Visuelle Tropen

Von Hans J. Wulff

Abstract

Die Idee der Tropen, die ursprünglich aus der antiken Rhetorik stammt und die Ersetzung eines sprachliche Ausdrucks durch einen anderen, nicht-synonymen Ausdruck aus einem anderen Bedeutungsfeld vorsieht, zeigt sich bei der Übertragung auf visuelle Darstellungen als komplex. Dies liegt nicht nur an der anderen Art des referentiellen Bezugs von Bildern im Vergleich zu sprachlichen Zeichen, die konzeptueller und abstrakter sind, sondern auch daran, dass Bilder stets als Kombination verschiedener Elemente (Realia und Strukturen) erscheinen. Selbst eine kurze Betrachtung von Beispielen visueller Repräsentationen zeigt, dass eine Rückführung auf “eigentliche Bedeutungen” (ob inhaltlicher oder formaler Natur) stets auf der Grundlage kulturellen Wissens erfolgen muss. Die dabei angenommenen Bildformen gehören dann zur Phänomenologie kultureller Wissenseinheiten und nicht zur Produktivität der Sprache. Auf der Basis von Modellen aus der linguistischen Semantik und der kognitiven Semiotik wird vorgeschlagen, sogenannte Handlungsrollen als phänotypische Elemente visueller Darstellungen kultureller Einheiten zu erfassen, beispielsweise in der Jazz-Bildgestaltung und der für den Jazz essenziellen Performativität – von Akteursrollen (Solisten, Gruppen, Orchester) über Instrumente und Ortsdarstellungen von Publikum bis hin zu den ursprünglichen und aktuellen Lebenswelten des Jazz.

The concept of tropes, originally from ancient rhetoric, which proposes replacing one linguistic expression with another non-synonymous one from a different semantic field, proves complex when applied to visual representations. This complexity is not only due to the different referential nature of images compared to linguistic signs, which are more conceptual and abstract, but also because images always appear as a combination of various elements (realia and structures). Even a brief examination of visual representation examples demonstrates that a return to “actual meanings” (whether of content or formal nature) always depends on a foundation of cultural knowledge. The assumed image forms then belong to the phenomenology of cultural knowledge units, not to the productivity of language. Based on models from linguistic semantics and cognitive semiotics, it is suggested to capture so-called action roles as phenotypic elements of visual representations of cultural units, for instance in jazz imagery and the essential performativity of jazz – from actor roles (soloists, groups, orchestras) to instruments, locative depictions of audiences, to the original and current life worlds of jazz.

1. Einleitung

Der Blick auf die visuellen Repräsentationen des Jazz der Zeit ist selten versucht worden. Erste Hinweise zur ikonographischen Analyse finden sich in Robert L. Kendricks Iconography (vgl. Kendrick 2013). Auch Heymans Untersuchung der ikonischen Darstellungen des Bassisten Jimmie Blanton analysiert Blanton selbst als Zentrum eines assoziativen Wissenskerns, deren Elemente er als „Tropen“ isoliert und terminologisch fasst, Wissenselemente, die sich auch in verbalen Darstellungen Blantons manifestierten (vgl. Heyman 2015). In eine ähnliche Richtung geht der Gebrauch der Bezeichnung cultural trope als Nomination eines allgemeinen, assoziativ mit Musikern verbundenen Horizontwissens.

In der Durchsicht der wenigen möglicherweise analyseleitenden Literatur stößt man auf eine Quelle, die voller Selbstgewissheit von „visuellen Tropen“ spricht:

Perhaps the visual trope of jazz, as it was envisaged during the 1940s and 1950s, continues in the proliferation of jazz as a sociocultural construct and the utilization of jazz as promotional material that markets specific products throught to exemplify characteristics found in jazz (Plastino 2021: 369)

Schnell ist klar, dass die Frage nach visuellen Tropen nicht identisch ist mit der nach einer visuellen Rhetorik – letztere folgt immerhin der Idee, dass es Aufgabe der rhetorischen Kommunikation sei, den Rezipienten zu beeinflussen, ihn zu lenken, ihm Schlussfolgerungen nahezulegen. Der Tropus dagegen fragt nach Bedeutungsbeziehungen, sieht von der pragmatischen und situativen Bin­dung des Äußerns weitestgehend ab.

2. Von Tropen und visueller Rhetorik

Tropus ist eine Bezeichnung der klassischen Rhetorik und ist ein Überbegriff für bestimmte Klassen rhetorischer Figuren (sprich: sprachlicher Stilmittel). Man versteht darunter die Ersetzung eines Ausdrucks durch einen anderen, der allerdings nicht synonym, sondern einem anderen Bedeutungsfeld zugehörig ist. Die bekanntesten Tropen sind

  • Metapher
  • Ironie
  • Metonymie
  • Synekdoche

und machen zugleich den Hauptteil der semantischen Figuren aus, zu denen neben den genannten Tropen noch folgende Formen gehören

  • Pleonasmus [Häufung sinngleicher oder sinnähnlicher Wörter / „weißer Schimmel“]
  • Oxymoron [Zusammenstellung zweier sich widersprechender Begriffe / „bittersüß“]
  • Hysteron proteron [wenn das Spätere vor dem Vorangehenden steht] (vgl. Meuthe 2003; Dux 2009)

Eine größere Diskussion über die Rolle von Tropen in der Formation insbesondere von poetischer Sprache, in der semantischen Produktivität von Sprache, aber auch in der wirkungsmächtigen und aufmerksamkeitssteuernden Rolle von Tropen in der Werbesprache findet kaum statt, wenn man die ausufernden Überlegungen zur besonderen Ausprägung von „Metapher“ ausnimmt.

