Von Svetlana Chernyshova
Abstract
Augmented-Reality-Formate bringen sowohl tradierte Bildbegriffe als auch Bildpraktiken auf eine vielfache Weise an ihre Grenzen: sowohl im Hinblick auf ihre ästhetisch-medialen Abgrenzungen, ihre Rezeptionsbedingungen als auch ihre Produktionsprozesse. Vor diesem Hintergrund setzt sich der Beitrag, ausgehend von den Arbeiten des Schweizer Künstlers Pascal Sender, mit einem weiteren, wesentlichen Aspekt des augmentierten Bildes auseinander: seiner temporalen Dimension. Die zeitlichen Qualitäten, Effekte und Bedingungen jener multimodalen Bildphänomene in den Fokus rückend, entwickelt der Beitrag den Begriff der Bichronizität und spricht sich dafür aus, das Spektrum der Bildfragen entschieden mit Blick auf dessen Zeitlichkeiten sowie Umgebungen zu erweitern.
Augmented reality formats push both traditional image concepts and image practices to their limits in many ways: with regard to their aesthetic-medial boundaries, their conditions of reception as well as their production processes. Against this backdrop, the article takes the works of Swiss artist Pascal Sender as a starting point to examine a further, essential aspect of the augmented image: its temporal dimension. Focusing on the temporal qualities, effects and conditions of these multimodal image phenomena, the article develops the concept of bichronicity and argues in favour of decisively expanding the spectrum of image issues with a view to its temporalities and environments.
1. Einleitung
Geschrieben wird das Jahr 2099. Die menschliche Welt ist kaum wiederzuerkennen, high-end auf Hochglanz gebracht dominiert das Technoid-Sterile, durchsetzt von kunstvoll nachgebauten Statussymbolen der ‚alten‘ Welt – antike Statuen, die als um das 50-zig-fache vergrößerte 3D-Drucke die Stadtlandschaft prägen. In der 2022 produzierten Science-Fiction-Serie „Peripherie“ (vgl. Natali/Riley 2022) zeigt sich die menschliche Existenz nicht nur in einer anderen visuellen Form, sondern auch in einem anderen temporalen Verständnis. Es lassen sich unterschiedliche Zeitstränge anwählen und mehr noch – die Materialität der Welt lässt sich vollends überblenden, als eine Parallel(zeit)schicht, die es geschafft hat, als alltäglicher und selbstverständlicher ‚Normalfilter‘, nicht nur zerstörte Bauten zu kaschieren und architektonische Fantasien zu verwirklichen, sondern Umgebungen zu ‚simulieren‘, die von Menschen bewohnt werden, die nicht existieren – lediglich in einer alles durchziehenden Augmented-Reality-Schicht. In „Peripherie“ sehen wir demnach nicht nur eine andere Welt, sondern das Sehen selbst hat sich verändert: mit plurifunktionalen Kontaktlinsen in den Augen ist das augmentierte Bild zur ‚Normalsicht‘ geworden, einer auf Dauer gestellten Sicht.
Mag uns das Science-Fiction-Beispiel, neben dem sich eine Fülle Weiterer anführen ließe, auf den ersten Blick eine Zukunftsvision skizzieren, die sich doch deutlich von unserer gegenwärtigen technologischen Realität abhebt, bietet es im gleichen Zuge zahlreiche Anknüpfungspunkte, denken wir nur daran, mit welcher Selbstverständlichkeit bestimmte visuelle Filter (z. B. integriert in Smartphone-Kameras) Anwendung finden. Es sind Filter, die sich selbst überhaupt nicht mehr als solche markieren und damit auch zeitlich betrachtet instantan agieren. Und mit dem Moment jener Instantaneität komme ich zu einer Thematik, die im Fokus des vorliegenden Artikels steht: der Zeitlichkeit von augmentierten Bildern[1], also Bildern, die subsummierend gesprochen mit einer Umgebung operieren, „bei der die reale Welt durch computergenerierte Inhalte erweitert wird“ (Scorzin 2023: 167).
Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Bild und Zeit prägt ein breites Spektrum an kunst- und bildwissenschaftlichen Auseinandersetzungen. Im Zuge dessen werden solche Begrifflichkeiten und Diskurse virulent wie Bildzeit, Zeit im Bild, Zeitbild, Betrachtungszeit, bildliche Eigenzeit, Echtzeit und viele mehr.[2] Vor diesem Hintergrund spricht der Kunsthistoriker Johannes Grave nicht von ungefähr von einer „vielfältige[n] Verstrickung des Bildes in Zeit“ (Grave 2022: 22). Lenken wir unseren Blick für Bildphänomene gewissermaßen um und setzen uns mit ‚augmentierten‘ Bildern auseinander, dann gestaltet sich die Frage nach dem temporalen Verhältnis als eine umso komplexere und multiskalar gelagerte. Das Phänomen des augmentierten Bildes zeichnet sich gegenwärtig als eines ab, das ganz unterschiedliche Formen, Logiken und Praktiken aufweist und vermehrt ein Themenfeld ‚auf Verhandlungsbasis‘ zu sein scheint, das nicht nur ontologische oder gattungsspezifische Fragen aufwirft (Verhältnis zwischen Bild und Nicht-Bild, zwischen Bild und Raum, zwischen Bild und Skulptur etc.), sondern ganz dezidiert das Markieren und Überschreiten von bestimmten Grenzen ermöglicht, indem es sowohl ‚tradierte‘ Bildfragen aktualisiert als auch ganz neue formuliert. Deshalb wird im vorliegenden Beitrag eine Auseinandersetzung mit Bild und Augmentation stattfinden, geleitet von der Frage nach deren temporalen Charakteristika. Zum Ausgangspunkt der Überlegungen wird indes eine Auswahl der Arbeiten des Schweizer Künstlers Pascal Sender genommen: Senders drei medial gänzlich unterschiedlich agierenden Werke diskutierend, nähert sich der Beitrag der Frage nach dem spezifischen Zeitverhältnis (und Zeitbegriff) von AR. Nach der ersten Konturierung der Arbeiten erfolgt im dritten Teil des Artikels zunächst eine Beschäftigung mit dem Verhältnis von Zeit und Bild in Form einer Skizzierung einiger zentraler kultur- und bildwissenschaftlicher Fragen, um von diesem Punkt aus der Überlegung nachzugehen, dass sich bei augmentierten Bildern auf eine grundlegende Weise etwas verschiebt, wenn es um raumzeitliche Gefüge und Involvierungsmodalitäten geht. Im Zuge dessen wird der Begriff der (con- bzw. intratemporalen) Bichronizität erarbeitet, um damit das spezifische zeitliche Verhältnis von AR-Bildern konturierbar zu machen und schließlich im letzten Teil mit einem kurzen Ausblick einige Impulse im Hinblick auf die Frage zu setzen, was AR nach sich ziehen kann, wenn wir es als einen medialen (visuellen, aber auch intermodalen) Turn begreifen.
