz und Komplexität erhielten eine neue dadasophische Wertung. Diese Wendung ging mit der Dada eigenen radikalen Skepsis einher, deren Pendel nun von „Allem” zum „Nichts” ausschlugen, wie Ball andeutete: „Vielleicht ist die ganze assoziative Kunst ein Selbstbetrug” – oder noch skeptischer: „Auf der Suche nach dem Leben verfielen wir dem Aberglauben, das Leben selber sei zu unseren Irrationalismen zu rechnen” (BALL 1946: 158; 111). Dadas „Balancierfähigkeit in Widersprüchen” forderte zu einer Reflexion über die polaren Wirkungen der Extreme und ihre impliziten Zusammenhänge heraus: von Fülle und Leere, Turbulenz und Erstarrung, Dynamik und Leerlauf, Energie und Kälte, von Gleichzeitigkeit und ihrer stagnierenden Gegenwart, von Skandalen und Erlahmen in Wirkungslosigkeit, vom Lachen und erhärteten Zynismen, vom Mediengeschehen und der Ereignislosigkeit von immer gleichen Bedingungen einer machtvollen Verflechtung von Kapital, Politik, Medien, Industrie und Kultur.

Der dadaistische Chaotologe produzierte seine „eigene Gegenläufigkeit” in Form einer apollinisch geprägten Wendung mit einer „Klarheit, die wehtut” (Grosz 1917/1979: 54). Es setzte sich eine dadaspezifische anästhetische Bildpraxis durch, die das Material der Montage zugunsten rationaler funktionaler Darstellungsverfahren verdrängte, die den Natur- und Ingenieurwissenschaften entlehnt wurden: Längsschnitte durch Körper und Maschinen, Diagramme, Kartogramme, Plan- und Grundrisse, Anatomiemodelle, gesichts- und sinnenlos industriell hergestellte Glieder-Puppen – Verfahren, die sich allein auf Funktionsdarstellungen beschränkten und sich auf keine mimetische Gestaltung einließen. Es ging auch und gerade in dieser Werkphase um den „Tod” der Kunst und um die Intention, den „Geistigen” erst einmal „zur Geistesauflösung” in die Fabriken zu schicken. (Hausmann 1972: 130; Grosz/Hausman/Heartfield/Schlichter 1920/1989; Grosz 1921).

Die Simultan-Monteure von Dada nahmen die fiktive Rolle des Ingenieurs und Konstrukteurs an. Der gewandelte ‚Dada-Apoll’ schien nun die rationali­sierte Produktionsstätte der Fabrik als seinen neuen Kreativort dem der großstädtischen Chaotik vorzuziehen und den Mythos der Maschine den spezifischen dadaistischen Ambivalenzen auszusetzen. Die Berliner Dadaist*innen bezeichneten ihre Werke nicht länger mit „mont.”, sondern mit „mech.”, „meta-mech.”, „constr., „Meta-Mech.constr. nach Prof. Hausmann”. Die Abkürzungen nahmen ironisch Bezug auf das traditionelle „pinxit”, und „meta-mech.” signalisierte zugleich die maschinenästhetische Umwertung der „Erzeugnisse” zu einer anästhetischen Metaphysik der Maschine, einer metaphorischen Maschine, zur „Metamechanik”.

Diese Werkphase schien grundsätzlich von dem nietzscheanisch geprägten Konzept inspiriert, die „Wissenschaft unter der Optik des Künstlers” (KSA 1: 14) wahrzunehmen. Gemäß dem polarisierenden Konzept Dadas sollten die Abstraktionsverfahren nicht widerspruchsfrei angewendet werden. Das vom Leben und der Kunst abgespaltene mechanistische Weltbild wurde mit experimenteller De-Konstruktionslust und künstlerischer Imaginationskraft destabilisiert und mehrdeutig unterwandert. Das reichte von der sich selbst ad absurdum führenden Merz-Bühnen-Maschinerie (Schwitters 1981: 43) über mechanomorph montierte oder maschinenerotisch anmutende „Junggesellen-Maschinen”[12] (Picabia, Ernst, Duchamp, Man Ray, vgl. Szeemann; Clair 1975) bis zu den ‚metamechanischen’ Werken Dada Berlins und Kölns (Höch, Grosz, Dix, Hausmann, Schlichter, Ernst, Baargeld), in deren bildkünstlerischer Gestaltung sich die Einflüsse der rationalen, russisch geprägten Maschinenkunst im Sinne Tatlins und der irrationalen italienischen pittura metafisica von de Chirico und Carrà produktiv überlagerten.