Eine Übertragung des semantischen Konzepts des Tropus auf andere semiotische Mittel menschlicher Kommunikation (im Folgenden: Film / Bewegtbild, Photographie / Standbild, in Teilen auch: Bildende Kunst / Malerei, Plastik) läuft immer Gefahr, die in der ursprünglichen Definition beteiligten semantischen Elemente auf anders konfigurierte semiotische Systeme zu übertragen. Vor allem in der amerikanischen Kritik ist die Rede von visual tropes im Rahmen einer visual rhetoric heimisch geworden [vgl. zur „visuellen Rhetorik die Überlegung, dass selbige auf zwei konkurrierenden Annahmen aufgebaut sei: „firstly, by providing an understanding of visual rhetoric through tropes and figures; and secondly, by interpreting pictures as texts that are read and decoded in the same way as words“ (Kjeldsen 2018: 69)]. Hier werden wiederum die eigentlich der rhetorisch-linguistischen Tradition der „Tropen“ (wie der Metaphern) und der „Schemata“ (wie von Reimstrukturen) als vom Verbalen ins Visuelle übertragbare Konzepte behandelt. Tropen sind so bedeutungstragende Einheiten eigener Struktur, wogegen Schemata (manchmal auch: „rhetorische Figuren“ im engeren Sinne) bedeutungsmodifizierende Qualitäten der Einheit der Rede sind, die durch formale Modulation hervorgebracht werden.

In der „visuellen Rhetorik“ fasst man den Tropus oft als „a universally identified image imbued with several layers of contextual meaning creating a new visual metaphor“ (Rizzo 2015: 513; vgl. auch Forceville/Urios-Aparisi 2009; Gal 2022) – also Bild + kontextuell erzeugte Bedeutung = neue visuelle Metapher. Viel allgemeiner wird Tropus aber auch ausgewiesen als figurativer Gebrauch eines Bildes als Symbol, auf diese Weise ein Konzept repräsentierend. Wenn beispielsweise im Propagandafilm Gestern und heute (Deutschland 1938, Hans Steinhoff) das „Gestern“ durch stillstehende Fabriken, das „Heute“ durch rauchende Schlote repräsentiert wird, könnte man so von einer Trope sprechen. So ließe sich das Ende eines Krieges symbolisieren durch Bilder einer Straße, die gerade noch heftig umkämpft war, die nun aber von Menschen belebt ist, die aus den Ruinen kommen, vielleicht sogar schon aufzuräumen begonnen haben. Manchmal wird auf viel weitreichendere Bedeutungshöfe ausgegriffen. Ein berühmtes Beispiel ist das Motiv des „Aufbrüllenden Löwen“ in Eisenstejns Bronenosets Potemkin (Panzerkreuzer Potemkin, UdSSR 1925): Als Abschluss der Sequenzen, mit denen das Blutbad auf der Odessaer Treppe gezeigt wird, ist ein sich aufrichtender steinerner Löwe eingeschnitten. Mit dieser Sequenz wurde ein Vorgang in seiner ganzen dramatischen Wucht plastisch bildhaft erzählt. Die drei dokumentarisch gefilmten Löwen der Treppe des Alupka-Schlosses wurden durch die Montage zur Chiffre der historischen Aktion des Panzerkreuzers und des Beginns der Revolution (vgl. Klejman 1993). Verwiesen sei auch auf den Politthriller The Day of the Jackal (Der Schakal, Großbritannien/Frankreich 1973, Fred Zinnemann), in einer achtminütigen Sequenz der mit der Erschießung des Attentäters, der Parade der Veteranen und einem Bild eines Steinlöwen vor dem Ministerium endet, hier die Stein gewordene Macht des Staates repräsentierend (vgl. Wulff 2013).