2. Pascal Sender: Bildupdates
Der Schweizer Künstler Pascal Sender setzt sich in seiner Arbeit nicht nur mit den technischen Möglichkeiten von Virtual, Augmented und Mixed Reality auseinander, sondern erprobt mit seinen Werken ganz dezidiert, was jene Weisen der ‚Erweiterung‘ nach sich ziehen. Dabei thematisieren die Arbeiten nicht nur die Frage, was XR im Hinblick auf unser alltägliches Leben vermag, sondern reizen das Technische auf eine ludische Weise aus. Die Verbindung des Spielerischen und des visuell Überschüssigen generiert so mit der ihr eigenen Ästhetik eine Fülle an Fragen, die sich darauf beziehen, wie wir gegenwärtig Bilder produzieren und rezipieren und was Bild schließlich überhaupt heißen kann. Hierbei werden solche Grenzziehungsfragen virulent wie etwa zwischen Bild als Kunst und Bild jenseits von Kunst, Bild und Körper sowie Bild und Skulptur. Damit werden in Senders Arbeiten stets neue Weisen der Bild- und Raumerfahrung initiiert, wobei das Verhältnis zwischen Device, Körper und Bild immer wieder zur Verhandlung gestellt wird. Neben zahlreichen VR-Szenarien, die Sender im Prozess seines Schaffens kreiert, macht sich das Interesse für AR ganz besonders bemerkbar und äußert sich in unterschiedlichen materiell-medialen Formen sowie Einsatzweisen. Damit lässt Sender eine breite Palette an Auseinandersetzungen mit AR entstehen, die von Phänomenen des Alltäglichen bis hin zu technisch komplexen künstlerischen Settings reicht.
Stellen wir uns zunächst die Frage, in welchen Sphären uns augmentierte Bilder – im weiteren technischen Sinne – begegnen, dann werden, je nach Kontext, gänzlich unterschiedliche Formen und Kategorien dessen sichtbar. So führt Jens Schröter folgende Differenzierung an: „1. Echtraumoptimierende Applikationen (Informationsanreicherung); 2. Echtraum-ludische Applikationen (Spiel) und 3. Echtraum-ästhetische Applikationen (Gestaltung)“ (Schröter 2012: 111). D. h. beispielsweise an der letzten Kategorie orientiert, werden die einen oder anderen an Möbelplatziersysteme denken, die seit 2019 von einem schwedischen Möbelhaus angeboten werden (vgl. Ikea Place 2023)[3] oder aber an ein Phänomen, das seit ca. 2018 eine sehr rege Präsenz auf Social Media fand: Facefilter.[4] Letzteres greift auch Sender in seinem Schaffen auf, wie etwa bei einer Serie von insgesamt über 200 augmentierten Sonnenbrillen nach Eigenentwurf oder dem Facefilter mit dem Titel Facedance (2020) (Sender 2023b). Jener treibt die augmentierten Gesichtsmodifikationen insofern auf die Spitze, als der Filter – in randomisierter Form – entweder eine leere Fläche statt des Gesichts anzeigt, das Gesicht bei der zweiten Variante wie der Haut entledigt erscheinen lässt (sodass lediglich die Muskelebene zu sehen ist), oder aber bei der dritten Variante das Gesicht wie ein gerupftes kopfloses Hühnchen zum Tanzen bringt (Abb. 1).
Abbildung 1: Pascal Sender, „Facedance“, 2020
Mit diesen drei grotesk-abjekten ‚Bodyhorror‘-Szenarien nimmt der Filter gewissermaßen den Facefilterhype auf die Schippe und bietet einen deutlichen Kontrapunkt zum anfangs überpräsenten Cuteness[5]-Phänomen der augmentierten Gesichtserweiterungen, die via Social Media zirkulierten, wie etwa Hundeöhrchen und -nasen, Katzenschnurrhaare oder Bärenfell.
Was im Kontext der hier stattfindenden Auseinandersetzung aber vor allem von Interesse ist, ist nicht zuletzt das temporale Verhältnis, das mit augmentierten Bildern einhergeht und sich insbesondere in einer solchen Form wie dem Gesichtsfilter bemerkbar macht. Bedient sich der Facefilter – medienhistorisch betrachtet – auf einer gewissen Ebene der Maske[6], der Technik der filmischen Überblendung, der Collage bzw. der Montage, liegt die entscheidende Besonderheit vor allem darin, dass die Übereinanderlagerung hier in Echtzeit passiert, d. h. beinahe ohne Verzögerung vonstatten geht und stets den vor der Kamera ausgeführten Bewegungen folgt – d. h. zugleich auf ein technisches Gefüge angewiesen ist. Jenes Moment der Echtzeit kann des Weiteren mit einer bestimmten Form von Instantaneität[7] verknüpft verstanden werden, denn die Unmittelbarkeit betrifft nicht nur die Entstehungszeit des Bildes, sondern auch deren Weiterbestehen: Soll das (Bewegt-)Bild bestehen bleiben, so muss es – zumindest bezogen auf soziale Netzwerke, da diese die größte Verbreitungsplattform dessen geboten haben bzw. bieten – direkt geteilt werden. D. h. mit augmentierten Bildern geht nicht zuletzt auch eine Flüchtigkeit einher, die nicht nur aus der potentiellen Kommerzialisierungslogik von Plattformen sozialer Medien resultiert, sondern der techno-medialen Bildform selbst inhäriert. So lassen sich augmentierte Bilder summa summarum auf eine eher unbefriedigende Weise dokumentieren, denn als Screenshots bleibt die nicht unerhebliche Bewegung außen vor und selbst wenn ein Screencast gemacht wird, d. h. das auf dem Bildschirm Erscheinende in Bewegung festgehalten wird, fehlt dennoch die ‚Realzeit‘-Komponente, die ‚andere‘ Perspektivierung, die das Bild entscheidend prägt: das ‚andere Auge‘, das stets den Raum drum herum, die ‚analoge‘ Situation im Blick hat. Demnach ist das augmentierte Bild stets – wie noch weiter unter ausgeführt wird – von einer Echtzeitlichkeit durchzogen, die mit einer unabdingbaren Singularität einhergeht.
Während solche AR-Bilder wie Facefilter allem voran davon zehren, sich zeitlich betrachtet flüchtig zu gestalten, d. h. auf den Moment angewiesen und für den Moment produziert und rezipiert worden zu sein, lassen sich daneben ganz andere Funktionsrichtungen und Formen des Bildlichen nachzeichnen, die mit gänzlich anderen zeitlichen Verhältnissen hantieren, wie etwa Senders „Cobalto“ (Abb. 2).
Abbildung 2: Pascal Sender, „Cobalto“, 2014/2020
Die Arbeit „Cobalto“ (Mischtechnik/Öl auf Leinwand, 2014/2020) zeigt zunächst eine eher schwer greifbare Figur, die sich einer Konturierung entzieht, da sie sich – offensichtlich simultan – in verschiedenen Bewegungsabläufen befindet. In beige-braunen Tönen gehalten, mit einer Rasterstruktur versehen und mit schwarzen sowie weißen schnellen Linien gehighlightet, fliegen die Gliedmaßen der Figur abgerundet in alle Richtungen und erzeugen so eine Dynamik, die die einzelnen Posen nur schwer ausmachen lässt. Was diese Arbeit folglich bereits auf der Ebene der Darstellung auszeichnet, ist eine Form von Simultaneität, die etwa an die Chronofotografie bzw. Phasenfotografie bei Etienne Jules Marey (vgl. Metmuseum 2023) erinnert: Hier versammeln sich mehrere Bewegungsabläufe in einem einzelnen Bild. Was die Arbeit aber des Weiteren auszeichnet, ist die sie begleitende AR-Ebene, denn das Bild bietet eine weitere ‚Schicht‘ an, die erscheint, sobald wir ein Smartphone oder ein Tablet darauf richten. Mit der von Sender selbst programmierten App (vgl. Sender 2023a) zeigt sich ein 3D-modelliertes Bild bzw. Bildobjekt, das die analoge Arbeit überlagert. Was hierbei passiert, ist demnach ein ebenfalls in Echtzeit entstehendes Bild, das sich je nach Perspektive – je nachdem, wie wir das Device halten etc. – ganz andere Blickwinkel aufbaut und im Vergleich zu „Facedance“ weniger das ‚analoge‘ Objekt (hier also das Gesicht) in seiner überlagerten Bewegung zeigt, sondern neue Bewegungslogiken und Formen entstehen lässt. Im Hinblick auf die Frage nach der Zeit bietet die Arbeit aber auch eine weitere entscheidende Verknüpfung, denn das via AR erscheinende Bild stellt nicht lediglich eine neue visuelle Situation her, sondern zeigt (nachdem wir uns als ‚User*innen‘ durch eine buchstäbliche AR-Mauer hindurchgeschlagen haben) die erste Version des analogen Bildes, die dann im Laufe der Jahre übermalt wurde (Abb. 3).