Auf welche ironische Gratwanderung begab sich also der Dadaist, als er sich für jene metamechanische „Konventionalität” entschied (Hausmann 1922/1982: 49). Was zeigten die geometrischen, die architektonischen Pläne, die stereometrischen Körper, die Landkarten, die anatomischen Modelle, die verzerrten Perspektiven, wenn nicht, daß diese Welt mit Vermessungen und Verplanungen nicht zu erfassen war und ihre Anthropozentrik verlor.

Abb. 3: Hausmann, Raoul: Mechanischer Kopf/Der Geist unserer Zeit 1921, Perückenkopf mit angehefteten Gegegnständen.32,5 x 21 x 20 cm, Musée Nationale d’Art Moderne, Centre Georges Pompidou, Paris, Bildrecht: Berlinische Galerie Museum für Moderne Kunst, Berlin

Hausmanns Mechanischer Kopf[13] (Abb. 3) stellte als moderner Dada-‚Apoll’ sein angeheftetes Instrumentarium zur Disposition – gleichsam eine grotesk-iron­ische Dada-Version in der Nachfolge der von ihren Werkzeugen umgebenen kontemplierenden „Melencolia I” von Albrecht Dürer. Der Frieurkopf war sparsam bestückt mit Zentimetermaß, Schraube, Nummer, Taschenuhr, Gußformwalze mit seidengefüttertem Etui, Lineal, einem gebrauchten Portemonnaie aus Krokodilleder, dem Bronzeteil eines alten Fotoapparates und einem Ausziehbecher auf dem Kopf – alles alltägliche Dinge aus dem Reich des Ordnens, Messens und Berechnens. Der mechanische Kopf schien einen skeptischen Denkraum einzufordern, in dem die Funktionen neu bedacht werden konnten, denn nach Hugo Ball ermöglichte „die vollendete Skepsis […] auch die vollendete Freiheit” (Ball 1946: 83). Nietzsche berief sich auf eine „Fröhliche Wissenschaft”, die „das Lachen mit der Weisheit” verband (KSA 3, 570). So könnte im Sinne Nietzsches geschlossen werden, daß die „Metamechanik” Dadas dazu beitrug, „zur Freiheit der Vernunft” (KSA 2: 362) zu gelangen mit den ihr eigenen Mitteln und Medien, indem sie versuchte, die einander widerstrebenden Faktoren – Kälte der Ratio und die dionysischen Kräfte der Poesie und Kunst – neu aufeinander zu beziehen, so dass ihre Leere aktiv, ihre Präzision erregt, ihre Kühle leidenschaftlich, ihre Indifferenz schöpferisch, ihre Mechanik erotisiert wurden.

Abb. 4: Grosz, George: Diabolospieler 1920, Feder/Tusche und Aquarell auf Papier, 42,5 x 56 cm, Sammlung Thyssen Bornemisza, Madrid, Bildrecht: Lilian Grosz, Princeton. Archiv Ralph Jentsch, Berlin

