Transformative Bildlichkeiten in der Wissenschaft Überlegungen zu bildinduzierten Perspektivverschiebungen

Von Axel Philipps

Abstract [1]

Nach Thomas S. Kuhns Ausführungen verändert sich die Perspektive der Forschung in wissenschaftlichen Revolutionen fundamental. Neue theoretische Annahmen würden nicht nur bis dahin unverständliche Phänomene überzeugend erklären, sie würden auch neuartige Herangehensweisen eröffnen, um wissenschaftliche Probleme und Rätsel zu lösen. In diesem Zusammenhang wurde bisher der Stellenwert des Bildlichen für einen Wechsel der Perspektive kaum untersucht. Der Beitrag unternimmt den Versuch, transformative Bildlichkeiten in der Wissenschaft aufzuspüren, ihre Bedeutung für Perspektivverschiebungen aufzuzeigen und zu erklären, wieso sie weitgehend unthematisiert bleiben. Für meine Überlegungen führe ich in Anlehnung an Hans Blumenberg und Kuhn ein Phasenmodell ein, welches transformative Bildlichkeiten in der Phase der Vorbegrifflichkeit verortet, die wiederum die Phasen der Unbegrifflichkeit und der Begrifflichkeit verbindet. Die unterschiedlichen Phasen und die Charakteristik transformativer Bildlichkeiten werden anhand eines literarischen und zwei historischer Beispiele näher beleuchtet.

According to Thomas S. Kuhn, research perspectives change fundamentally in scientific revolutions. New theoretical assumptions not only convincingly explain previously incomprehensible phenomena, they also offer new approaches to solve scientific problems and puzzles. However, only few scholars studied the significance of pictures in changes of perspective. The article attempts to track down transformative pictures in science, to describe their characteristics, their impact on shifting perspectives, and to explain why they remain largely unthematized. To do so, I introduce a phase model that locates transformative pictures between two phases. They offer scientists a concept which allows to make sense of an unintelligible phenomenon. The different phases and characteristics of transformative pictures are examined in more detail using one literary and two historical examples.

Einleitung

Neues Wissen zu generieren, ist zentrale Funktion und Hauptantrieb in der Wissenschaft. In seinem bahnbrechenden Werk Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen unterscheidet Thomas S. Kuhn zwei Wege, wie Forschende in der Wissenschaft Neues hervorbringen.[2] Demnach setze erstens ein großer Teil von ihnen auf bewährte Theorien, Methoden und empirische Belege. Auf dieser Grundlage würden sie innerhalb eines dominanten Paradigmas schrittweise den bestehenden Wissensbestand erweitern, um Theorien zu festigen und anerkannte Probleme als auch Rätsel zu lösen. Während Kuhn diese Herangehensweise als normale Wissenschaft kennzeichnet, verweist er zweitens auf revolutionäre Sprünge. In diesen Phasen erfolge ein Perspektivwechsel, der dazu führe, dass Forschende einen Gegenstand neu begreifen und dessen Erforschung anders angehen würden.[3] Der grundlegenden Veränderung gehe zumeist eine Krise voraus, wenn sich Anomalien häuften und Forschende an die Grenzen kämen, Phänomene und Zusammenhänge mit bewährten Theorien, Begriffen und Methoden zu verstehen und zu erklären. Diese Umstände würden schließlich die Voraussetzungen schaffen, dass zuvor weniger diskutierte Ansätze im Forschungsfeld ebenso wie Vorgehensweisen in anderen Fachdisziplinen stärker
Beachtung fänden und schließlich den Weg für einen Paradigmenwechsel bereiteten.

Charakteristisch für Kuhns Theorie ist, dass er bei Perspektivverschiebungen in der Wissenschaft vor allem Gespräche mit anderen Forschenden und Auseinandersetzungen mit anderen Herangehensweisen im Blick hat.[4] Dieser Austausch in exoterischen Kreisen[5] würde ermöglichen, Konzepte und Begriffe aus anderen Forschungsfeldern zu entlehnen und zu übertragen. Bei ihm ent­steht dadurch leicht der Eindruck, dass ein Wechsel der Perspektiven in erster Linie durch sprachliche Übertragungen vorangetrieben würde.

Weniger Beachtung finden hingegen Bildlichkeiten und ihre Bedeutung für Perspektivwechsel. Kuhn geht zwar in einer Randnotiz auf Herbert Butterfields These zum Ursprung moderner Wissenschaft ein.[6] Demnach sind die Anfänge der Wissenschaft eng mit der neuen Bildlichkeit der Renaissance verbunden.[7] Abgesehen von der fundamentalen Bedeutung dieser bildlichen Anschauung für wissenschaftliche Herangehensweisen allgemein bleiben solche in einzelnen Forschungsfeldern unterbelichtet. Dieser Umstand ist umso bemerkenswerter, wenn man die vielfältigen Hinweise zur Bedeutung visueller Fertigkeiten in der Wissensgenerierung heranzieht.[8] Ebenso haben in den Naturwissenschaften neue Visualisierungstechniken zu bahnbrechenden Erkenntnissen beigetragen und die Wissenschaftsforschung beschäftigt sich mit Fragen der Repräsentation, dem Verhältnis von Visualisierung und Erkenntnis oder der Formierung visueller Kulturen in der Wissenschaft. Vor diesem Hintergrund widmet sich der vorliegende Beitrag speziell dem Phänomen transformativer Bildlichkeiten in der Wissenschaft. Damit ist Bildliches gemeint, dass grundlegend die Perspektive auf einen Forschungsgegenstand verändert. Dem Verständnis liegt die Annahme zugrunde, dass der Wechsel von wissenschaftlichen Perspektiven nicht nur mit einer „Verschiebung des Begriffsnetzes“ einhergeht,[9] sondern teilweise auf begrifflich (noch) nicht fixierte bildliche Formen und Gestalten zurückgeführt werden kann. Also etwas grundsätzlich Verschiedenes von Sprache, dessen Sinn bereits vorbegrifflich zugänglich ist und auf dieser Ebene Bezüge herstellt.[10] Da Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Regel in Begriffen, Modellen und Formeln kommunizieren,[11] werden in Artikeln und Monografien jedoch die konkrete Labortätigkeit genauso wie Vorbegriffliches selbst größtenteils zum Verschwinden gebracht. Dieser Beitrag unternimmt daher den Versuch, transformativen Bildlichkeiten in der Wissenschaft auf die Spur zu kommen.