Letzteres Beispiel deutet schon darauf hin, dass die visuelle Realisierung einer tropischen Struktur angewiesen ist auf die verstehende, das Gesehene in Konzeptuelles transformierende Tätigkeit des Zuschauers. Schon der sprach­liche Tropus ist Teil eines symbolischen Denkens, das dem Imaginierenden näher steht als dem Visualisieren, weshalb George Bluestones Bedenken, eine Umwandlung einer sprachlichen Metapher „into a literal image, the metaphor would seem absurd“, zuzustimmen ist (Bluestone 1957: 22). Das Tropische im Film basiert wohl tatsächlich auf Bildfolgen, die mit Auslassungen operieren (wenn etwa ein Mann durch eine Tür hindurch erschossen wird und man nur die splitternden Einschläge der Kugeln in die Tür sieht) oder auch mit Substitutionen (wenn etwa ein Paar in inniger Umarmung am Strand sich zu Boden glei­ten lässt, die Kamera gleichzeitig noch oben schwenkt und das wilde Spiel der Wolken einfängt oder, in einer anderen Szene, wenn sie auf das Feuer im Kamin abschwenkt, die elliptisierte Bedeutung ebenso realisierend wie die Funktion des Cutaway). Beide Beispiele sind ebenso handlungsbasiert wie textfunktional, bedürfen der Vorstellung der Handlung, die nur partiell repräsentiert wird und in der Rezeption durch Ergänzungsoperationen ausgearbeitet werden muss.

Damit verlagert sich auch die Untersuchung der semantischen Qualitäten von Tropen, die im Fall sprachlicher Untersuchung meist auf Größen wie Wörter oder kurze Phrasen beschränkt sind, auf viel globalere Bedeutungshori­zonte und -höfe. Auch ganze Texte können Beziehungen der Uneigentlichkeit eröffnen, doch spricht man vernünftigerweise dann von Allegorien, Parodien, (drama­tischen) Ironien und ähnlichem. Zentral ist heute zwar die Bezugsgröße des Textes, einer Zeicheneinheit, die aber als verselbständigt vom außerliter­arischen Kontext ebenso wie von den pragmatischen Verbindungen von Text und kommunikativ-situativem Kontext gefasst ist. Den Text solchergestalt als analytische Bezugsgröße anzunehmen, hat erhebliche Konsequenzen: Man handelt sich damit eine Selbstbeschränkung ein, die bereits im Semantischen Kontextbin­dungen unterstellt und die Einbindung textueller Strukturen in kom­munikative Beziehungen und Handlungen außer Acht lässt. Denn in der Konstitution und Entfaltung textueller Bedeutung geht es nicht mehr primär oder gar allein um Bestimmung und Beschreibung relationaler Beziehungen zwischen Elementen wie im Falle der Tropen, die im Material selbst benannt und bestimmt werden können, sondern vielmehr um Prozesse des Schlussfolgerns und der Wissenserschließung (mit allen Relativitäten und Unterschieden, die sich nur in empirischer Arbeit bestimmen lassen). Und gerade im textuellen Gefüge geht es oft auch um die Reflektion der Produktivität der tropischen Potenziale der Sprache (traditionell oft als rhetorische inventio bezeichnet).

Die Überlegung hat allerdings weiterhin die Implikation, dass für eine tropo­logische Untersuchung nur elementare Zeicheneinheiten sinnvolles Material abgeben können, im Falle der Tropen als die Relation von Eigentlichem und Uneigent­­lichem. Gleichwohl bleibt bei Bildern – vor allem in Kombination mit Bildtiteln – die Frage offen, ob das Bild mittels der Titel in Bedeutungsräume geöffnet werden kann, die weit über tropische Beziehungen hinausweisen. Wenn ein Pressefoto ein schwarzes und ein weißes Pferd zeigt, die auf einer Weide herumtollen, öffnet die Bildunterschrift „Sicher kein Bild aus Südafrika!“ den semantischen Horizont des Bildes hin zum Diskurswissen über „Apartheid“, was man dem Bild selbst nicht ansehen kann. Auch Magrittes berühmtes Pfeifenbild „Ce n‘est pas un pipe!“ zieht einen Bedeutungsimpuls in das Bildverstehen ein, der dem Bild selbst nicht innewohnt und sich in der semantischen Interpretation des Bildes nicht einstellt.

Natürlich gibt es Versuche, das Tropische in die Felder des Visuellen (etwa in Photographie und Film) zu verallgemeinern. So schreibt Annette Deeken (in einer Bemerkung zu Hans Richters Überlegungen zum „Filmessay“), gerade Insignien der Moderne ließen sich in der Form von Filmen finden, „deren ästhetische Form auf visuellen Tropen beruht, auf optischen Wendungen, deren Dynamik sich zu einer Eigenlogik verdichtet und dadurch Sinnhaftigkeit zu erzeugen scheint“ (Deeken 2001: 515). Mit einer solchen Verallgemeinerung verliert natürlich das Tropische seine Prägnanz und seine detaillierte Beschreibbarkeit, wird zu einer reinen Anmutungsqualität.