Diabolospieler (1920)[14] von Grosz verdichtete die skeptisch bedachten Sinneben zur „Metamechanik” vielschichtig (Abb.4). Umgeben von destabilisierten Perspektiven anonymer verschachtelter Räume und Kuben nehmen wir einen Diabolo äqilibrierenden Manichino wahr. Die dynamische Balance Dadas scheint hier automatisiert, jedoch nicht eindimensional reduziert. Sie löst in ihrer apollinisch rationalistischen Anmutung polyvalente Deutungen aus, gemäß der dadaistisch impliziten „Kontrastverschlungenheit”: Das im Manichino eingebaute Räderwerk assoziiert ein unabhängig kreisendes perpetuum mobile als energetisches Gegenbild zur Hebelwirkung maschineller Mechanismen. Das aus sich funktionierende Mobile vermag daher Analogien zum poetisch-unbewußt produzierenden Automatismus von Dada und Surrealismus herzustellen, der befreit von jeder Kontrolle intuitiv fähig ist, die „Kluft, …die Traum und Tat trennt, mit einem Satz” zu überwinden und „in jedem Menschen lebendig” zu werden (Breton 1972: 362). Flankiert wird der poetische Automatismus dia­metral von einer kulturpessimistischen und einer kulturrevolutionären Perspektive: Zum einen erinnert der entmenschlichte, zusammenmontierte Manichino – ohne Hände und mit Beinstumpf – an die gesellschaftlichen Mechanismen der physischen, mentalen und medialen „Prothesenwirtschaft” (Hausmann 1982) der „tönernen leeren Epoche” (Ball 1946:147), die die Menschen zu willenlosen, manipulierbaren Marionetten verkrüppelte; zum andern könnte der manichino die anonyme Subjektlosigkeit eines kollektiven Bewusstseins allegorisieren, das einen neuen Künstler-Konstrukteur für den Aufbau der „revolutionären Sache” einforderte (Grosz/Herzfelde 1925: 24). Diese „polar-ambivalenten” Sichtweisen und Ausdrucksformen entsprachen Dadas apollinischem ‚Schleier’ der Ironie: „Durch das Aufzeigen der Marionettenhaftigkeit, der Mechanisieung des Le­bens, durch die scheinbare und wirkliche Erstarrung hindurch uns ein anderes Leben erraten und fühlen zu lassen” (Hausmann 1921/1982i: 184).

5. „Schweben zwischen zwei Welten” (Fazit)

Wenn Hausmann die Dadabewegung 1921 als ein „Schweben zwischen zwei Welten”[15] diagnostizierte – zwischen einer obsolet gewordenen, brüchig bodenlosen Welt und einer neuen noch nicht absehbaren, unwägbar dynamischen Welt –, Grosz angesichts der nicht stattfindenden proletarischen Revolution zynisch hin- und herschwankte (Grosz 1921:14) und wenn Hugo Ball von „der Welt im Zeichen der Generalpause” (Ball 1946: 102) sprach, dann nehmen wir Dada als eine Bewegung in einer Umbruchzeit wahr, die gleich einem balancierenden Drahtseilakt zwischen den Extremen „Alles” und „Nichts” eine prekäre labile „Mitte” (Hausmann 1920/1982: 79) im „Untergang” und „Übergang” schuf (KSA 4: 16f.).

Das Chaos der Nachkriegszeit reflektierend schuf Dada das „Polar-Ambi­valente” (Hausmann 1982: 80) als kontingente und zugleich komplexe Geistes­haltung sowie als künstlerische Praxis unter dem Einfluss von Nietzsches Konzept der „zweier ineinander gewobenen Kunsttriebe” und Friedlaenders „schöpferischer Indifferenz”. Auch wenn oftmals eine „Retour à l’ordre” im Laufe der Jahrzehnte beschworen wurde – sachlich, konstruktiv, neoklassizistisch –, konnte das „Polar-Ambivalente” als subversiv-komplexes Konzept von vielschichtigen Widersprüchlichkeiten entgegen stil- und identitätsbildender Ansprüche in den Avantgarden weiter wirken. Auf diese Weise vermochte die dadaistische Umwertung der Antithesen von Kunst und „Leben” sowie technischer und medialer Umbrüche bis in die postmodernen Revisionen der Moderne weiterwirken.

Die Kritik an einer teleologischen Vernunft, der Mut zum sichtbar gemach­ten Bruch, zum Unabgeschlossenen, zum Fragment, zu Kollision, Polarität und Kontingenz verband Dada mit der experimentellen Skepsis der postmodernen Kulturkritik. Im speziellen wirkte Dadas kulturkritische Strategie des Lachens im Zusammenhang dekonstruktiver Ironien, die sich auch vielfach aus dem Experimentalismus von Nietzsches Kunst- und Lebensphilosophie ableiteten. So wurde Dada als „neokynische Bewegung” von Peter Sloterdijk 1983 im Zusammenhang seiner „Kritik der zynischen Vernunft” aktualisiert, vor allem Dadas politisierte Spielarten befreiender Subversionen und Protesthandlungen, die sich schon Anfang der zwanziger Jahre totalitären Tendenzen widersetzten. Es galt ein Statement von Freiheit zu kreieren, das sich interaktiv und performativ vom Spiel her verstand. In seiner 1951 entstandenen Montage „Dada Raoul”[16] spannte Hausmann noch einmal den Bogen Dadas zwischen dem „Mechanischen Kopf” und seinem schreienden Konterfei mit seiner „chaotischen Mundhöhle”(Hausmann), um Dadas „polar ambivalente” Komplexität in den beiden sich bedingenden und interagierenden Kräften des Dionysischen und Apollinischen erneut in den Dada-Rezeptionen nach dem Zweiten Weltkrieg zu beschwören (vgl. Bergius 2014).