Abbildung 3: Pascal Sender, „Cobalto“, 2014/2020 (AR-Ansicht)
Damit erklärt sich auch das duale Entstehungsdatum der Arbeit: 2014/2020. D. h. die Arbeit besteht aus (mindestens) zwei dominanten Zeitebenen, die sichtbar respektive voneinander unterscheidbar werden, sobald die AR-Ebene hinzutritt. Damit lässt sich „Cobalto“ als zeitlich mehrfach gelagert bestimmen, da es sowohl Zeitsprünge beinhaltet als auch insofern als nicht-finalisiert oder nicht-finalisierbar zu beschreiben ist, als sich das AR-Bild mit jedem Rezeptionsmoment neu ‚aufbaut‘ und dann je nach Ausstellungsraum bzw. Zeigesetting zwangsläufig von anderen Komponenten geprägt ist (Licht, Personen im Hintergrund, die ggf. im Bild auf dem Screen erscheinen etc.). Des Weiteren kommt auf der Ebene der Bildproduktion eine weitere raum-zeitliche Komponente hinzu, denn der Künstler behält es sich vor, seine Bilder weiter zu aktualisieren bzw. upzudaten, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort. D. h. der AR-Layer ist stets Remote-Transformationen unterworfen, die am analogen Bild nicht hätten vorgenommen werden können. Anders formuliert: Selbst wenn wir insofern ein prozessontologisches Bildverständnis zugrunde legen, als sich Bilder immer schon eher als singuläre Erscheinungsphänomene oder Metastabilisierungen verstehen lassen (vgl. Simondon 2012: 153), greift hier eine zeitliche Komponente, die die Transformation zu einer kontinuierlichen, ortsunabhängigen und damit quasi-autonomen macht. Was sich in diesem Werk bereits abzeichnet, ist folglich eine weitere zeitliche Narrationsebene, die sich daraus ergibt, dass hier zumindest explizit unterschiedliche Zeitpunkte zur Darstellung kommen. Stärker auf die Spitze getrieben wird dieses Verhältnis in der dritten Arbeit Senders, die im Kontext unserer Betrachtungen herangezogen werden soll: im Werk „Simooon“ (Abb. 4).
Abbildung 4: Pascal Sender, „Simooon“, 2021
Es ertönt ein ganz vertrauter Klingelton eines Smartphones. Kommt man der Soundquelle näher, dann offenbart sich der Klingelton als akustische Komponente der Arbeit „Simooon“ aus dem Jahr 2021. Als analoges Objekt zeigt sich die Arbeit zunächst als ein Hochformat (140 × 105 cm), das entfernt an einen Smartphonebildschirm erinnert, jedoch mit stark verwischten und übereinander gelegten Elementen. Erkennbar ist eine (eher weiblich zu lesende) Person, die als Brustbild porträtiert ist sowie eine recht präsente, vertikal ausgerichtete Hand, die aus dem Ärmel einer Sportjacke herausschaut. Im Hintergrund dominiert die Farbe Blau, die sich womöglich als Jacke der abgebildeten Person lesen lässt, dann aber doch insofern unbestimmbar erscheint, als die Farbe gleichzeitig in den Himmel übergeht. In seinem Beigeton setzt sich dagegen der Ärmel mit den herausblickenden Fingern ab, der bei längerem Betrachten daran zweifeln lässt, ob der Arm tatsächlich zu der Abgebildeten gehören kann – so ‚unnatürlich‘-verrenkt erscheint er in der Perspektive. Zu sehen sind des Weiteren Fragmente einzelner Schriftzüge und Icons, die über das Bild verteilt sind. Materiell betrachtet gestaltet sich die ‚analoge‘ Arbeit zunächst als ein Fotodruck, der mit Tusche, Öl und Acryl übermalt wurde. Die Fotoebene basiert dabei auf mehreren Bildern, die Sender tagebuchartig gesammelt und dann auf seinem Smartphone zu einem einzigen Bild collagiert und ebenso digital verfremdet hat (d. h. Verwischungen und digitale Übermalungen etc. wurden vorgenommen). Dann auf Leinwand ausgedruckt wurde das nun auf diese Weise aus dem Digitalen ins Analoge überführte Bild erneut materiellen Metamorphosen unterzogen, indem es eine weitere Schicht mit Farbe erhielt. D. h. bereits auf der Ebene der Bildproduktion zeichnen sich zahlreiche Momente ab, die unterschiedliche zeitliche Komponenten versammeln. Die Dauer des Fotografierens, die bei Sender – in seiner Logik eines visuellen Tagebuchs – eine Zeitspanne von max. 24 Stunden umfasst, addiert sich zu der wiederum i.d.R. auf wenige Minuten beschränkten Zeitdauer des digitalen Bearbeitens (denn diese passieren bei Sender en passant, während er z. B. Zug fährt oder auf den Bus wartet). Hinzu kommt die Ebene der Weiterbearbeitung mit Öl, Acryl, Farbe etc. (die Zeit, die sich hier womöglich als Latenzzeit bezeichnen ließe), denn bei der Tagebuchserie hatte Sender insgesamt über 700 Bilder auf seinem Smartphone im Zeitraum von 2018 bis 2022 produziert[8], jedoch nur wenige davon tatsächlich als ‚analoge‘ Objekte bzw. Gemälde realisiert. D. h. bei der Werkserie der „Visual Diary“ kommen ganz unterschiedliche Zeitverhältnisse zusammen, nämlich Zeitdehnungen und Zeitraffungen, Latenzzeiten und Parallelprozesse. Temporal gesehen noch komplexer wird die Arbeit, wenn wir die Ebene von AR heranziehen, die diese ebenfalls entscheidend mitprägt. Wie bereits eingangs angedeutet, gestaltet sich das Bild in einer Anrufsituation. Sobald wir also mit einem Smartphone oder einem Tablet (Senders App nutzend) das physische Bild fokussieren, wird die AR-Ebene sichtbar, die sich ebenfalls auf eine fragmentiert-collagenhafte Weise gestaltet und sich instantan als ein eingehender Anruf realisiert (Abb. 5).