Bereits zuvor wurde an verschiedenen Stellen die Bedeutung des Bild­lichen für die Wissenschaft herausgestellt. Klaus Hentschel verweist etwa in seinem Buch Visual Cultures in Science and Technology auf die Potenziale von Visualisierungen, allgemein zur Lösung von wissenschaftlichen und tech­nischen Problemen beizutragen und speziell, um große Datenmengen zugänglich und darin Muster leichter erkennbar zu machen.[12] Wie werden jedoch neue Perspektiven auf wissenschaftliche Probleme durch Bildliches generiert? Wie trägt das Bildliche zur Perspektivverschiebung bei? Anders formuliert: Welchen Anteil kann das Bildliche an einer neuen Idee (Modell) haben, die in der Wissenschaft eine andere Sichtweise hervorbringt? Erkenntnisse auf diesem Forschungsfeld können dazu beitragen, weitere Bedingungen für Kreativität und Innovation in der Wissenschaft zu verstehen und nutzbar zu machen.

In diesem Beitrag stelle ich ein dreistufiges Phasenmodell vor, um den transformativen Moment durch Bildliches greifen zu können. Das Modell trägt der Beobachtung Rechnung, dass wissenschaftliche Kommunikation primär schriftlich in Begriffen, Konzepten und Formeln erfolgt. Ein Wechsel der wissenschaftlichen Perspektive ist demnach auch nur in übertragenen oder neuen Begriffen vermittelbar. In der Folge und in Anlehnung an Hans Blumenbergs These zur Unbegrifflichkeit[13] als auch Kuhns Verständnis einer wissenschaftlichen Krise [14]gehe ich von einer Phase der Unbegrifflichkeit aus, die durch eine Phase des Vorbegrifflichen in eine der Begrifflichkeit überführt wird. Der Moment der transformativen Bildlichkeit im Vorbegrifflichen selbst wird in der wissenschaftlichen Schriftkommunikation zumeist nicht thematisiert. Ihm werden die Rezipientinnen und Rezipienten häufig nur in literarischen und (auto)bio­graphischen Zeugnissen habhaft.

Der Beitrag geht auf die in der Wissenschaftsforschung diskutierten Voraussetzungen für Perspektivwechsel in der Wissenschaft ein. Darin spielen Bilder in der Regel eine untergeordnete Rolle, obwohl sich dem Bildlichen und den
Visualisierungen in der Wissenschaft ein breites Forschungsfeld widmet. Vor diesem Hintergrund wird schließlich das Phasenmodell von der Unbegrifflichkeit über das Vorbegriffliche zur Begrifflichkeit eingeführt. An einem literarischen Beispiel werden die Phasen idealtypisch und im Anschluss an zwei historischen Beispielen realtypisch veranschaulicht. Mit der These zu transformativen Bildlichkeiten soll das Spezifische des Bildlichen stärker in den Mittelpunkt der Wissenschaftsforschung rücken, um zu klären, welchen Anteil das Bildspezifische an der Generierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen hat und haben wird. Dazu bedarf es nicht nur weiterer Forschung, um die skizzierten An­nahmen zu prüfen. Auch plädiere ich dafür, den Schwerpunkt vom Gebrauch und der Deutung des Bildlichen in Richtung Erarbeitung von wissenschaftlichen Modellen, Konzepten und Theorien mithilfe von Bildern zu verschieben.

Perspektivwechsel in der Wissenschaft

Zu Transformationen in der Wissenschaft zählen laut Kuhn wissenschaftliche Revolutionen, ausgelöst etwa durch Nikolaus Kopernikus’ heliozentrisches Weltbild, Isaac Newtons Bewegungslehre oder Max Plancks Quantentheorie.[15] Ihre Annahmen haben fundamental die Perspektiven auf den jeweiligen Forschungsgegenstand verändert. Ihre theoretischen Grundlagen brachten neuartige Herangehensweisen, um wissenschaftliche Probleme und Rätsel zu lösen oder bis dahin unverständliche Phänomene überzeugend zu erklären. Perspektivwechsel in der Wissenschaft müssen aber nicht immer zu einer Ablösung bestehender Paradigmen führen. Nach Kuhn können sie auch dazu beitragen, Theorien innerhalb eines Paradigmas zu bestätigen, zu verfeinern und zu artikulieren oder Teilrätsel zu lösen. Kurz, Transformationen in der Wissenschaft können einerseits revolutionär Paradigmen ablösen und andererseits innerhalb eines Paradigmas Perspektiven verändern.

Für die Betrachtung von transformativen Momenten durch Bildliches ist unerheblich, in welchem Umfang eine Verschiebung der Perspektive einsetzt. Es ist vielmehr zu klären, welchen Anteil Bildliches an einem Perspektivwechsel hat. Die Untersuchung der Bedingungen für solche Wechsel ist ein zentrales Themenfeld der Wissenschaftsforschung. In der Regel werden dazu die Voraussetzungen für Entdeckungen und Innovationen betrachtet, da mit ihnen zumeist auch veränderte wissenschaftliche Perspektiven auf Gegenstände und Phänomene einhergehen. Ein reicher Fundus an Beobachtungen verweist beispielsweise auf den Zufall,[16] denn grundlegende Neuerungen werden häufig nicht gezielt herbeigeführt. Dass aber Forschende überhaupt die Umstände als relevant erkennen und sich in eine weitere Betrachtung vertiefen, wird wiederum mit dem Genius oder zumindest mit der Fähigkeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Verbindung gebracht, den bisherigen Forschungsstand zu überblicken und die Bedeutung eines zufälligen Ereignisses zu erfassen.[17] Als weitere Bedingungen für Perspektivverschiebungen gelten zudem technische Neuerungen,[18] eine flexible und weitgehend selbstbestimmte Forschungsumgebung,[19] eine Disposition für interdisziplinäre Forschung,[20] intellektuelle Migration[21] und der offene Austausch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit jenen, die außerhalb des engen Forschungskontextes tätig sind.[22] Zusammengefasst ist für Neubetrachtungen eine unabdingbare Voraussetzung, dass Forschende für andere Zugänge und Betrachtungsweisen offen als auch flexibel im Denken sind.

Diese Bedingung gilt ebenso für Irritationen und Anregungen durch Bildliches. Es bedarf einer gewissen Bereitschaft und Fähigkeit, das Bildliche auf wissenschaftliche Probleme zu beziehen.[23] Eine andere Voraussetzung für Perspektivverschiebungen durch Bildliches ist die Besonderheit, dass sich der Sinn eines Bildes begrifflich als auch vorbegrifflich konstituiert. Begrifflich kommunizierbar sind jene Bildbedeutungen – um eine Konzeption des Kunst­historikers Max Imdahl aufzugreifen –, die Betrachtende im Bildlichen wiedererkennen.[24] Dazu deuten sie die visuellen Elemente eines Bildes durch Rückgriff auf gesellschaftlich geteiltes Wissen über institutionalisierte Zeichen und Symbole (z. B. religiöse Darstellungen, Piktogramme, Hinweiszeichen). Unabhängig davon wird durch die flächige und relationale Komposition visueller Elemente Sinnhaftes vorbegrifflich und damit bildspezifisch erzeugt. Beispielsweise verändert sich der Sinn institutionalisierter Zeichen und Symbole in einem Bild je nach Position, Größe oder Relation zu anderen visuellen Elementen. Anders formuliert: Der formal bildliche Aufbau strukturiert die Deutungsmöglich­keiten für die Betrachtenden mit. Insgesamt kann keine deutende Beschreibung die simultan präsente Fülle an Bedeutungen eines Bildes erfassen.[25] Im Reden über das Bildliche wird vielmehr sequenziell eine bestimmte Sichtweise konstituiert, das heißt, in der Beschreibung wird ein Sinn des Bildes im Rahmen einer bestimmten Denkordnung erzeugt.