Von Anfang an beanspruchte Dada seine eigene Revision – insofern war Dada weder Avantgarde noch Anti-Avantgarde, sondern die Revision der Revisionen – „Alles” und „Nichts” zugleich.

Abbildungen

Abb. 1: Hausmann, Raoul: Dada Cino (Dada im gewöhnlichen Leben) 1920. Montage aus Fotoreproduktionen und Schriftfragmenten, 31,7 x 22,5 cm. Bez.u.Mitte und handschrftilicher Widmung an Kurt Schwitters, 9. April 1921. Privatbesitz, Bildrecht: Berlinische Galerie, Museum für moderne Kunst, Berlin.

Abb. 2: Kurt Schwitters: Merzbau, Hannover, Fotografie um 1930. Photo: Wilhelm Redemann. Sprengel Museum, Hannover. Bildrecht: Sprengel Museum, Hannover.

Abb. 3: Hausmann, Raoul: Mechanischer Kopf (Der Geist unserer Zeit) 1921, Perückenkopf mit angehefteten Gegegnständen 1921.32,5 x 21 x 20 cm. Musée Nationale d’Art Moderne, Centre Georges Pompidou, Paris. Bildrecht: Berlinische Galerie, Museum für moderne Kunst, Berlin.

Abb. 4: Grosz, George: Diabolospieler 1920, Feder/Tusche und Aquarell auf Papier, 42,5 x 56 cm. Sammlung Thyssen-Bornemisza, Madrid. Bildrecht: Lilian Grosz, Princeton; Archiv Ralph Jentsch, Berlin.

Literatur

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Wyss, Beat: Der Wille zur Kunst. Zur ästhetischen Mentalität der Moderne. Köln [DuMont] 1996

Über die Autorin

Hanne Bergius, promovierte und habilitierte Kunsthistorikerin und emeritierte Professorin für Kunstgeschichte mit den Schwerpunkten Kunst, Fotografie, Design und Architektur der Moderne an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Saale). Zahlreiche Publikationen zur Industrie- und Medienästhetik der Moderne, insbesondere zur Ideengeschichte, zu den Gestaltungskonzepten und zur Wirkungsgeschichte des Dadaismus. Ko-Kuratorentätigkeit von Ausstellungen Tendenzen der zwanziger Jahre, 15. Europaratsausstellung, Berlin 1977, Paris-Berlin 1900 – 1933, Paris 1978. Publikationen u.a.: Das Lachen Dadas. Die Berliner Dadaisten und ihre Aktionen (1989). Montage und Metamechanik. Artistik von Polaritäten (2000). Dada triumphs. Dada Berlin 1917 – 1923 (2003). Raoul Hausmann et les Avantgardes (hg. mit Timothy Benson und Ina Blom) (2014).

Fussnoten

1 Der Aufsatz steht im Zusammenhan meiner Dada-Forschungen, im speziellen meiner Berliner Dada-Forschungen. Vgl. BERGIUS 1989; dies.1999; 2000; 2003 u.a. und ist eine erweiterte Fassung von „Dadasophie ‚polar ambivalent’ unter dem Einfluß Nietzsches”. In: Santini, Carlotta (Hrsg): Nietzsche-Lektueren. Im Auftrag der Friedrich Nietzsche Stiftung. Berlin [De Gruyter], voraussichtlich Anfang 2025

2 Protagonist:innen der Dadabewegung in Zürich: Hugo Ball und Emmy Hennings, Tristan Tzara, Hans Arp und Sophie Taeuber, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco, Suzanne Perrottet, Walter Serner, Friedrich Glauser, Francis Picabia.