Eine ganze Reihe andere Überlegungen (etwa in den Katalogen der „TV-Tropen“) nehmen das Tropische weniger als semantische denn als syntaktische Qualität, etwa als Technik der Akzentuierung (wenn ein Blickkontakt herausgestellt werden soll, kann man ihn durch ein Sonderlicht auf die Augenpartie herausheben). In anderen Zugängen sind derartige Techniken als „Figuren“ von den eigentlichen „Tropen“ getrennt – Figuren enthalten vor allem formale, meist materialgebundene Hinweise auf die Repräsentationsform selbst (neben der Akzentuierung durch Licht oder die [manchmal minimale] Veränderung der Laufgeschwindigkeit werden auch Farbmodulationen, SW-Farb- oder Postiv-Negativ-Kontraste, Veränderungen der Körnigkeit, manche Veränderung des Caches und vieles andere mehr in der Praxis der filmischen Signifikation verwendet). Figuren werden völlig zu Recht als Markierungen durch und am Material beschrieben, die als semantischer Hinweis aufgelöst werden müssen. Nur wenn das Filmmaterial selbst als ungeordnete Folge von Filmen verschiedener Empfind­lichkeit, als ungeregelte Folge von Farb- und SW-Filmmaterial komponiert ist, bricht die Markierungsfunktion und die semantische Erklärbarkeit der Materialmodulation zusammen (eines der wenigen Beispiele ist Louis van Gasterens Biopic Hans: het leven voor de dood [Niederlande 1983] über den Beatnik Hans van Sweeden, weshalb man die Anomalie des Materialmixes durchaus mit dem ästhetischen Programm des Porträtierten zusammendenken kann [und muss]).

Einen Versuch, explizit visuelle von verbalen Tropen zu unterscheiden, auch wenn sie Einflüsse der einen auf die anderen und umgekehrt konstatieren, bilden eine Reihe von Untersuchungen zur politischen und zur Werbekommunikation. Zu den explizit visuellen Tropen rechnen dort synthetische – etwa mit Photoshop erzeugte – Mischbilder (z. B. von Christus und einem Panzer), deren Bedeutung auf einer Kollision von Teilbild- oder Objektbedeutungen basieren (vgl. Hariman/Lucaites 2008). Der Ausgangspunkt der Argumentation von Hariman und Lucaites, deren Überlegungen das Beispiel entnommen ist, ist die Annahme, dass die Kommunikation von Emotionen und Emotionalität ein Primum der visuellen Kommunikation sei. Sie nehmen „the Face, the Figure, the Form, and the Sign“ als master tropes emotionalen Ausdrucks, die selbst modifiziert werden können „by cognitive operations such as metaphor and by visual inflections such as color, entrainment, homology, and reproduction“. Und in allen Variationen verweisen sie auf stilische Konventionen von „modernism, late-modernism, and postmodernism“, sind so also immer eingebettet in einen Horizont umfassenderer stilistischer Usancen (Hariman/Lucaites 2008: 52). Das Modell bezieht auch solche formalen Strategien der Aufmerksamkeitslenkung in den Katalog der Tropen auf, wie sie z. B. im Werbedesign verwendet werden, indem leere (weiße oder monochrome) Flächen auf jeden Fall Aufmerksamkeit auf sich ziehen (vgl. Pracejus/Olsen/O’Guinn 2006) – andere Ansätze würden diese graphisch-kompositionelle Strategie den „Figuren“ zurechnen. Das Beispiel möge illustrieren, dass die Grenzen zwischen Tropen und Figuren sehr unscharf sind. Harimans und Lucaite’ Analyse ist vor allem auf die Untersuchung der visuellen Kanäle der politischen Kommunikation ausgerichtet. Ob für die Analyse allerdings das Modell der Tropen – vor allem in der vorge­schlagenen vierteiligen Grundgliederung – hilfreich ist, sei in Frage gestellt, weil schon die emotionale Ausdruckspotenz des Gesichtes hier in einen semantischen Zusammenhang gezwungen wird, der genauer befragt werden muss.