Auf die Praxis der Forschung angewendet, kann ein wissenschaftliches Problem bildlich durch die Übertragung wiedererkannter Bedeutungen bearbeitet werden. Zentral für den vorliegenden Beitrag ist die Eigenheit des Bildlichen, dass die formale Komposition und Gestalt ebenfalls Sinn miterzeugen. Dadurch besteht auf einer vorbegrifflichen Ebene des bildlichen Sinns die Möglichkeit, ein wissenschaftliches Problem in einer anderen Gestalt zu sehen, zu begreifen und schließlich in einer neuen Sichtweise zu verbalisieren. Das Spezifische des Bildlichen kann demnach eine neue Sichtweise eröffnen, wo bisher keine wissenschaftlichen Begriffe, Formeln und Modelle für die Lösung eines wissenschaftlichen Rätsels verfügbar waren. In einer Phase der Begriffslosigkeit können vorbegriffliche bildliche Formen eine Lösung bieten, welche als (visuelles) Modell verbalisiert, schließlich an die wissenschaftliche Kommunikation in Begriffen, Konzepten und Theorien anschlussfähig wird und einen Perspektivwechsel in einem Forschungsfeld einleiten kann.

Der transformative Moment liegt somit zwar in der Übertragung des Sinn­haften von Bildlichem zu Bildlichem, eine Perspektivverschiebung in der Wissenschaft setzt jedoch erst mit einer begrifflichen Übersetzung des bildlichen Sinns in ein wissenschaftlich kommunizierbares Modell ein. Dieser Umstand wird bisher auch in der Wissenschaftsforschung zum Verhältnis von Visualisierung und Erkenntnis herausgestellt. Es sind Modelle, einschließlich visuelle, die anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglichen, neue Sichtweisen ebenfalls zu erfassen.[26] Sie können dann auf diesen Sichtweisen aufbauend ihre eigene künftige Forschung neu justieren.[27]

Interessanterweise findet das Spezifische des Bildlichen selbst wenig Beachtung in der Wissenschaftsforschung zum Gebrauch von Bildern und Visualisierungen. Die Forschung setzt oft bei den apparativ erzeugten Visualisierungen und ihren Deutungen durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an.[28] Sie zeigt anschaulich, wie Bildliches als Graph, Linie, Punktwolke, Fläche und in vielen anderen Formen herangezogen wird, um wissenschaftliche Aussagen über die Welt zu produzieren. Zugleich muss das Sehen erlernt werden, um ein Problem überhaupt wie andere Forschende zu sehen.[29] Wiederkehrend werden in diesen Zusammenhängen Fragen der Repräsentation,[30] der Apparategebundenheit von Erkenntnis,[31] der Konstruiertheit wissenschaftlicher Fakten oder der Ausbildung spezifischer visueller Kulturen in den Natur- und Ingenieurswissenschaften behandelt.[32] Ebenso finden sich Untersuchungen zu visuellen Darstellungen, Symbolen und Imaginationen, wie etwas diskursiv sichtbar hergestellt und durchgesetzt wird als auch wie Bildliches Visualisierungen in der Wissenschaft bestimmt.[33]

Während also überzeugende Untersuchungen zur Handhabung und Auslegung von Bildlichem in der Wissenschaft vorliegen, haben sich bisher nur wenige mit der Bedeutung des Bildspezifischen für die Forschung auseinandergesetzt. Die wenigen Studien zeigen eindrücklich, wie das Spezifische des Bildlichen die Praktiken der Forschung und Erkenntnisgenerierung strukturiert. So wurden mit der aufkommenden Zentralperspektive in der Malerei der Renaissance die Grundlagen gelegt, geometrisch relational die Welt zu vermessen und somit wissenschaftliche Fakten zu produzieren. Das bildliche Erzeugungsprinzip der Zentralperspektive bringt auf eine spezifische Weise Anschauliches hervor. Sie arrangiert Bildelemente auf eine berechenbare Art und strukturiert somit Betrachtungsweisen und Deutungen mit.[34] In Dieter Merschs Unterscheidung zwischen drei Funktionen des Bildlichen in der Wissenschaft ist das Spezifische des Bildlichen eng mit der Erzeugung von Wissen verknüpft.[35] Visualisierungen ermöglichen demnach, Wissen auf eine bestimmte Weise anzuordnen und zu generieren. Es bedeute, dass vergleichbar zur Zentralperspektive Visualisiertes auch durch das Spezifische des Bildlichen relational strukturiert würde (diagrammatisch). Dieser Aspekt sei nach Mersch besonders bei computergenerierten Wissenschaftsbildern zu beachten, denen keine Beweis- oder Zeigefunktion zukommt. Sie verweisen weder als Spur noch als Abdruck referentiell auf etwas Gegebenes. Sie haben auch nicht die Aufgabe, einen Effekt zu demonstrieren oder etwas deutlich zu machen (Deixis). Sie würden aber computergenerierte Datenmengen „in logische oder berechenbare Figuren“ verwandeln, ohne in der Regel das Erzeugungsprinzip offenzulegen.[36] Dies würde dann problematisch, wenn die grafische Struktur als ontologische Entität betrachtet wird und damit die Unterscheidung zwischen diagrammatischen und referentiellen Bildverfahren verwische.

Die Wissenschaftsforschung hat folglich das Bildliche in einem beachtlichen Umfang zum Gegenstand gemacht. Zugleich ist jedoch erstaunlich wenig über transformative Bildlichkeiten bekannt. In der Geschichte der Wissenschaft finden sich vielfältige Belege für neu eingeführte Visualisierungen und Modelle, welche in einzelnen Forschungsfeldern den Zugang zu Forschungsgegenständen grundlegend verändert haben, zum Beispiel Paul Ehrlichs Antikörper, Conrad Hal Waddingtons epigenetische Landschaft oder Charles Darwins korallenartigen Verästelungen zur Veranschaulichung der Evolution. Während bei diesen Beispielen noch das Bildliche in den jeweiligen Modellen präsent ist, bleibt weitgehend unklar, wie Forschende über Bildliches zu neuen Ideen kommen. Welche Bedeutung kommt dem Bildlichen zu, wenn ein Phänomen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unbegreiflich bleibt, wenn sie dafür keine Theorien, Konzepte, Begriffe haben und auch dazu in anderen Forschungsfeldern nichts finden?