3 Hugo Ball begründete in seiner Streitschrift „Nietzsche in Basel” (1909/10) den Begriff des „Philosophen/Künstlers”, der abgeleitet ist von Nietzsches Begriff des „Künstler-Philosophen”. Vgl. Nietzsche: KSA 12: 89.

4 Hausmann, Raoul: „PRÄSIDENT DER SONNE DES MONDES DER KLEINEN ERDE (INNENFLÄCHE) DADASOPH DADARAOUL DIREKTOR DES CIRCUS DADA”. Visitenkarte 1919: Abb.: Bergius 1989: 114.

5 Grosz, George: Zuhälter des Todes 1920, Lithographie. Berlin, Berlinische Galerie. In: ders.: Gott mit uns. Berlin [Malik] 1920, Abb. 6

6 Höch, Hannah: Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkultur-Epoche Deutschlands, 1919/20, Aquarell und Montage aus Foto- und Schriftzitaten, 114 x 90 cm, bez.dat.u.l. Berlin, Neue Nationalgalerie. Staatliche Museen zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz. Abb.: Bergius 2000, farbig VI, Analyse: 130-171.

- Fotozitat: Käthe Kollwitz, aus: BIZ, Jg. 28, Nr. 13, 30. März 1919, S. 101 „Käthe Kollwitz, die Malerin und Radiererin, das erste weibliche Mitglied der Akademie der Künste”. Foto: Hofferichter.

- Kolumnentitel in der Höch-Montage von: Salomo Friedlaender 1915: Der Waghalter der Welt, in: Die Weißen Blätter. Jg. 2, H. 7,1915, 857-894; ebd., in: ders., Schöpferische Indifferenz 1918: 285-308; Abb. „Der Waghalter der Welt”, Abb. Bergius, 2000: R 53.

7 Vgl. Götzendämmerung, KSA 6, S. 117/118: „Was bedeutet der von mir in die Aesthetik eingeführte Gegensatz-Begriff apollinisch – dionysisch, beide als Arten des Rausches begriffen? – Der apollinische Rausch hält vor allem das Auge erregt, so dass es die Kraft der Vision bekommt. Der Maler, der Plastiker, der Epiker sind Visionäre par excellence. Im dionysischen Zustande ist dagegen das gesammte Affekt-System erregt und gesteigert; so dass es alle seine Mittel des Ausdrucks mit einem Male entladet und die Kraft des Darstellens, Nachbildens, Transfigurierens, Verwandelns, alle Art Mimik und Schaupielerei zugleich heraustreibt. Das Wesentliche bleibt die Leichtigkeit der Metamorphose, die Unfähigkeit zu reagieren […] Der Schaupieler, der Mime, der Tänzer, der Musiker, der Lyriker sind in ihren Instinkten grundverwandt…”.

8 Friedlaender, Salomo 1918: 7: „Von altersher ist man an den Gedanken gewöhnt, in der Welt Gegensätze, Widersprüche, Dualismen, Polaritäten – und also ebensosehr gewisse Vermittlungen, Versöhnungen, Monismen, Indifferenzierungen, ja Identifikationen walten zu lassen. Diese Tradition ist aber fruchtlos, solange man sie nicht durch diese neue Aussaat zum Blühen bringt.”

9 Ausmann, Raoul: Dada Cino (Dada im gewöhnlichen Leben), 1920. Montage aus Fotoreproduktionen und Schriftfragmenten, 31,7 x 22,5 cm. Bez.u.Mitte mit handschriftlicher Widmung an Kurt Schwitters, 9. April 1921. Neue Galerie, New York. Abb.: Bergius 2000, farbig VII.

10 Vgl. Heartfield, John/Grosz, George: Leben und Treiben in Universal-City 12 Uhr 5 mittags, 1920. Federzeichnung von Grosz und Montage aus Foto¬grafien und Text-Zitaten, verschollen. Kat.: Erste Internationale Dada-Messe, Nr. 152 (allein Heartfield genannt) (Besitzer: Lämmle, Kalifornien). Umschlagillustration zum Katalog der Dada-Messe. Vgl. Bergius, Hanne: Zur Wahrnehmung und Wahrnehmungskritik im Berliner Dadaismus. In: Sprache im technischen Zeitalter. Dada-Neodada-Kryptodada?, H. 55, Juli-Sept. 1975, Stuttgart [Kohlhammer]: 234-255.