Fast wie eine Applikation der erwähnten Thesen von Harriman/Lucates wir­ken die Überlegungen Marta Zarzyckas zur Tropologie der Bilder des World Press Photo Conests (2011), in der sie u. a. herausarbeitet, dass das Motiv der „Trauernden Mutter“ mit großer Sicherheit emotionale Reaktionen von Jury und Publikum angesprochen habe – wobei aber auch hier die Frage nach dem Tropencharakter des Bildmotivs aufgeworfen werden muss oder ob es sich lediglich um ein thematisches Bildsymbol handelt (in der Art der berühmten Pietà-Szene, vgl. Zarzycka 2013). Die Überlegung reicht wesentlich weiter, weil sich die Frage stellt, worin der „eigentliche“ Bildinhalt besteht – ist es die Mutter oder die Trauer? Oder die Einheit beider, weil Trauer ikonisch nicht visualisiert werden kann, wenn sie nicht als Ausdrucksgeste realisiert ist. Ein Bild Weegees zeigt eine Szene im Leichenschauhaus: einem Zeugen oder Angehörigen wird die Leiche eines Opfers gezeigt; man sieht nur die Reaktion des Zeugen, das Gesicht der Leiche wird vom Leichentuch verborgen. Das Szenario-Wissenmacht den Anblick des oder der Toten eigentlich überflüssig, weshalb das „szenische Zentrum“ (z. B. in TV-Krimis) die Reaktion des Besichtigers ist; alles andere kann vom Kontext indiziert werden, auf den Anblick des oder der Toten könnte in Gänze verzichtet werden: Die Reaktion indiziert Art und Intensität der Beziehung zwischen Opfer und Zeuge. In Martin Nies‘ Überlegungen zur Bildsemiotik heißt es, dass das Bild der Pietà-Szene „zwar ohne Kontextualisierung nicht etwas anderes bedeuten [kann], als es darstellt, aber sehr wohl Konnotationsräume eröffnen, die zusätzliche Bedeutungen offerieren“ (Nies 2008: 399). Nun ist die Rede von „Konnotation“ meist nicht formal gefasst (im Sinne eines formal Mit-Notierten), sondern als mehr oder weniger freie und je nach Kontext variierbare Assoziation und basiert gerade nicht auf einer Relation von Eigentlich- und Uneigentlich-Gemeintem. So würden sich Konnotationen aus dem Bedeutungskreis des Tropus entfernen. Allerdings lässt sich die Überlegung auf die Grund­orientierung der Bildanalyse anwenden – als Argument für eine thematische und eine assoziationistische Gliederung der Beschreibung. Beide be­­dürfen eines Grundes, die Bild und Horizont verbinden; und beide können dabei auf ma­ter­iale, formale und durch kulturelle Lerngeschichte entstandene Qualitäten aufbauen. Die für Tropen so zentrale Bestimmung von Uneigentlichkeit entfällt. Sie wird ersetzt durch Beziehungen anderer Art.

Das Problem betrifft viele Beispiele. Auch das Thema der „weinenden Frau“, das Zarzycka an anderer Stelle (Zarzycka 2014) als Trope interpretiert, die durch tiefe kulturelle Konzepte der Melancholie motiviert sei, ist bei genauerem Hinsehen eine Verallgemeinerung der Tatsache, dass Bilder in indexikalischem Gebrauch über das Dargestellte hinaus Bedeutungen tragen, die ihrerseits aber nicht dem Tropischen zugehören, sondern auf der Zugehörigkeit von Bildern zu stereotypen Bildformen und -gegenständen basiert, die die Bilder z. B. als „historisches Material“ liest (eine Interpretation, die ihrerseits auf der Wissensbasis der Rezipienten beruht) – zur Vermischung von „Thema“ und „Tropus“ vgl. Ings 2009: 10; Ings nimmt die Slum-Aufnahmen DeCaravas als „Tropen“, die klar den Bildern des „weißen“ Manhatten entgegengesetzt seien. Auch Blair 2018 nimmt stereotypisierte Bildbestände als „Tropen“, die zum gesellschaftlichen Lernfeld werden und Teil des gesellschaftlichen Wissens über Strukturen urbaner Modern­ität und ihrer inneren Konflikte werden. Auch hier geht es um eine Differenz der Zeitstufen, die natürlich selbst wieder Teil der visuellen Rhetorik sein kann – ohne dass das Material selbst zur Trope werden müsste. Ein Beispiel ist Gillo Pontecorvos historischer Abenteuerfilm Queimada (Italien/Frankreich 1969), in dem die Aufnahmen der Arbeit in einem karibischen Hafen am Ende des Films der Realität der 1960er-Jahre entnommen zu sein scheinen, wogegen der Film mehr als hundert Jahre vorher spielt – ohne dass die indexikalische Differenz explizit angezeigt wäre und ganz dem Visuellen zugehört (vgl. Wulff 2004).

Ein eigener Typus der visuellen Tropen ist die Synekdoche, die Ersetzung eines Wortes durch einen Begriff aus demselben Begriffsfeld mit engerer oder weiterer Bedeutung ersetzt werden, meist durch einen Ober- oder einen Unterbegriff. Es geht hier um ein Mit-Meinen, wenn etwa aus einem Kartenausschnitt Teilfelder farblich herausgehoben werden (vgl. Reisigl 2016: 48). In der Jazz-Photographie würde man ein leeres Klavier, das ein Konzert von Keith Jarrett ankündigt oder eine Plattenaufnahme, als synekdochische Bezugnahme auf Konzert oder Platte (oder Jarretts Musik im allgemeineren) interpretieren. Auch in diesem Beispiel geht es um ein semantisch weiteres (und auch anderes) Mit-Meinen, das nur durch den Rezipienten, sein Wissen, seine situative Befindlichkeit und sein Wissen erschlossen werden kann.