Abbildung 5: Pascal Sender: „Simooon“, 2021 (AR-Ansicht)
So setzen sich unterschiedliche Stellen im Bild – architektonisch aus dem Bild hervorkommend – in Bewegung, Wortpartikel sowie Icons treten hervor, Flächen vibrieren und lassen das Bild zu einem unruhigen Gebilde werden. Verstärkt respektive beinah zu enervierend wird das Szenario zusätzlich dadurch, dass der Anruf auch akustisch zu hören ist und zudem dazu drängt, angenommen zu werden, denn das grüne Telefon-Icon setzt sich ebenfalls in Bewegung und fordert zu einer Wischgeste auf. Gekoppelt an die Soundebene verlangt die drängende Bewegung des grünen Buttons ein sofortiges Reagieren – es gestaltet sich in einer Affordanz (vgl. Gibson 1986: 127), der kaum entsagt werden kann. Ruhig gestellt ist die Szenerie erst dann, wenn wir tatsächlich den Bildschirm berühren und den Knopf mit der gewohnten Wischbewegung beschwichtigen. Was in dieser Situation passiert und wie das Bildsujet mit den einzelnen Fragmenten zusammenhängt, erschließt sich dann vor allem, wenn wir genauer auf die im Bild selbst abgebildeten Bildschirmfragmente und die darauf sichtbaren Wortelemente achten: Die etwas weiter rechts oben platzierte Schrift im Bild
verrät – es ist wohl ‚Simooon‘, der gerade anruft.
Versuchen wir die Beschreibung der Arbeit nun ein wenig zu kondensieren, dann wird in erster Linie deutlich, dass wir hierbei tatsächlich von einem Geschehen sprechen können, und zwar von einem, das von uns als Betrachter*innen nicht nur eine insofern aktive Teilnahme abverlangt, als wir ein Device in der Hand halten und uns die Arbeit anschauen, sondern einem, das eine interaktive und zugleich absolut alltägliche und jede*r/m allzu vertraute Betätigung ‚aufdrängt‘. Gekoppelt ist jene Aufforderung zum Abheben zugleich an eine sich darin entfaltende Narration: Wer ruft eigentlich an? Sollte ich rangehen? Was passiert, wenn ich rangehe und wer wird hier eigentlich überhaupt angerufen? All diese Fragen führen uns – auch wenn sie nach Umwegen klingen mögen – zurück zu der Frage nach den temporalen Verhältnissen. Während bereits deutlich wurde, dass allein die Produktionszeit eine extreme Polyvalenz aufweist, kommt mit der AR-Ebene eine Komponente hinzu, die einen ganzen Handlungsablauf – und damit gewissermaßen auch eine Form von Linearität – hineinbringt. Auf diese Weise gestaltet sich die Arbeit „Simooon“ als eine geschichtete, die sowohl mit Zeitfragmenten (mit jeweiligen fotografischen Erinnerungsfragmenten des jeweiligen Tages), mit zirkulären Zeitvorstellungen (Tagebuchform als etwas Wiederkehrendes) als auch mit einer linearen Form (Angerufen-Werden und Entgegennehmen eines Telefonats) operiert.
Werfen wir folglich subsummierend einen Blick auf die bislang fokussierten zeitlichen Auffälligkeiten, dann zeigt sich eine breite Spanne an entsprechenden Begrifflichkeiten wie Echtzeit, Instantaneität, Gleichzeitigkeit, zeitliche Schichtung, Zirkularität, Linearität und Fragmentierung. Scheinen jene zeitlichen Charakteristika zunächst auf eine dezidierte Weise die drei angeführten Beispiele von Pascal Sender zu beschreiben, stellt sich für uns nun die Frage, was sich daraus ganz grundsätzlich insgesamt für AR-Bilder abstrahieren bzw. extrahieren lässt, der nun im Folgenden nachgegangen wird.
3. Bildzeiten
Wenn wir das Verhältnis von Zeit und (augmentiertem) Bild in den Fokus rücken, dann gilt es, sich deutlich vor Augen zu führen, dass es sich beim Faktor der Temporalität nicht lediglich um einen Nebenparameter handelt, der beiläufig das Bild begleitet, sondern sowohl die Seherfahrung als auch überhaupt das (jeweilige) Erscheinen des Bildes als Bild bedingt. So problematisiert auch Gottfried Boehm in seinem 1987 publizierten Text zunächst den kunsthistorisch betrachtet eher marginal gehaltenen Status der Zeit, wenn es um künstlerische Gattungen und insbesondere deren Erfahrungsmodalitäten geht (vgl. Boehm 1987: 1f.). Vor diesem Hintergrund stellt die Zeit umso entscheidender einen wesentlichen Punkt auch bei Boehms Ansatz der ikonischen Differenz dar, der sich in dem zitierten Beitrag andeutet, denn jene Unterscheidung zwischen Figur und Nicht-Figur, als Grundzug der ikonischen Differenz, gestaltet sich zwangsläufig als ein zeitliches Verhältnis, und zwar als ein Verhältnis von Simultaneität und Sukzessivität (vgl. ebd.: 22). D. h. auf der Bildebene passiert etwas, das eine Unterscheidbarkeit ermöglicht, die wiederum das Erscheinen des Bildes überhaupt als Bild bedingt. Und damit kommen wir zu einem weiteren basalen Punkt, der für die vorliegenden Überlegungen von Bedeutung ist – dem Bild in seiner akteuriellen Kraft. Hierbei lässt sich vor allem der Ansatz des Bildakts nach Horst Bredekamp anführen, dessen zeitliche Dimension ebenfalls mitzubedenken wäre. Im Zuge seiner „bildaktiven Phänomenologie“ (Bredekamp 2015: 62) entwickelt Bredekamp eine Form von Klassifizierung, die die jeweilige Kraft der Bilder zu differenzieren erlaubt:
»Diese Wirkkraft äußert sich zunächst im schematischen Bildakt. Er geschieht durch eine in Körperkompositionen, Automaten und Biobildwerken unmittelbar wirksame oder instrumentell eingesetzte Verlebendigung des Bildes. Die zweite Wirkmöglichkeit ist durch den substitutiven Bildakt markiert. Er entsteht durch den wechselseitigen Austausch von Körper und Bild in Religion, Naturforschung, Medien, Recht, Politik, Krieg und Bildersturm. Die dritte Wirklatenz liegt im intrinsischen Bildakt. Er entzündet sich aus der Kraft der gestalteten Form als Form. Die Form prägt nicht minder auch den schematischen und den substitutiven Bildakt, aber hier gewinnt sie eine selbstreflexive Konsequenz, die eine von innen kommende Wirkung erlaubt.« (Ebd.: 60)
Zunächst einmal lässt sich festhalten, dass augmentierte Bilder die bildakteurielle Kraft par excellence in Szene setzen. Dies heißt zunächst einmal, dass Bilder – ob in ‚klassisch-physischer‘ Form oder im Kontext von Mixed Reality – stets nicht lediglich als passive Gebilde verstanden werden, sondern als Entitäten, die eigene Dynamiken entwickeln, mit einer ganz eigenen Agency.[9] Damit geht zugleich einher, dass über Zeit und Bild zu sprechen nicht lediglich bei betrachtenden Subjekten ansetzt und etwa nach deren ‚Zeitempfinden‘ fragt, sondern ganz generell die Eigenzeitlichkeit des Bildes als etwas begreift, das sich intrarelational ereignet. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, Temporalität im Sinne eines komplexen, an Gilbert Simondon orientiert (vgl. Simondon 2012) gesprochen, milieusensitiven und milieugenerierenden Gefüges[10] zu begreifen. Bleiben wir bei Bredekamps Unterscheidung, dann kann bei augmentierten Bildern, wie Sender diese realisiert, insbesondere von einem schematischen und einem intrinsischen Bildakt gesprochen werden, denn die Bilder zeigen sich in Bewegung, sie bauen sich auf und weisen gleichzeitig kontinuierlich auf ihre Formsprache, die sich entweder in der Dreidimensionalität wie bei „Cobalto“ und „Simooon“ verselbständigt, oder wie beim Facefilter „Facedance“ insbesondere durch die Konjunktion mit der sichtbaren Umgebung (bzw. hier konkret mit dem Gesicht) sich selbst überexponiert. Für die Frage nach der Zeit heißt das, dass die Zeitlichkeit, in der sich die Bewegungen vollziehen, die Zeitlichkeit, die die Elemente zum Erscheinen benötigen genauso wie die Zeitlichkeit, in der die Formen gelesen, voneinander unterschieden etc. werden (und viele mehr) stets mit das Bild ausmachen.