Den geringen Stellenwert des Bildlichen in der Wissenschaftsforschung zu Perspektivverschiebungen führe ich auf den Umstand zurück, dass vorbegriffliche, rein bildliche Formen zwar neue Sichtweisen anregen können, die Durchsetzung einer neuartigen Sichtweise aber primär mit sprachlichen Mitteln erfolgt. Die schriftbasierte Kommunikation bringt somit transformative Bildlichkeiten zumeist zum Verschwinden und es braucht besondere Aufmerksamkeit, um solchen Bildlichkeiten auf die Spur zu kommen. Für eine adäquate Erfassung transformativer Bildlichkeiten postuliere ich ein Phasenmodell, welches von einer Krisensituation nach Kuhn[37] ausgeht und sich an Blumenbergs Verständnis von Unbegrifflichkeit anlehnt, wonach etwas Unbegriffliches durch eine Übertragung in Sprache überführt wird.[38] Eine in Worte gefasste Idee kann somit Unklares (ohne Begriff) auflösen. In diesem Phasenmodell ist das Besondere, dass der oder die Forschende über eine vorbegriffliche, rein bildliche Form von etwas Unbegreiflichem zu wissenschaftlich anschlussfähigen begrifflichen Beschreibungen und Erklärungen (mit Begriffen) kommt.[39] Das Bildliche selbst trägt zu dieser Perspektivverschiebung bei, indem es bild­spezifisch eine Idee strukturiert. Das Spezifische des Überganges ist also nicht der Umstand, dass auch Forschende in Bildern denken, träumen oder im Traum frei assoziative Verknüpfungen herstellen,[40] sondern dass der Perspektivwechsel durch das vorbegrifflich Spezifische des Bildlichen angestoßen wird. Konkret unterscheide ich zwischen drei Phasen:

Phase I der Unbegrifflichkeit: Forschende setzen sich intensiv mit einem wissenschaftlichen Problem (Anomalien) oder Rätsel auseinander. Nach Kuhn kenn­zeichnet diese Phase eine Krisensituation, da ein Ansatz fehlt, ein bestimmtes Phänomen wissenschaftlich zu begreifen, zu verstehen und zu erklären.[41] Die bestehenden Theorien liefern keine passenden Begriffe, Konzepte und Modelle für eine Problemlösung.[42]

Phase II der Vorbegrifflichkeit: In einer solchen Krise finden verschiedene, teilweise bisher wenig beleuchtete Annahmen und Herangehensweisen verstärkt Beachtung.[43] Diese können mit Begriffen aus anderen Forschungsfeldern eng verknüpft sein oder außerhalb des Begrifflichen liegen. Zu Letzterem zählt das Bildliche, das Sinnhaftes vorbegrifflich und eigenlogisch in Bezug zu an­­derem Bildlichen konstituiert. Auf dieser Sinnebene kann eine spezifische Art der bildlichen Gestaltung eine neue Sichtweise eröffnen, wobei der transformative Moment oft erst auf der begrifflichen Ebene innerhalb der Wissenschaft vermittelbar ist.

Phase III der Begrifflichkeit: Während der oder die Forschende vorbegrifflich, in einer rein bildlichen Form sinnhaft eine Problemlösung sieht, muss der bildliche Sinn erst begrifflich übersetzt werden. Das heißt, der vorbegrifflich strukturierte Sinn ist in ein kommunikativ vermittelbares Modell zu überführen. Erst durch sprachliche Umschreibungen oder Übertragungen in Modelle und Konzepte werden Anschlüsse an die wissenschaftliche Kommunikation her­gestellt.[44] Andere Forschende können so das Neuartige im Modell erkennen, nachvollziehen und anleitend in weiteren Forschungen verwenden.

Während die Wissenschaftsforschung von Perspektivwechseln ausgeht und die damit verbundene Verschiebung von Begriffsnetzen herausstellt, hebt das Phasenmodell die Stellung transformativer Bildlichkeiten für Perspektivverschiebungen hervor. Die folgenden Beispiele sind analytisch in die oben ge­nannten Phasen unterteilt und zeigen, wie durch bildliches Sehen neue Zugänge zur Lösung wissenschaftlicher Rätsel eröffnet werden. Ebenso wird deutlich, dass die Forschenden den bildlich vermittelten Sinn stets in wissenschaftlich anschlussfähige Begriffe, Modelle und Konzepte übersetzen. Im Ergebnis dokumentieren sich veränderte Perspektiven zumeist in neuen Begriffen, auch wenn die Verschiebung der Sichtweise auf Vorbegriffliches zurückgeht.

Die fiktionale Entdeckung von Siliziumgummi

Der renommierte Wissenschaftsphilosoph und Autor Stanislaw Lem lässt in einer Nebenhandlung seines Debütromans Die Astronauten (zuerst erschienen 1951) den Chemiker Dr. Rainer von dessen Entdeckung des sogenannten Silizium­gummis berichten. Die fiktive Geschichte zeichnet plastisch nach, wie in den Worten von Kuhn „mitten in der Nacht, im Geist eines tief in die Krise verstrickten Wissenschaftlers“[45] ein neues Paradigma auftaucht. Lem, Kuhn als auch Arthur Koestler identifizieren im Schlaf den Moment der Perspektivverschiebung, der „den geschlossenen Kreislauf der Gedanken“[46] durchbricht. Während die Autoren damit den Moment herausstellen, bleibt das Wie der Verschiebung implizit. Das Literaturbeispiel bietet jedoch die Möglichkeit, die oben beschriebenen Phasen und speziell den Perspektivwechsel durch Bildliches zu explizieren. Die Geschichte strukturiert sich wie folgt:

Phase I der Unbegrifflichkeit: In seinen Schilderungen geht Dr. Rainer auf seine Zeit als Doktorand ein, in der er sich theoretisch mit dem Verhalten von Polymeren und forschungspraktisch mit der Leitung eines Laboratoriums bei einem Flugzeughersteller in einem Hafenviertel von Hamburg beschäftigt. Er hat die erfolglose Forschung zur Herstellung einer Art von Gummi übernommen, in welcher die Kohlenstoffatome durch Silizium ersetzt werden sollen. Während er versucht, weiterhin das Problem theoretisch und experimentell zu lösen, entsorgt er mit weiteren Angestellten den Fundus an fehlgeschlagenen Proben. Bei diesen Arbeiten entdecken sie zufällig eine Probe mit den Merkmalen des gesuchten Siliziumgummis. Aber selbst mit dem Fertigungsprotokoll und vielfältigen Variationen will es nicht gelingen, die Herstellung des Gummis zu replizieren.