3. Von Handlungsrollen und Kasusrahmen

Wieder nötigt diese Tatsache zu einer Umorientierung der Kernannahme, die der Untersuchung des Tropischen entgegengehalten werden muss. In allen bisherigen Überlegungen steht ein „eigentliches“ Element einer Äußerung als Annahme einer primären Signifikation vor ihrer „uneigentlichen Repräsentation“ als Trope. Schon die Diskussion der linguistischen Ausprägung des Tro­pischen wendete sich seit den 1940er-Jahren, massiv dann seit den 1960er-Jahren der Modellierung der Wissenshorizonte und -bestände jenseits der konkreten Äußerung zu. Eine ganz andere modellhafte Vorstellung uneigentlicher Repräsentation ist z. B. die Kernannahme der Kasusgrammatik (und ihrer Varianten): Hier ist nicht die Äußerung, sondern der Horizont des kulturellen Wissens und seine Realität als netzartiger Komplex von Wissen vor allen Äußerungsakten, die ihrerseits Bezug auf den zentralen Kern des Netzes ausüben können, weil der Kern das assoziative Zentrum einer absehbaren Menge von Kasusrollen bildet. Andere Modelle sind z. B. das „Assoziative Feld“, das jedes Wort in ein Beziehungsnetz anderer Worte bzw. semantischer Konzepte einbettet; ich habe nach dieser Vorstellung die konzeptuellen Wissensgrößen von „AKW“ und „KKW“ als konträre Wissenshorizonte über den gleichen Gegenstandsbereich nachzuzeichnen versucht (vgl. Wulff 1985). Auch das Modell der „Frames“ aus der KI-Forschung dient der Model­­lierung von Wissenskontexten; es ähnelt manchem der Kasusgram­matiken, weil es ebenso wie diese „Kasusrollen“ umfasst (vgl. Minsky 1975). In der Kommunikationswissenschaft wird visual framing inzwischen als inte­gratives Verfahren, mit dem visuelle und sprachliche Botschaften in der Rezeption auf Interpretationsmuster treffen, mit denen sich Informationen sinnvoll einordnen und effizient verarbeiten lassen, weil sie durch Gestaltung und Inszenierung sowie durch ihre das Ziel verfolgen, die Deutlichkeit von visuellen Reizen (ihre Salienz) zu steigern und sie so für den Rezipienten zu vereindeu­­t­­­igen. Gegenüber dieser holistischen Sichtweise ist das Tropenkonzept auf sehr viel kleinteiligere semiotische Einheiten bezogen (vgl. zu diesem Gesamtkomplex Geise/Libinger/Brantner 2015 sowie Scheufele 2004).

Die Kasusgrammatik gewendet auf ein Beispiel: Im Falle der Bilder des Jazz‘ sind es die Akteure, die Instrumente, die situativ-szenischen und sogar le­bensweltlichen Kontexte, die das Netz indizieren können. Und natürlich gehören auch pragmatische Konditionen zur Bedeutungskonstitution (das Bild eines Saxophonisten auf nächtlicher Straße evoziert im Akt der verstehenden Interpretation auf einem Plattenlabel oder in einem Jazzfilm eine andere Abschattung des Netzes als das gleiche Bild in einem Film oder Bildband über das Leben im nächtlichen Berlin).

Die Kasusgrammatik benutzt „Semantische Rollen“, die die verschiedenen Akteure einer meist durch ein Verb bezeichneten (Handlungs-)Situation erfassen und als Rollenakteure voneinander unterscheiden. In der Fassung von Fillmore werden die folgenden „Tiefenkasus“ unterschieden (vgl. Fillkore 1968):

  • Agens [Verursacher, primärer Akteur einer Handlung]
  • Instrumental [nicht-menschlicher Akteur einer Handlung oder eines Geschehens]
  • Patiens [oft auch: Objektiv; Ziel einer Aktion]
  • Dativ [auch: Rezipient, Benefaktiv, Adressat; der von einer Aktion betroffene, aber passive Mitspieler]
  • Lokativ [Ort der Handlung]

Da es hier nicht um die linguistische Problematik des Zusammenhangs semantisch-konzeptueller Tiefenstrukturen und sprachlicher Ausdrucksformen geht, sondern um die konzeptuelle Auflösung der Bedingungen visueller Uneigentlichkeit, ist die Vorstellung einer konzeptuellen Wissenseinheit, die die Interpretation partieller oder indirekter visueller Repräsentation ermöglicht, erleichtert und steuert, schnell auf die Elemente der visuellen Repräsentation applizierbar. Wenn man performance oder „Musizieren“ (im Kontext der Jazzkultur) als Kern des konzeptuellen Wissenskomplexes akzeptiert, der die Interpretation der visuellen Repräsentationen steuert, lassen sich leicht „Tiefenkasus“ ausmachen (die denen der sprachlichen tiefenkasuellen Einheit durchaus korrespondieren).