Schauen wir uns philosophie- und kulturgeschichtlich um, dann macht sich deutlich bemerkbar, dass das Verhältnis von Zeit und Bild – wie eingangs bereits angedeutet – von einigen komplexen Zusammenhängen und taxonomischen Differenzierungsversuchen gekennzeichnet ist. Während Heinrich Theissing in seinem inzwischen vielzitierten und vieldiskutierten Ansatz eine Unterteilung in „die historische Zeit, in der das Werk existiert, die Betrachtungszeit, in der es erfahren wird, und die dem Werk eigene Zeit – die Bildzeit, welche durch die ‚dargestellten Zeitsituationen‘ und mehr noch durch ihre zeitliche Darstellungsweise zur Anschauung kommt“ (Theissing 1987: 18)[11] vorschlägt, stellt sich für uns die Frage, welche Begrifflichkeiten respektive Verständnisweisen des Zeitlichen für die Beschäftigung mit dem augmentierten Bild als sinnvoll und produktiv erscheinen. Dass die strikte Unterteilung in die historische Zeit, die Betrachtungszeit und die Bildzeit auch bei ‚klassisch-analogen‘ Bildern zu Schwierigkeiten führt, legt insbesondere Johannes Grave in seiner Monographie Bild und Zeit. Eine Theorie des Bildbetrachtens dar. Theissings Bildzeit umfasse „sowohl zeitliche Eigenschaften des Dargestellten als auch temporale Qualitäten der Darstellungsmittel; neben der Ikonographie und der Bildnarration berührt sie daher auch formale und bildstrukturelle Fragen“ (Grave 2022: 23f.) und trenne jene Aspekte allerdings nicht scharf voneinander, was es laut Grave erlaubt, „eine verengte Sicht auf das Problem der Darstellung von zeitlichen Verläufen im Bild zu umgehen“ (ebd.: 24). Gleichzeitig gerate auf diese Weise gerade die etablierten Dreiteilung ins Wanken, was dann schließlich zur Folge habe, dass die „Scheidung zwischen >Betrachtungszeit< und >Bildzeit< […] sich daher als äußerst fragil [erweist]“ (ebd.: 24). Pointiert Grave in seinen Auseinandersetzungen insbesondere die Bedeutsamkeit der Bildbetrachtungszeit, wird für unsere gegenwärtige Beschäftigung mit augmentierten Bildern deutlich – ziehen wir diese in einem bildakteuriellen Verständnis heran –, dass sich diese umso komplexer gestaltet, wenn der Prozess der Rezeption nicht nur (in erster Linie) die mit dem ‚bloßen‘ Auge vollzogene Visualität umfasst, sondern das Verhältnis zum Device – zum zusätzlichen Screen und damit auch zu einem zusätzlichen Bild – ebenfalls mitimpliziert. Von dieser Ebene ausgehend rückt deshalb etwa auch ein Faktor ins Blickfeld, den Lars C. Grabbe als „Prozeduralität“ (Grabbe 2023: 413) bezeichnet. Denn bei technischen Bildern – und augmentierte Bilder lassen sich sogar, angelehnt an Gilbert Simondon (vgl. Simondon 2012: 153) und Erich Hörl (vgl. Hörl 2011: 10) als ökotechnologische Bilder, als technische Milieus bezeichnen, denn was sie entstehen lassen, ist nicht lediglich eine Ebene des Visuellen, sondern ganze wechselwirksame Settings – haben wir es, wie Grabbe deutlich macht, mit einem „apparative[n] Konstrukt“ (Grabbe 2023: 413), einem komplexen Gefüge zu tun. Demnach generiere das technische Bild „dynamische Erlebnisräume in Abhängigkeit der je eigenen Prozeduralität“ (ebd.:414). Der Faktor der Prozeduralität macht dabei deutlich, dass sich die augmentierten Bilder insbesondere dadurch auszeichnen, dass sie nicht nur Inhalte repräsentieren, sondern zwangsläufig, wie auch Grabbe herausstellt, mit einer Indexikalität operieren.[12] Daraus ergebe sich für die augmentierte Bildlichkeit Folgendes: „Der indexikalische Status der augmentierten Bildlichkeit lässt sich als echtzeitbasierte und simulativ-interaktive Bildüberlagerung auffassen, die eine leibliche Ko-Lokalisierung im Kontext von Display, Mobilität, Realität und AR-Bildartefakt adressiert.“ (Ebd.: 419)
Versuchen wir nun vor dem Hintergrund der drei oben angeführten Arbeiten von Pascal Sender einige Charakteristika im Hinblick auf die Zeit auszumachen, dann führt uns dies zu folgenden Überlegungen. Zunächst einmal scheint – gekoppelt, wie bereits ausgeführt, an Prozeduralität sowie auch an Prozessualität – der Begriff der (instantanen) Echtzeit ein wesentliches Momentum von Mixed-Reality und ganz besonders von Augmented Reality-Formaten[13] auszumachen. Was jenen Begriff der Echtzeit jedoch prägt, ist eine nicht unwesentliche Unterscheidung im Vergleich zum Echtzeitbegriff, wie dieser etwa im Kontext des Films Verwendung findet. Zeigt sich der Begriff der filmischen Echtzeit, wie z. B. die Publikation von Stephan Brössel und Susanne Kaul zeigt, eine Fülle an komplexen Verflechtungen, die eine systematische Bestimmung des Terminus als schwierig (und bislang nur undifferenziert reflektiert) erscheinen lässt (vgl. Brössel/Kaul 2020: XII), gibt es dennoch sehr produktive Annäherungen, die dieses Phänomen beschreiben. Gehen wir zunächst von einer Minimalbeschreibung aus, dann fällt diese wie folgt aus: „Die Zeit, die das Erzählte für sich beansprucht, stimmt mit der Zeitdauer, die der Film in seiner Präsentation umfasst, überein.“ (Ebd.: XI) Auf die technologische Ebene gehoben bedeutet dies wiederum, dass wir hier von einem „Implikat einer approximativen Synchronisierung zweier Prozesse [ausgehen können]: der Informationscodierung und der Informationsdecodierung“ (ebd.: XVII). Gleichzeitig ist mit dieser Bestimmung zunächst weniger darüber ausgesagt, welche Bedingungen, Strategien, medienästhetische Prozesse, Strukturen und Effekte damit einhergehen (wie etwa Unmittelbarkeit, Effekte des Dokumentarischen, Präsenz- und Realitätseffekte oder Materialprozesse etc.)