Phase II der Vorbegrifflichkeit: Im Roman strecken sich die Bemühungen über Monate hin, in denen Dr. Rainer an der Lösung des Problems arbeitet und auf seinem Heimweg immer wieder den Hafen der Stadt aufsucht, um beim Betrachten von einlaufenden Schiffen seinen „heißen Kopf zu kühlen.“[47] In dieser Phase höchster Anspannung wird er an einem stürmischen Abend auf ein Schiff aufmerksam, welches sich „mit seinen weißen Segeln am deutlichsten vom dunklen Meer“[48] und „geblähten Segeln von den anderen“[49] abhebt. Nach dieser Szene schläft der Protagonist am Schreibtisch ein und „träumte von Polystyrenen und Butadienen“, die sich „so verhielten, als bliese ein mächtiger Sturm zwischen sie. Und da ordneten sie sich in einer seltsamen Weise nicht so, wie es […] die Formeln in den Lehrbüchern verlangen, sondern wie geblähte Segel. Je stärker der Sturm pustet, um so weiter breiten sich die Moleküle aus.“[50] Mit anderen Worten: Im Traum verwandelt sich die Gestalt prall gefüllter Segel in eine geblähte und stabile chemische Struktur.

Phase III der Begrifflichkeit: Nach dem Aufwachen versucht der Chemiker, gegen das Vergessen anzuschreiben und fasst dazu das Geträumte in Formeln. Er überträgt das Bildliche somit in die wissenschaftliche Fachsprache, über die er sich mit seiner Fachgemeinschaft austauscht. Mit der Übertragung in Formeln und Begriffe sowie nach weiteren Recherchen zu den Umständen kann die Romanfigur Dr. Rainer das Phänomen verstehen und erklären und letztlich das Siliziumgummi herstellen.

In Lems fiktiver Geschichte lässt sich eindrücklich nachvollziehen, unter welchen Umständen sich Forschende teilweise bemühen, wissenschaftliche Rätsel zu lösen. Sie beschreibt geradezu idealtypisch und plastisch das Fehlen jeglichen Ansatzes, die Erzeugung des Siliziumgummis zu begreifen oder gar zu reproduzieren, den transformativen Moment des Bildlichen als vorbegriffliche Anschauung als auch die Übertragung des Bildlichen in ein wissenschaftlich vermittelbares Modell aus Formeln und Begriffen. Das Literaturbeispiel kann als Heuristik dienen, um die spezifische Bedeutung von transformativer Bildlichkeit bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in ähnlichen Situationen aufzuspüren. Exemplarisch bleibe ich dazu bei zwei realen Entdeckungen in der Chemie.

Zur Ringstruktur der chemischen Verbindung Benzol

Für transformative Bildlichkeiten lässt sich ein oft beschriebenes historisches Beispiel in der Wissenschaft anführen: August Kekulés Entdeckung des Benzolrings im 19. Jahrhundert.[51] Die Umstände der Entdeckung verweisen nicht nur auf die erforderlichen visuellen Fertigkeiten als Voraussetzung zum visuellen Denken und zur Herausbildung einer eigenen visuellen Kultur in der Chemie,[52] sie verdeutlichen ebenfalls, wie sich ein Perspektivwechsel durch Bildliches in der Wissenschaft vollziehen kann.

Phase I der Unbegrifflichkeit: In diesem Abschnitt des Phasenmodells suchen der Chemiker Kekulé und andere Zeitgenossen nach einer formalen Schreibweise (Notation), um darzustellen, welche Verbindungen chemische Elemente eingehen können. Mitte des 19. Jahrhunderts setzt sich die Theorie der chemischen Wertigkeit (Valenz) durch, da sie den Aufbau anorganischer und organischer Verbindungen erklären kann. Eine Möglichkeit chemischer Verbindungen hängt demnach von der Valenz eines Atoms ab. Das Wasserstoffatom mit der Wertigkeit 1 kann beispielsweise nur eine Bindung eingehen. Methan ist wiederum eine Verbindung aus einem Kohlenstoffatom (mit der Wertigkeit 4) und vier Wasser­stoffatomen (Summenformel CH4).[53] Kekulé sucht nach einer Darstellungsweise, die ebenfalls die molekulare Struktur auf einen Blick veranschaulicht. Während eine Summenformel beispielsweise nur die chemischen Elemente und ihre Wertigkeit nennt, bleibt unklar, worin sich chemische Verbindungen mit Elementen gleicher Wertigkeit strukturell unterscheiden. Er entwickelt dafür eine Notation (Abb. 1, die sogenannten Wurst-Diagramme), in welche die chemischen Elemente einer chemischen Verbindung symbolisch und räumlich zueinander angeordnet sind, ohne Bindungen offen zu lassen. Eine Herausforderung bleibt jedoch die strukturelle Beschreibung von Benzol. Das Molekül besteht aus sechs Kohlenstoff- und sechs Wasserstoffatomen (C6H6), wobei Kohlenstoff eine Wertigkeit von 4 und Wasserstoff von 1 aufweist. Für das Wurst-Diagramm bedeutet dies, dass mindestens zwei Bindungen immer offenbleiben (in Abb. 1, linke Darstellung). Demnach ist entweder die vorgeschlagene Notation unvollständig oder unbrauchbar.

Abb. 1:
Kekulés Strukturmodell von Benzol
[54]

Phase II der Vorbegrifflichkeit: In dieser Phase eines fehlenden Konzepts berichtet Kekulé in seinem Vortrag 1890 zum 25. Jahrestag der Entdeckung von Benzol von einem Traum, in dem sich das Darstellungsproblem bildlich auflöste.[55] Er schildert, wie ihm vor dem inneren Auge wirbelnde Atome erschienen, die sich zu einem Kreis geschlossen hätten, gleich einer Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt:

Wieder gaukelten die Atome vor meinen Augen. Kleinere Gruppen hielten sich diesmal bescheiden im Hintergrund. Mein geistiges Auge, durch wiederholte Gesichte ähnlicher Art geschärft, unterschied jetzt grössere Gebilde von mannigfacher Gestaltung. Lange Reihen, vielfach dichter zusammengefügt; Alles in Bewegung, schlangenartig sich windend und drehend. Und siehe, was war das? Eine der Schlangen erfasste den eigenen Schwanz und höhnisch wirbelte das Gebilde vor meinen Augen.[56]

Während diese Bildlichkeit ikonografisch an den Uroboros (altgriechisch für „Schwanzverzehrender“) erinnert, an das Symbol für die Ewigkeit im alten Ägypten und an einen geschlossenen Wandlungsprozess der Materie in der Alchemie, greift Kekulé jedoch nicht den inhaltlichen Bezug auf, sondern sieht in der Form eine Struktur, die er bildlich auf die Eigenheiten von Benzol überträgt. Er sieht also vorbegrifflich die Gestalt des Ringes und macht sie später (in der Phase der Begrifflichkeit) konzeptionell anderen in seinem Wurst-Diagramm durch Pfeile zugänglich (Abb. 1, rechte Darstellung). Die Pfeile markieren die Verknüpfung der chemischen Atome zu einem Kreis. Ihm gelingt dadurch, im Besonderen die chemische Verbindung Benzol strukturell zu begreifen und zu erklären. Seine strukturelle Darstellungsweise verändert aber auch grund­sätzlich die Art und Weise, in der Chemie, mit Strukturformeln Verbindungen zu betrachten und zu notieren. Dennoch nimmt die Artikulation der Theorie, ihre empirische Bestätigung und Anerkennung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft noch mehrere Jahrzehnte in Anspruch.[57]