11 Schwitters, Kurt: Ich und meine Ziele, in: Merz 21, Erstes Veilchenheft, Hannover [Merzverlag] 1931: Die desolat zugerichtete „Grotte der Liebe” eröffnete als KdeE Einblicke in verdrängte Dimensionen eines abgründigen Kulturverfalls: “Er hat den Kopf verloren, sie beide Arme; zwischen den Beinen hält er eine riesige Platzpatrone. Der verbogene Kopf des Kindes mit siphylitischen Augen über dem Liebespaar warnt eindringlich vor Übereilungen.”

12 Junggesellenmaschine (französisch „Machine Célibataire”, englisch „Bachelor Machine”) ist ein Begriff, den Marcel Duchamp im Zusammenhang seiner Vorarbeiten 1915 bis 1923 zum Großen Glas verwandte. Duchamp, Marcel: Das Große Glas. La Mariée mise à nu par ses Célibataires, même.New York 1915 – 1923. Ölfarbe, Lack, Bleifolie, Bleidraht und Staub auf zwei Glasplatten, 272 x 175 cm, Philadelphia Museum of Art (Stiftung Katherine S. Dreier). Abb: Szeemann; Clair 1975, Nr 133. Vgl. ebd: 7: „Wir sind mit dem Mythos (der Junnggesellenmaschinen – d. Verf.) in der Zeit von Freud, der Maschinen, der Horrorfiguren, der Entdeckung der vierten Dimension, des Atheismus, des militanten Junggesellentums beider Geschlechter mit dem Verzicht auf Prokreation. In Erfindungen der Zeit wird eine sexuelle und erotische Konnotation hereingelesen, und die technischen Innovationen werden als Metaphern eines geschlossenen Kreislaufes verwendet: so Alfred Jarry das Fahrrad und den elektrischen Stuhl in Surmâle, Duchamp das Fahrrad, die Kaffeemühle, die Schokoladenreibe und die optischen Apparate, Kafka die Druckmaschine, Villiers de l’Isle-Adam den Androiden, die Science-Fiction-Literatur den Computer und die Rakete […]In ihrer wunderbaren Zweideutigkeit stehen die Junggesellenmaschinen gleichzeitig für Allmacht der Erotik und deren Verneinung, für Tod und Unsterblichkeit, für Tortur und Disneyland, für Fall und Auferstehung.”

13 Hausmann, Raoul: Mechanischer Kopf (Der Geist unserer Zeit), um 1921, 32,5 x 21 x 20 cm; Perückenkopf mit angehefteten Gegenständen. Paris, Musée National d‘Art Moderne, Centre Georges Pompidou. Abb.: „Plastique „. In : Mécano Nr. 2, Gérant lit(t)éraire: I. K. Bonset (=Theo van Doesburg), Leiden 1922. Blau, Blue, Bleu, Blauw, 16 x 12,5 cm

14 Grosz, George: Diabolospieler 1920, Feder/Tusche und Aquarell auf Papier, 42,5 x 56 cm. Neue Galerie, New York. Abb.: Bergius 2000, farbig XVI

15 Hausmann 1982: 184: „Die neue Kunst. Betrachtungen für Arbeiter”: „In dem Zustand des Schwebens zwischen zwei Welten, wenn wir mit der alten gebrochen haben und die neue noch nicht formen können, tritt die Satire, die Groteske, die Karikatur, der Clown und die Puppe auf; und es ist der tiefe Sinn dieser Ausdrucksformen durch das Aufzeigen der Marionettenhaftigkeit, der Mechanisierung des Lebens, durch die scheinbare und wirkliche Erstarrung hindurch uns ein anderes Leben erraten und fühlen zu lassen.”

16 Hausmann; Raoul: DADARAOUL 1951, Montage aus Fotografie- und Textfragmenten, 37,5 x 30 cm. Musée départemental d’art contemporain de Rochechouart. Abb.: Bergius 2014: 34


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Citation

Hanne Bergius: Dada-Montage: kontingent und komplex unter dem Einfluß Nietzsches. In: IMAGE. Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft, Band 41, 8. Jg., (1)2025, S. 69-90

ISSN

1614-0885

DOI

10.1453/1614-0885-1-2025-16548

First published online

April/2025