Näher an der obigen Überlegung, dass die oft sogenannten Tropen durch den Rezipienten aufgelöst werden und zur Einheit des eigentlich Gemeinten ausgeweitet werden müssen, sind die Strategien der Pars-pro-toto-Repräsentation. Gerade sie spielen in der Repräsentation von musikalischer Performanz auf Plattencovern, Film-Standbildern, Werbepostkarten, Pressephotos und ähnlichem eine wichtige Rolle. Bildet das Spiel der Musiker die Bezugsgröße, die mittels des Bildes evoziert und aktiviert wird, lässt sich schnell zeigen, dass neben

  • Porträts der Musiker, einem eigenen Wissenskontext wie den Stardiskursen zugehören oder die in Filmen wie in den Fluss der Aufnahmen eingearbeitete Star-Bilder wirken (gleichgültig, ob es sich um Solisten oder Gruppen handelt),
  • ebenso wie Bildern der spielenden Musiker (meist in solistischen Einlagen auch zahlreiche andere auf das Spiel bezogene Bilder genutzt werden:
  • die Gesichter der Musiker im Spiel, die das Ausdruckspotenzial des Gesichtes nutzen, etwa um die Anstrengung, die Konzentration, die Intensität der körperlichen Zuwendung zum Instrument zeigen; es können aber auch
  • Ganz- oder Teilkörperaufnahmen, die die körperbezogene Hingabe an die Musik oder den Vollzug des Spiels repräsentieren, die ganze Figur als Ausdrucksmedium nutzen (man denke die Verklammerung mit dem Instrument, die Glenn Gould in vielen performance-Aufnahmen anzustreben scheint).

In beiden Fällen geht es so nicht um eine Repräsentation der Musik, sondern um eine solche des musizierenden Vollzugs (vermittelt durch den Körper des Musikers resp. sein Ausdrucksverhalten). In der Untersuchung politischer Kommunikation könnte es noch einleuchten, die Emotionalität des mimischen Ausdrucks eines Akteurs als „tropische Erweiterung“ des diskursiven oder argumentativen Wertes der verbalen Kommunikation zu lesen, als werde das (verbale) Argument durch die Emotion des Ausdrucks überlagert und modifiziert. Aber es geht höchstens um Modifikation, nicht durch einen Übergang ins Uneigentliche (das könnte nur das Gesamt und die Einheit der verbalen und der nichtverbalen Komponenten des Äußerungsaktes in toto betreffen, etwa bei rhetorischen Fragen oder widersinnigen Behauptungen).

Für die Analyse von Darstellungen musikalischer performances entfällt natürlich der diskursiv-rhetorische Rahmen der Äußerung. Gleichwohl ist der Rahmen hilfreich, den man mithilfe des Konstrukts der Kasusrollen aufspannen kann.. Er ermöglicht die Erfassung einer ganzen Reihe von Tätigkeiten des Ergänzens und Auffüllens, der Expansion und der Imagination, die ohne die Doppelorientierung des Tropischen auskommen. So referieren manche

  • Ausschnittaufnahmen auf das Instrument, seine Bearbeitung, die Art des Festhaltens (und der Betätigung der beweglichen Teile) auf die Ganzheit der performance; und sie bilden zugleich einen Fokus auf die besonderen Fertigkeiten, die den Musiker auszeichnen (als Posaunisten, Pianisten, Trompeter usw.); sie exemplifizieren vielleicht die Perfektheit und Brillanz des Spiels; in letzterer Hinsicht setzen sie zudem einen analytischen Akzent, weil sie das Wesen des Solisten (bzw. des Betrachterwissens über ihn) essentialisieren (man könnte Kenny Garrett nicht mit einem Trompetenbild repräsentieren!).
  • Auch stereotype Bildkompositionen (etwa: mehrere Musiker einer Big Band als line von der Seite aus photographiert) werden verwendet, die sich auch in den Jazzfilmen finden, die die Synchronizität des Gruppenspiels anzeigen (und gerade nicht die Freiheit der Improvisation). Auch derartige formelhafte Arrangements der Musizierenden mag man einer erweiterten Vorstellung der visuellen Tropen zurechnen, weil sie Bedeutungen – hier: den Charakter des Zusammenspiels als Eigenschaft der Musik bzw. der performance – anzeigen, die dem Bild nicht innewohnen, sondern die nur über die Vermittlung des Wissens um die eigentliche Aufführung erschlossen werden können.
  • Selbst Aufnahmen des Publikums oder stereotyper Straßen- und Stadtansichten lassen sich als eine Art „erweiterter Lokativ“ (abgeleitet aus dem Wissen über die soziohistorischen Realitäten des Jazz) interpretieren.

Vor allem Photos historischer Jazz-Lebenswelten werden oft als „Tropen“ bezeichnet; gemeint ist allerdings nur die Stereotypie der Darstellung und die Erkennbarkeit des Alters der Abbildungen (und/oder des Abgebildeten); die Bilder werden als Index eingesetzt, nicht aber als Tropen (vgl. White 2017). Die Beobachtung betrifft ein zentrales Problem der Bildanalyse. Wenn also Alessa K. Paluch (2022: 12) „beiläufige“ von „ikonischen Bildern“ voneinander scheidet und ersteren z. B. Plattenbau-Bilder zurechnet, die aufgrund von Konvention das Gesehene mit spezifischen Milieus identifiziere, so blendet sie die manchmal essenzielle visuelle Darstellung der Handlungsräume aus der Signifikation sozialer Bedingungen und Horizonte aus (man denke an italienische und englische Filme der 1960er-Jahre und zahllose TV-Filme, die in Plattenbau-Welten spielen). Die Repräsentation mag „beiläufig“ sein (wird aber bildkompositorisch oft genug akzentuiert), bleibt dabei jedoch eine „ikonische“ Repräsentation. Gegen Paluchs Unterscheidung sei auch auf Fabienne Liptays Überlegung hingewiesen, Filme seien „immer schon mehr oder anderes als visuell verfasste Geschichten. Sie sind narrative Entfaltungen von Bildlichkeit – von dynamischen Vorstellungskomplexen, die Rückschlüsse auf ästhetische und technische, soziale und politische Aspekte der Wahrnehmung und Verwendung von Bildern erlauben“ (Liptay 2016: Abstract).