[14]. Lässt sich an dieser kurzen Skizzierung, ohne ins Detail gehen zu können, in erster Linie die Komplexität der (filmischen) Echtzeit andeuten, wird im gleichen Zuge die Notwendigkeit einer Differenzierung respektive Erweiterung im Hinblick auf augmentierte Bilder deutlich. Diese zeigt sich allem voran auf der Ebene der Variabilität, die sich in der jeweiligen Erfahrungssituation offenbart, denn die AR-Bilder gehen unabdingbar mit einer sinnlich-körperlichen (und gleichzeitig technischen) Involvierung einher. Die Bilder entstehen folglich instantan, in wechselseitiger Abhängigkeit von der jeweiligen Körperbewegung, dem Halten des entsprechenden Devices etc. D. h. bei augmentierten Bildern – ob beim Facefilter oder in der eher stärker ‚gemischten‘ Form wie in Senders „Cobalto“ und „Simooon“ – hängt das Echtzeiterlebnis unabdingbar auch mit einer situativen Singularität zusammen, die jener medialen Form inhäriert. Denn je nach Körperhaltung, je nach Abstand zum analogen Bild und in Abhängigkeit vom jeweiligen Device gestaltet sich das auf dem Bildschirm sichtbare Bild jeweils anders und entzieht sich auf dieser Weise einer mehr oder weniger dominanten Blickzentrierung. Was ebenso hinzukommt, ist die Verschränkung zwischen Sukzessivität und Simultaneität, die Gottfried Boehm als eine grundlegende Sehweise beschreibt (vgl. Boehm 1987: 22). Gehört jene Verschränkung nach Boehm zu einer grundsätzlichen Bedingung des Sehens, wird diese in Senders Arbeiten wie „Cobalto“ und „Simooon“ wiederum zu einem metareflexiven Moment, denn das Sukzessive und das Simultane können gewissermaßen voneinander differenziert wahrgenommen werden: Während das ‚physische‘ Bild als Ganzes im Blickfeld bleibt, bauen sich seine Elemente in AR peu a peu auf bzw. geraten sukzessive in den Fokus der Aufmerksamkeit. Denn, wie auch Oliver Fahle scheibt: „Die AR setzt also nicht auf das Verschwinden der referenziellen Realität, auf ihre Ersetzung durch den gerechneten Raum, sondern auf die Interaktion zwischen den zwei Ebenen der Realität.“ (Fahle 2006: 91)
4. Bichronizität
Der Terminus der Simultaneität bzw. Gleichzeitigkeit wird ganz allgemein gehäuft zwecks Beschreibung sozialer, psychologischer aber nicht zuletzt eben auch kunst- und bildwissenschaftlicher Analysen bemüht. Doch wenn wir über Gleichzeitigkeit im Kontext von augmentierten Bildern sprechen, dann tritt, wie bereits angerissen, eine ganz spezifische Ebene in den Fokus. Diese Ebene gestaltet sich dabei – wie es der vorliegende Beitrag zu nennen vorschlägt – als Bichronizität, denn Mixed-Reality-Formate operieren zwangsläufig mit zwei verschiedenen zeitlichen Momenten, die im Prozess der Bilderfahrung in Erscheinung treten. Dass ‚unsere‘ menschliche gelebte Zeit ohnehin sich alles andere als homogen oder linear gestaltet, ist auch philosophiegeschichtlich ein markanter und nicht ganz unerheblicher Topos. So spricht etwa auch Timo Skrandies davon, dass unser Leben
»[…] neben der messbaren, technischen Zeit, die die kulturelle Konstruktion eines linearen, gleichmäßigen Verlaufs ist, eine Unzahl temporaler Modi, die nebeneinanderher existieren – Zeitsprünge, Plötzlichkeiten des Kairos bzw. Epiphanien, organische Metabolismen, komplexe Simultaneitaten, zirkulare Routinen, Erinnerungen und Abschweifungen, Heterochronien etc. [kennt]. Das alles gemeinsam, eine temporale Assemblage mithin, ist der Modus, in dem wir als zeitliche Wesen existieren – und man mag das ›Realzeit‹ nennen.« (Skrandies 2020: 371)
Des Weiteren wird die radikale zeitliche Heterogenität in solchen kulturhistorisch auf eine üppige Weise präsent gewordenen Begrifflichkeiten wie Polychronie oder Multitemporalität (vgl. Hühn 2020: 269) bemerkbar, die in jüngerer Zeit beispielsweise im Konzept der Chronoferenz und der Pluritemporalität bei Achim Landwehr sichtbar wurden. Unter Chronoferenz versteht Landwehr dabei eine „Untergattung von Relationierungen […], nämlich jene, mit denen Bezüge zwischen anwesenden und abwesenden Zeiten errichtet werden« (Landwehr 2016: 150). Durchzogen seien Chronoferenzen wiederum von ‚Vielzeitigkeiten‘, von Pluritemporalität, die Landwehr wie folgt beschreibt:
»Pluritemporalität ist mithin integraler Bestandteil von Chronoferenzen, weil verschiedene Kollektive, aber auch Gegenstände oder Ereignisse zumindest potentiell dazu in der Lage sind, unabhängige chronoferentielle Eigenzeiten auszubilden. ›Die Zeit‹ ist also alles andere als eine singuläre Angelegenheit, vielmehr ist sie durch ›Gleichzeitigkeiten‹ geprägt, durch den Umstand, dass in unterschiedlichen Kontexten die Modalisierung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft jeweils neu und anders austariert werden kann – dass also immer auch andere Chronoferenzen möglich sind.« (Landwehr 2016: 156)
Erscheint es an dieser Stelle zum einen als unabdingbar, augmentierte Bilder in einer Pluritemporalität zu begreifen respektive ihre mediale Form als die Wahrnehmbarmachung einer temporalen Assemblage schlechthin zu beschreiben, erweist es sich zum anderen als unumgänglich, eine weitere Spezifizierung und Qualifizierung jener Assemblagehaftigkeit vorzunehmen.