Grundsätzlich ist für das Verständnis der transformativen Bildlichkeit zu beachten, dass diese keinesfalls an Schlaf und Träumen gebunden ist. Zwar verweist auch Kekulé auf einen Traum. In den Worten von David Theodore ist jedoch etwas anderes ausschlaggebend: „the dream arose from familiarity with contemporary problems in chemistry (how atoms might explain chemical phenomena), and the vision in turn engineered a new tool that solved and then re-oriented those problems“.[58] Für den Durchbruch ist das Sehen bzw. „an organized mental image“[59] von Bedeutung. Die Perspektivverschiebung beruht demnach auf der vorsprachlichen Übertragung des Bildlichen(Ringform) auf ein anderes. Für die transformative Bildlichkeit ist entscheidend, dass die Übertragung interbildlich erfolgt. Die Forschenden sehen im Bildlichen eine Struktur oder eine Eigenheit und übertragen sie auf den eigenen Problemgegenstand, wobei der transformative Moment des Bildlichen bei der Übersetzung in wissenschaftlich anschlussfähige Begriffe, Formeln und Modelle verdeckt wird.

Von verdrehten Nukleinsäuren zur Doppelhelix der DNS

Anschaulich für eine bildlich geprägte Herangehensweise ist auch James D. Watsons und Francis Cricks Unternehmung, den Aufbau der Desoxyribonu­kleinsäure (DNS) als Doppelhelix zu begreifen und zu entschlüsseln. An dieser Stelle ist wichtig, zu erwähnen, dass den beiden Forschenden die Helixstruktur weder im Traum erschienen ist, noch hat sie das Problem der Strukturbeschreibung allein gelöst. Die bildliche Gestalt wurde vielmehr bei Linus Pauling aufgegriffen und war für die weitere Forschung leitend.

Die Kenntnis von der Entdeckung der Doppelhelix ist weitgehend durch Beschreibungen und literarische Darstellungen wie in Die Doppelhelix[60] geprägt. Watsons autobiographische Schilderung vermittelt eine Art Rennen, um den Aufbau der DNS zu entschlüsseln. Sie ist eine Heldengeschichte genialer Männer, die sich auch mal einen unzulässigen Zugang zu den Daten anderer verschaffen.[61] Im Folgenden geht es weniger um dieses Narrativ, sondern vielmehr um die Detektivgeschichte, in der Watson und Crick mit dem theoretischen Problem ringen, die Struktur der DNS-Kette zu verstehen und das Rätsel zu lösen. Im Mittelpunkt steht die Bedeutung der transformativen Bildlichkeit für die Entdeckung.

Phase I der Unbegrifflichkeit: Mitte des 20. Jahrhunderts legt die Forschung verschiedene Ansätze nahe, wo und wie Erbinformationen gespeichert sind. Für einen Teil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist der Schlüssel zu den Erbinformationen in den Proteinen zu suchen. Andere orientieren sich an den Experimenten von Oswald T. Avery, wonach diese Funktion der DNS zukomme. Grundsätzlich ist wenig über den Aufbau von Nukleinsäuren bekannt und allgemein ist unklar, was Gene sind und wie sie funktionieren. Dazu müssen sie in ihrer Struktur verstanden werden.

Anfang der 1950er-Jahre widmet sich der Biologe James D. Watson dem Aufbau der DNS. Bevor er sich an der Lösung des Rätsels versucht, wird er mit dem Auftrag nach Dänemark geschickt, organische Chemie zu erlernen. Sein Doktor­vater Salvador Luira, welcher zu Bakterienviren forscht, hat die Hoffnung, die Eigenschaften eines Virus über dessen chemische Struktur zu verstehen. Watson erhält deshalb ein Stipendium für eine wissenschaftliche Assistenz beim Biochemiker Herman Kalckar an der Universität Kopenhagen. Erst über Umwege kommt er schließlich mit Francis Crick zusammen und beide erforschen den Aufbau der DNS.

Phase II der Vorbegrifflichkeit: Ein prägender Moment in Watsons Vorgehensweise, den Aufbau der DNS zu verstehen, ist mit seiner Teilnahme an einer Fachtagung in Neapel verbunden. Er hört einen Vortrag von Maurice Wilkins, welcher zu dieser Zeit versucht, die Molekülstruktur der DNS mithilfe der Röntgenstrahlenbeugung aufzuklären. Während der Präsentation fesselt Watson vor allem das vorgestellte Röntgenstrahlenbeugungsbild der DNS. Ohne die zugrunde liegenden Theorien und Methoden der Beugung von Röntgenstrahlen
zu verstehen, bestärkt ihn vor allem die Aufnahme kristalliner DNS in der Vermutung, dass die DNS eine regelmäßige Struktur besitze. Watson schreibt: „Plötzlich fand ich die Chemie ungeheuer aufregend.“[62] Zuvor hat er sich nur beiläufig damit beschäftigt, denn wie er schreibt: „Warum sollte ich auch mit Begeisterung langweilige chemische Fakten lernen, solange die Chemiker nie etwas Entscheidendes über die Nukleinsäuren beisteuerten?“[63] Die Aufnahme weckt jedoch sein Interesse und den Wunsch, kristallographische Kenntnisse zu gewinnen.

Während dieses Bild seine Motivation nachhaltig verändert, ist für die Aufklärung der DNS-Struktur eine andere Gestaltthese prägend. In dieser Zeit erfährt Watson von Jean Weigle, dass der Chemiker Linus Pauling eine Strukturthese für Proteine aufgestellt hat. Dieser postuliert zusammen mit Robert B. Corey,[64] dass Polypeptidketten die Gestalt einer rechtsdrehenden α-Helix haben. Während es keine Theorie für das einfache, „einzigartig schön[e]“ Modell gibt,[65] übernehmen Watson und Crick später in Cambridge diese imaginierte Formthese und versuchen, Modelle der DNS ebenfalls spiralförmig aufzubauen. Sie gehen davon aus, dass „das Zucker-Phosphat-Skelett als äußerst regelmäßig zu betrachten und nach einer dreidimensionalen, spiralförmigen Anordnung zu suchen“ sei. [66]

Phase III der Begrifflichkeit: Bis zum fertigen Modell der Doppelhelix braucht es aber noch viele weitere Hinweise und Belege. [67] Dazu zählen Cricks und William Cochrans Theorie zur α-Spirale[68] genauso wie Erwin Chargaffs Feststellung, dass in DNS-Präparaten die Anteile von Adenin-Molekülen denen von Thymin und die Anzahl der Guanin-Moleküle denen von Cytosin im Verhältnis entsprechen, aber auch Jerry Donohues Einwurf, dass Guanin und Thymin nicht in der Enol-, sondern in der Keto-Form vorliegen und schließlich Rosalind Franklins Beobachtung, dass das Zucker-Phosphat-Gerüst außen liegt.[69] Ebenso hat auch Watsons eigene Forschung zu den Tabak-Mosaik-Viren (TMV) die Annahme bestärkt, dass diese spiralförmig aufgebaut sein mussten:

Ein paar Tage darauf kam mir im Bus nach Oxford die Idee, daß man sich jedes TMV-Teilchen als einen winzigen Kristall vorstellen konnte, der genau wie andere Kristalle dank dem Vorhandensein solcher leeren Eckchen wuchs. Und das wichtigste war: die einfachste Möglichkeit, leere Eckchen zu bilden, ergab sich, wenn die Untereinheiten zu einer Spirale angeordnet waren. Die Idee war so einfach, daß sie richtig sein mußte. Jede Wendeltreppe, die ich an diesem Wochenende in Oxford sah, bestärkte mich in meinem Vertrauen, daß andere biologische Strukturen ebenfalls Spiralsymmetrie hatten.[70]

Auf Grundlage solcher Hinweise und Belege modellieren Watson und Crick schließlich die finale Struktur der DNS als einen spiralförmigen Doppelstrang mit innenliegenden Basenpaarungen.

Während die Imagination einer Spiralform auf Pauling zurückgeht, ist für Watson und Crick kennzeichnend, dass sie diese bildliche Gestalt auf die DNS-Struktur übertragen und ihren Modellierungen zugrunde gelegt haben. Möglicherweise war Pauling spielerisch oder im Traum vorbegrifflich auf die Form der Nukleinsäuren gekommen,[71] sie führte aber nicht direkt zur Entdeckung der DNS-Struktur. Vielmehr eröffnete die imaginierte Gestalt auf der bild­lichen Ebene eine neue Sichtweise, welche Watson und Crick übernahmen und so das Rätsel um den Aufbau der DNS lösten.

Schlussfolgerungen

Während in der Regel Perspektivverschiebungen an schriftlich neu vermittelten Theorien, Konzepten und Modellen festgemacht werden, hat dieser Beitrag den Versuch unternommen, den Wechsel von wissenschaftlichen Sichtweisen und Herangehensweisen auf transformative Bildlichkeiten zurückzuführen. Damit ist die Annahme verbunden, dass auch eine vorbegrifflich bildliche Gestalt neue Verknüpfungen in der Forschung anregen kann. Sie unterstellt aber nicht, dass transformative Momente in der Wissenschaft ausschließlich auf Bildliches zurückzuführen sind. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass Forschende im Gespräch mit anderen (Fachfremden) neue Begriffe oder bekannte Begriffe in einer anderen Bedeutung aufnehmen, sich für ein Problem aus der Perspektive einer anderen Fachdisziplin neue Zugänge eröffnen, genauso wie auch der Zufall und bestimmte verinnerlichte Fertigkeiten oder neue Technologien dazu beitragen, dass sich Perspektiven in der Wissenschaft verschieben.

Der Verweis auf die Bedeutung von vorbegrifflichen Anschauungen für grundlegende wissenschaftliche Durchbrüche fügt eine weitere Facette der Wissenschaftsforschung und damit ein kaum untersuchtes Forschungsfeld hinzu. Vertiefende Auseinandersetzungen mit transformativen Bildlichkeiten bieten die Chance, grundlegende Neuausrichtungen in der Wissenschaft bildspezifisch zu verstehen. Ausgehend vom Unterschied des bildlichen zum verbal erzeugten Sinn ist beispielsweise zu fragen, wie das Spezifische eines Bildes Sinnanschlüsse mitstrukturiert und welche Sichtweise versprachlicht wird. Auf diese Weise lässt sich klären, ob und wie die bildliche Spezifik eine bestimmte Perspektive prägt. Solche Strukturierungsweisen wären zudem ein weiterer Beleg, dass bahn­brechende Forschung zu einem gewichtigen Anteil zufällig und vorprädikativ ist. Neue Einsichten und Erkenntnisse sind nicht immer an bewährte Regeln und Prinzipien wissenschaftlicher Praxis gebunden.

Man kann diese Überlegungen weitertreiben und die These formulieren, Perspektivwechsel werden angestoßen, wenn einerseits wissenschaftliche Konzepte vollständig neu konstruiert, aus einem wissenschaftlichen Feld in ein anderes transferiert und transformiert werden.[72] Andererseits können Verschiebungen von Bildern und Imaginationen ausgehen, die außerhalb der wissenschaftlichen Kommunikation zu verorten sind.[73] Grundsätzlich sind Neuerungen aber nur vermittelbar, wenn den Forschenden gelingt, sie an den wissenschaftlichen Diskurs anzuschließen.

Durch die Beispiele überschätzt der Beitrag aber möglicherweise auch den Anteil, den transformative Bildlichkeiten an wissenschaftlichen Perspektivwechseln haben. Sie liefern zwar Hinweise, dass Bildliches einen gewichtigen Beitrag zur Lösung wissenschaftlicher Rätsel liefern kann. Es blei­­bt aber unklar, in welchem Umfang und in welchen Zusammenhängen. Den ge­nannten wissenschaftlichen Problemen ist beispielsweise gemeinsam, dass die Forschenden darin nach einer erklärenden Struktur gesucht haben. Das Bild­liche zeigte jeweils bestimmte Formen auf, welche halfen, die Problemstellungen zu durchdringen und aufzulösen. Bietet das Bildliche aber nur für bestimmte Unklarheiten in der Wissenschaft Lösungen? Kommen sie nur bei Entdeckungen in der Challenge-Kategorie vor?[74] Welche Arten von Problemen lassen sich umgekehrt durch Bildspezifisches nicht lösen? Kommen solche Fragestellung nur in bestimmten Fachdisziplinen auf? Es bedarf weiterer Forschung, um zu verstehen, welchen Stellenwert das Bildliche in wissenschaftlichen Perspektivverschiebungen einnimmt.

Einen Zugang zu solchen Fragestellungen bieten autobiographische Zeug­nisse in Begleitung zu wissenschaftlich publizierten Erkenntnissen. Der Beitrag hat mit dieser Art von Quelle gearbeitet. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass sich Hinweise zu transformativen Bildlichkeiten auch in Briefen, Nachlässen oder biographischen Interviews finden lassen.[75] In wissenschaftlichen Ver­öffentlichungen ist hingegen weniger mit Verweisen zu rechnen. Gerade Kekulé und Watson zeigen eindrücklich, dass der transformative Moment des Bild­lichen in ihren ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen unerwähnt bleibt. Es ist sogar auffällig, dass sie erst mit einer größeren zeitlichen Distanz über den Stellenwert des Bildlichen sprechen. Kekulé schildert die Umstände erst 25 Jahre nach seiner Entdeckung des Benzolrings. Zu diesem Zeitpunkt ist seine Strukturthese bereits vielfach empirisch gesichert und er wird für seine Leist­ungen ausgezeichnet.[76] Ebenso schreibt Watson[77] erst nachdem er den Nobelpreis erhalten hat ungewöhnlich offen über seine Herangehensweise. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, dokumentiert sich auch in der scharfen Kritik anderer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an seinen Schilder­ungen. Sie brachten darin immer wieder die Besorgnis zum Ausdruck, dass solche Offenlegungen die Forschung und die Mechanismen wissenschaftlicher Selbstregulierung diskreditieren.[78] Solche Einwürfe sind wiederum nach­voll­ziehbar, wenn man annimmt, dass derartige Erzählungen die Legitimität der Regeln und Praktiken infrage stellen, welche das wissenschaftliche von anderen gesellschaftlichen Feldern abgrenzt.