Manche Elemente des Korpus tragen als formale Qualitäten der Aufnahme zur thematischen und modalen Charakteristik des Bildkorpus bei.

  • Auffallend sind auch die zahlreichen schnappschussartigen Aufnahmen, die durch Unschärfen, Momentaufnahmen von Bewegungen des Vollzugs das vorbildliche Geschehen nicht zur Geste transformieren, sondern die Aktualität des Vollzugs mitrepräsentieren. So, wie man auch sprachliche Ausdrück durch prosodische Variation zu tropischem Bedeuten befördern kann (etwa durch Intonation und Satzmelodie sowie durch Tempo, Rhythmus und Pausen beim Sprechen), könnte man im Falle der Aktualaufnahmen (snapshots) von einer Art „visueller Prosodie“ sprechen, einem Repräsentationsmittel, das dem Visuellen vorbehalten ist.
    Prosodische Optionen liegen oberhalb der Segmentgrenze der Silbe, zählen zu den sprachlichen Suprasegmentalia, dienen z. B. der Indikation des jeweils vollzogenen Sprechakts. Ähnliche kommunikativ-semantische und pragmatische Funktionen könnte man auch den „visuell-prosodischen“ Bildqualitäten zuweisen.
  • Dazu gehören auch exzentrische Perspektiven mancher Aufnahmen, die die Präsenz des Photographierenden im vorbildlichen Szenario anzeigen.

4. Summa

So prominent und wohlgefällig die Rede von „visuellen Tropen“ auch sein mag, erweist sich eine Füllung von Begriff und Konzept schnell als schwierig. Zum einen, weil der Referenzbezug von Bildern zum Dargestellten von anderer Art ist als der von sprachlichen Zeichen; zum zweiten, weil die Konzeptualität und Abstraktheit der Bedeutung sprachlicher Zeichen von Bildern nur im Sonderfall wiedergegeben werden kann; zum dritten, weil Bilder nicht als abstrakte Einheiten eines Systems auftreten, sondern praktisch immer als terminale Rea­lisierungen von Bildern (und nicht von Konzepten); zum vierten, weil Bilder mancher visueller Ausdrucksmittel keine Fundierung in einem Lexikon oder System von Elementen haben, sondern immer als Kollokation verschiedener Elemente auftreten. Schon wenige Überlegungen an Exempla visueller Repräsentation zeigen: Eine Rückbeziehung auf „eigentliche Bedeutungen“ (inhaltlicher oder formaler Art) bedarf immer des Fundaments eines kulturellen Wissens (die hier vermeinten Bildformen gehören dann zur Phänomenologie kultureller [Wissens-]Einheiten).

Die genauere Betrachtung von „visuellen Tropen“ erweist sich schnell als theoretisch motivierte Metapher, die auf Stereotypen, formelhafte Standardisierungen der Visualisierung gewisser Gegenstände, Klischees und ähnliches angewendet wird. Der per Begriffswahl angedeutete Bezug zu linguistisch-semantischen und rhetorischen Theorien der Bedeutungserzeugung erweist sich oft als eine Art fishing for theoryticity, ohne Aufschluss über das phänomenale Material liefern zu können (wäre möglicherweise sogar als Form „akademisch-rhetorischen Imponiergehabes“ abzutun).

Allerdings gestattet der Blick auf die Modelle der linguistischen Semantik und der kognitiven Semiotik es auch, mit einer heuristischen Vorstellung hier sogenannter Handlungsrollen phänotypische Elemente visueller Repräsentationen kultureller Einheiten etwa am Beispiel der Jazz-Bildnerei zu erfassen – von Akteursrollen (Solisten, Gruppen, Orchester) über Instrumente, lokative Darstellungen von Publikum bis zu den (originären und aktuellen) Lebenswelten des Jazz; hinzu treten stilistische Qualitäten (von der Zeitdarstellung bis zu Strategien der pars-pro-toto-Repräsentation). Und in Filmen vor allem auch einer Interaktion von Bildwahlen und musikalischen Strukturen der performance.

Literaturverzeichnis

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Citation

Hans J. Wulff: Visuelle Tropen. In: IMAGE. Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft, Band 40, 7. Jg., (2)2024, S. 229-243

ISSN

1614-0885

DOI

10.1453/1614-0885-2-2024-16434

First published online

Oktober/2024