Was die Temporalität von augmentierten bzw. Mixed-Reality-Bildern prägt, ist – so die These dieses Artikels – deren zwangsläufige Bifokalität und Bichronizität, deren zeitliche Dualität, die eine ganz spezifische Form annimmt. Um sich dieser Bifokalität und -Chronizität annähern zu können, bedarf es zunächst einer weiteren Begrifflichkeit, die inzwischen gewissermaßen zu ‚Klassikern‘ der (Zeit-)Philosophie seit dem letzten Jahrhundert gehört. Die Rede ist an dieser Stelle vom Begriff des Ereignisses. In seinem Text „Eine gewisse unmögliche Möglichkeit vom Ereignis zu sprechen“ bestimmt Jacques Derrida den Begriff des Ereignisses als „Überraschung, Unvorhersehbarkeit und Exponiertheit“ (Derrida 2003: 7). Das Ereignis sei demnach etwas, das zwangsläufig mit einer Unbestimmtheit operiert und sich schließlich jeglicher Form einer Vorwegnahme respektive grundsätzlich eines bestimmbaren Ankündigens entzieht. Zugleich wird das Ereignis als ein Einbruch verstanden, was einen Verlauf impliziert, den das Ereignis dann ‚unterbricht‘. Doch wird dieser Verlauf erst dann als solcher spürbar bzw. differenzierbar, wenn das Ereignis bereits eingetroffen ist. D. h. jene beiden Ebenen – der ‚horizontale‘ Verlauf und das ‚vertikale‘ Ereignis – resultieren erst aus diesem Moment, sie bringen sich wechselseitig hervor. Wie allerdings bereits mit Pluritemporalität gesehen, sind die jeweiligen ‚Zeitebenen‘ nicht einfach homogen, sondern entstehen relational und sind damit potentiell stets in einer wechselwirksamen Kontingenz zu begreifen. In vergleichsweise jüngerer Zeit wurde jenes Verständnis einer wechselseitigen Hervorbringung von Karen Barad und ihrem Konzept des agentiellen Realismus fruchtbar gemacht. Davon ausgehend, dass Relata nicht vor Relationen existieren (vgl. Barad 2012: 20), installierte Barad den Begriff der Intraaktion, der im Gegensatz zu Interaktion genau darauf verweist, dass es sich um eine Faltung handelt, bei der die jeweiligen Positionen nicht bereits ‚vorab‘ vorliegen, sondern erst im Moment des Ereignisses eine Ausdifferenzierung und eine temporäre Stabilisierung erfahren, damit aber zwangsläufig aufeinander angewiesen sind. Im Hinblick auf unsere Auseinandersetzung mit Zeit erscheint deshalb eine Übertragung produktiv, die das temporale Verhältnis eines augmentierten Bildes im besonderen Maße als ‚intratemporal‘ beschreibt. Auf Senders Arbeiten zurückkommend macht sich dies etwa darin bemerkbar, dass insbesondere in seinen Chronotypie- und Diary-Serien, von denen wir uns exemplarisch „Cobalto“ und „Simooon“ angeschaut haben, ganze Bildmilieus entstehen, die auf eine dreidimensionale Weise den Raum einnehmen. Doch auch hier ist es entscheidend, dass es sich um intratemporale Momente handelt, denn es wäre stark verkürzt, würden wir es so beschreiben, als würde hier zunächst lediglich ein analoges, physisch-greifbares Bild mit seiner Eigenzeit vorliegen und dann käme die AR-Schicht ‚oben drauf‘. Stattdessen ist es von entscheidender aisthetischer Relevanz, dass sich die jeweilige Arbeit komplett anders temporalisiert, sobald sie im AR-Modus in Erscheinung tritt. D. h. was wir dann als unterschiedliche Zeitmomente ausmachen können, die temporale Differenz zwischen der AR-Ebene und dem ‚analogen‘ Bild, sind bereits Resultate von einem Verzeitlichungs- und Verdichtungsprozess, der intrarelational verstanden werden muss. Und diese Auslegung erlaubt dadurch etwa auch eine Kontrastierung einer Figur, die die Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft seit Langem begleitet, wenn es um das zeitliche Verhältnis im Bild geht: Lessings Figur des fruchtbaren Augenblicks. Während es bei Lessing, wie auch Gottfried Boehm beschreibt, um ein Moment des Transitorischen geht (vgl. Boehm 1987: 13), das sowohl einen Verweis auf das Vorhergehende als auch das Nachkommende erlaubt, passiert bei augmentierten Bildern von Sender eine Form von Gleichzeitigkeit, die zwar immer wieder mögliche Momente eines Vorher und eines Nachher adressiert, aber zugleich doch ein ereignishaftes Nebeneinander bestehen lässt, das schließlich auch einen Reiz des Augmentierten ausmacht: die Gleichzeitigkeit von Zwei- und Dreidimensionalität, die An- und Abwesenheit von Volumen und räumlicher Ausdehnung im gleichen Moment. Anders formuliert heißt es, dass augmentierte Bilder – vor allem wenn wir diese wie in Senders Arbeiten als Bildmilieus verstehen, die mit zwei visuellen Modi (dem physikalisch greifbaren Bild und der erweiterten Realität) operieren – sowohl eine Zweiteilung im Sinne einer Bifokalität brauchen, als auch unumgänglich als Figurationen verstanden werden müssen, also als dynamische Gebilde, deren wechselseitige Positionierungen das gesamte Milieu prägen. Vor diesem Hintergrund erscheint es deshalb auch produktiv, den Begriff des Displays heranzuziehen, denn dieser spielt bei X-Reality zweifelsohne bereits eine große Rolle, wird aber gewissermaßen doppelt relevant, wenn wir uns mit Senders Arbeiten beschäftigen. Wie bereits skizziert, generieren Senders Werke wie „Cobalto“ oder „Simooon“ ganze Umgebungen und reagieren wiederum darauf, was im näheren Umfeld passiert. D. h. die Bilder werden unterbrochen und transformieren sich, wenn Personen durch die Kamera laufen und je nachdem, wie weit wir auf das Bild zugehen, verändern sich wie insbesondere bei „Simooon“ sowohl der Sound als auch das Bild. Die Arbeiten sind demzufolge milieusensitiv und milieugenerierend und führen uns deshalb unumgänglich zu der Frage nach dem jeweiligen räumlich-zeitlichen Setting. D. h. der Begriff des Displays wird an dieser Stelle nicht nur in Bezug auf das Device (das Smartphone oder das Tablet) relevant, sondern auch im Hinblick auf die Ausstellungs- bzw. Rezeptionssituation. So stellen Ursula Frohne, Lilian Haberer und Annette Urban die »doppelte Natur des Displays [heraus], als Trägermedium zu fungieren und zugleich Modi des Präsentierens und Kuratierens in die eigene Arbeit zu integrieren« (Frohne/Haberer/Urban 2018: 19) und bestimmen diesen, mit Rückgriff auf Beatrice von Bismarck, »als semantische Verschiebungen und ›Displacement‹« (ebd.: 19). Gleichzeitig ist es für augmentierte Bilder von entscheidender Bedeutung, dass das Display hier auf eine zweifache Weise präsent wird, denn gerade darin besteht deren mediale Spezifizität, nämlich in der Überlagerung bzw. der Interferenz der – ich nenne es an dieser Stelle – räumlich-architektonischen Situation bzw. dem Setting (stets dynamisch verstanden) und dem Geschehen, das via Bildschirm aufscheint. Und um den Bogen wieder zu schließen: ebenjene Überlagerung geht auch im Hinblick auf die Temporalität vonstatten, denn auch zeitlich betrachtet ereignet sich im Zuge des Erlebens bzw. des Moments der ästhetischen Erfahrung innerhalb dieses ökotechnologischen Gefüges eine Differenzierung, bei der die Eigenzeitlichkeit des ‚physisch greifbaren, analogen‘ Bildes zu der Eigenzeitlichkeit des augmentierten Bildes parallel verläuft, und dennoch nicht ohne den anderen Part gedacht werden kann. Auf diese Weise entsteht eine unauflösbare Verschränkung, eine Faltung, die im gleichen Zuge eine Differenzerfahrung erst möglich macht. Diese Verschränkung ließe sich als eine ikonisch-temporale Interferenz lesen, als eine Form von Intratemporalität, die deutlich macht, dass Mixed Realities nicht lediglich für sich bestehende, autonome Ebenen mit autonomen Zeitlichkeiten mischen, sondern gerade erst erststehen lassen – im Moment des aisthetischen Ereignisses selbst. Und jenes Ereignis ist eingebettet in ein komplexes Ensemble an technischen, körperlich-sinnlichen, räumlichen und nicht zuletzt eben auch zeitlichen Faktoren, die es einerseits mittragen und andererseits wiederum selbst daraus resultieren. So zeigt auch die Erfahrung mit und qua Senders Arbeiten, dass es für das sensorische Erleben zentral ist, dass die Bilder zwei Ebenen – contemporal – aufbauen, sodass die Umgebung nach wie vor präsent bleibt und nicht auf eine illusionistische Weise verschwindet und ein ganz neues radikales zeitliches Diktum auferlegt, sondern jenes Moment der differenzierenden Überlagerung spürbar werden lässt. Denn gerade die feinen Spuren des Nicht-Gänzlich-Überdeckenden, des Sich-Verschiebenden, des Auf-die-Eigenen-Bewegungen-Angewiesenen verleihen den Arbeiten ihren Reiz: das Gleichzeitige Sich-Vollends-Fügen in die Umgebung und das doch immer wieder aufkommende Brüche-Initiieren.
5. Fazit
Im Verlaufe dieses Artikels wurde einer Frage nachgegangen, die die Verschränkung von drei Begrifflichkeiten bzw. Phänomenen in den Fokus rückt: Zeit, Bild und Augmentation. Vor diesem Hintergrund wurde zunächst durch ein exemplarisches Heranziehen von drei Arbeiten des Künstlers Pascal Sender der Frage nachgegangen, welche temporalen Eigenarten sich überhaupt im Hinblick auf gegenwärtig präsente AR-Bilder nachzeichnen lassen. Im Zuge dessen wurde deutlich, dass augmentierte Bilder es auf eine spezifisch-paradigmatische Weise vermögen, nicht nur zeitliche Diversität zu operationalisieren, sondern diese (d. h. unsere Realzeit als zeitliche Assemblage) überhaupt spürbar und benennbar zu machen. Des Weiteren wurde der Gedanke skizziert, dass augmentierte Bilder nicht lediglich im Sichtbarmachen dessen ihr spezifisches zeitliches Verhältnis offenbaren (durch das Akkumulieren von etwa der Produktionszeit, der Wahrnehmungszeit, Zeit der Prozeduralität, etc.), sondern durch ihre eigene Bifokalität und Bichronizität, die damit zwangsläufig einhergeht. AR-Phänomene sind demnach stets Überlagerungsphänomene, die ein Parallelsehen initiieren und verlangen, dennoch nicht lediglich zwei ‚hermetisch-geschlossene‘, autonome Zeitstränge nebeneinanderstellen, sondern Situationen entstehen lassen, in denen jene Stränge als Resultate von intrarelationalen – intratemporalen – Momenten hervorgehen. Jene intratemporale Bichronizität, die der Beitrag vorschlug als Beschreibung fruchtbar zu machen, jenes temporale Miteinander, das sich stets wechselseitig bedingt, rückte im gleichen Zuge des Weiteren auch ein weiteres Momentum in den Fokus, das damit verknüpft ist: das Milieu. Von AR-Bildern zu sprechen heißt folglich – noch stärker als bei anderen medialen Formen – von raumzeitlichen Umgebungen auszugehen, die im Zuge dessen sowohl involviert als auch überhaupt erst generiert werden. Demnach gesellen sich zu der Frage danach, was Bilder wollen[15], auch die Fragen Wo Bilder sind und vor allem Wann sie sind, denn ihre Entstehung und damit auch überhaupt die Möglichkeit ihrer Erfahrbarkeit ist stets raumzeitlich rückgebunden. Es muss eine Lokalisierung stattfinden, die Umgebung wird gescannt, aber auch neubesetzt, räumlich sowie auch zeitlich. Auf diese Weise erfährt das skizzierte Zeit-Bild-Verhältnis bei AR nicht nur eine Verschiebung, sondern eine Pluralisierung und Multiplizierung, die uns zu vielen weiterreichenden Fragen führt, sowohl wissenschaftlicher als auch alltagspragmatischer Art. Kann derzeit nur in etwa erahnt werden, welche Möglichkeiten die ‚Erweiterung‘ auch im alltäglichen Leben nach sich ziehen wird – und Science-Fiction-Erzeugnisse wie „Peripherie“ mögen dabei nur einen Bruchteil vorstellbarer Narrationen liefern – wird uns stets auch die Frage begleiten, was es für unser Verständnis von Bild aber auch Zeit bedeutet. Welche Formen hat also jene ‚Neue Visualität‘ als Zerschichtung und Überlagerung zur Folge? Und was vermag ein in diesem Sinne collagiertes Sehen, insbesondere, wenn es das Bifokale und das Bichronische als Alltagsnorm auf Dauer stellt?
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Pascal Sender, „Facedance“, 2020, Courtesy the Artist.
Abb. 2: Pascal Sender, „Cobalto“, 2014/2020, Courtesy the Artist.
Abb. 3: Pascal Sender, „Cobalto“, 2014/2020 (AR-Ansicht), Courtesy the Artist.
Abb. 4: Pascal Sender, „Simooon“, 2021, Courtesy the Artist.
Abb. 5: Pascal Sender: „Simooon“, 2021 (AR-Ansicht), Courtesy the Artist.
Fussnoten
1 Anzumerken sei an dieser Stelle, dass in diesem Beitrag vor allem von tablet- und smartphonebasierter Augmented Reality ausgegangen wird (keine HMD basierte MR oder AR).
2 Siehe hierzu etwa Theissing 1987; Körner/von Hülsen-Esch/Reuter 2003; Gamper/Hühn/Richter 2020.
3 Hier, wie auch bei der Diskussion von Senders Arbeiten, stellt sich des Weiteren die Frage, an welcher Stelle eher von Mixed Reality gesprochen werden müsste.
4 Siehe zur Filterthematik etwa Glanz 2023.
5 Zur Thematik des Niedlichen siehe beispielsweise Kohout 2023.
6 Zur kulturhistorischen sowie medienwissenschaften Reflexion der Maske auch im spielerisch-digitalen Kontext siehe etwa Strätling 2012.
7 Hierbei lässt sich die Analogie zum Verfahren des SLAM (Simultaneous localization and mapping) aus der Robotik anführen (vgl. mathworks.com).
8 Die Information geht zurück auf ein Gespräch mit dem Künstler am 10.08.2023.
9 Siehe hierzu etwa Grave/Holm/Kobi/Eck 2018.
10 Zum Begriff des Gefüges siehe Deleuze/Guattari 1992 sowie auch Chernyshova 2023.
11 Theissing bezieht sich hier auf Dittmann 1977: 94 sowie Dittmann 1980: 133.
12 Damit hängt nicht zuletzt der Punkt zusammen, dass erweiterte Bilder auf eine explizite Weise Gegenwärtigkeiten erzeugen, sodass sich hier eine Verbindung zu weiteren Begrifflichkeiten bzw. Diskursen wie dem der Kontemporanität oder Kontemporalität anbietet, die in verschiedenen Kontexten auch jüngerer Zeit Präsenz finden. So ist etwa bei Peter Osborne Kontemporanität als „problematisierte historische Zeitlichkeit einer globalen kapitalistischen Moderne“ (Osborne 2006: 147) zu verstehen. Bei Dean Komel wird daneben der Begriff der Komtemporalität im Anschluss an Edmund Husserl, Friedrich Nietzsche, Martin Heidegger, Giorgio Agamben u. a. als ein spezifischer philosophischer Fragehorizont begriffen, der sich ganz grundlegend mit der Frage von Zeitgenossenschaft, ‚Kon-präsenz‘ und Gleichzeitigkeit beschäftigt (vgl. Komel 471).
13 Hier scheint es wichtig zu erwähnen, dass das Verständnis von Echtzeit variiert, wenn wir unseren Blick auf künstlerische Produktionen werfen. Während manche Arbeiten das Generieren des Bildlichen im Moment der Rezeption ermöglichen, greifen andere wiederum auf bestehende ‚Sequenzen‘ zurück, die dann ‚videoartig‘ abgespielt werden.
14 Zu Materialzeit siehe Skrandies 2020.
15 Die Frage orientiert sich hier an Mitchell 2005.
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Citation
Svetlana Chernyshova: Bilder auf Zeit. Zur Bichronizität von Augmented Reality in künstlerischen Settings. In: IMAGE. Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft, Band 39, 20. Jg., (1)2024, S. 103-125
ISSN
1614-0885
DOI
10.1453/1614-0885-1-2024-16221
First published online
März/2024