Ein möglicher weiterer Ausgangspunkt für die Wissenschaftsforschung können visuelle Metaphern, Gedankenskizzen und Modelle sein, die neue Forschungszugänge eröffnet haben oder zu eröffnen versprechen. Zum einen ist die Wahrscheinlichkeit groß, noch weitere historische Belege für transformative Bildlichkeiten zu finden. Zum anderen könnten Förderanträge für hoch riskante Forschung in aktuellen Forschungsfeldern eine Quelle sein, um den Stellenwert des Bildlichen in Ideenskizzen auszuloten. Es wäre zu untersuchen, bei welcher
Art von wissenschaftlichen Problemen auf Bildliches zurückgegriffen wird. Welche Art von Lösungen bieten Bildliches und Modelle? Wie stark sind sie bildspezifisch strukturiert? Oder werden in ihnen Begriffsrelationen nur visuell herausgestellt? Genauere Kenntnisse werden Grundlagen schaffen, in weiteren Schritten zu klären, ob und welche Modelle sich auf transformative Bildlich­keiten zurückführen lassen.

Eine solche Forschungsrichtung lässt Erkenntnisse erwarten, die einerseits die Bedeutung des visuellen Denkens in der Forschung weiter aufklären und andererseits helfen kann, den Stellenwert des Bildlichen in der Forschung auszuloten. Gerade die Bewertung von Originalität und der Machbarkeit von potentiell bahnbrechenden Forschungsvorhaben konzentriert sich bisher aus­schließlich auf die argumentative Begründung in Textform.[79] Die Originalität der beigefügten Bilder bleibt hingegen in der Regel unbeachtet. Da ein Bild anders als ein Text Sinn erzeugt, wäre zu untersuchen, ob das Bildliche mehr als nur Beiwerk und möglicherweise ein bisher unterbelichteter Indikator für die Evaluation von hoch riskanter Forschung ist.

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Fussnoten

1 Die Überlegungen in diesem Aufsatz gehen auf anregende Diskussionen im DFG ein Forschungsnetzwerk Transformative Bildlichkeit zurück. Für konstruktive Besprechungen des Manuskriptes danke ich im Besonderen Eva Barlösius, Rafael Mrowczynski, Tobias Schlechtriemen, Lars Teich und den anonymen Gutachterinnen und Gutachtern.

2 Kuhn 1962, 1976, 2000. Der Beitrag bleibt eng an Kuhns Ausführungen über den Wechsel von Perspektiven in der Wissenschaft. Weitgehend unberücksichtigt bleiben Aspekte wie institutionelle, fachdisziplinäre oder forschungspolitische Bedingungen von Innovationen. Siehe dazu Gläser und Laudel 2021. Ebenso bleiben alternative theoretische Ansätze zur Hervorbringung wissenschaftlichen Wissens unerwähnt. Siehe dazu beispielsweise Lakatos 1978; Whitehead 1987; Popper 2002.

3 Vor allem in Kuhn 2000.

4 Kuhn 1976.

5 Fleck 1980.

6 Kuhn 1976: 98.

7 Butterfield 1954. Siehe auch: Shirley/Hoeniger 1985; Baldasso 2006.

8 Ferguson 1977. Siehe auch: Heintz/Huber 2001; Geimer 2002; Remmert 2003; Cambrosio et al. 2005; Mersch 2005, 2009; Liebsch/Mößner 2012; Coopmans et al. 2014; Hentschel 2014; Bredekamp et al. 2015.

9 Kuhn 1976: 115.

10 Ferguson 1977. Siehe auch: Imdahl 1996; Boehm 2007; Philipps 2016.

11 Kuhn 1976, S. 160. Siehe auch: Gilbert/Mulkay 1984; Latour 1987; Luhmann 1992; Knorr Cetina 1991.

12 Hentschel 2014: 326f.

13 Blumenberg 2007.

14 Kuhn 1976.

15 Kuhn 1976, 2000.

16 Merton/Barber 2004.

17 Merton 1968. Siehe auch: Kuhn 1962, 1963, 1976; Koestler 1964; Simonton 2004.

18 Weiss 2012.

19 Heinze et al. 2009; Hollingsworth/Hollingsworth 2011.

20 Rhoten et al. 2009.

21 Mulkay 1970, 1974.

22 Fleck 1980, 1983; Kuhn 1976.

23 Koestler 1964; Hentschel 2014.

24 Imdahl 1996.

25 Boehm 2007. Siehe auch: Mersch 2005; Philipps 2016.

26 Sachs-Hombach 2012.

27 Kuhn 1979. Siehe auch: Fujimura 1988; Pickering 1995; Weinert 1999; Boehm 2007.

28 Heintz/Huber 2001. Siehe auch: Lynch 1985; Amann/Knorr Cetina 1988; Geimer 2002; Burri 2008; Liebsch/Mößner 2012.

29 Fleck 1983.

30 Rheinberger 2001. Siehe auch: Remmert 2003; Coopmans et al. 2014.

31 Liebsch/Mößner 2012.

32 Hentschel 2014.

33 Latour 2002. Siehe auch: Maasen 1995; Knorr Cetina 2001; Wendler 2015.

34 Baldasso 2006.

35 Mersch 2005, 2009.

36 Mersch 2009, S. 109.

37 Kuhn 1976.

38 Während bei Blumenberg durch eine Übertragung eine erste begriffliche Annäherung möglich wird, sieht er die Funktion des Begriffes darin, dass dieser „nur den Prozeß ein[leitet], in welchem ein zum Gegenstand gewordenes tremendum, Unbekannt-Schreckendes als genießbarer Gegenstand wiederkehrt“ (Blumenberg 2007: 27f.). Blumenbergs Theorie der Unbegrifflichkeit geht anthropologisch vom Mängelwesen (Arnold Gehlen) aus, wonach die Übertragung „aus dem Fundus eines Überschusses“ den Mangel behebt (Blumenberg 2007: 88). Das Phasenmodell setzt hingegen bei wissenschaftlichen Krisensituationen nach Kuhn (1976) an, übernimmt aber die Überlegungen zur Funktion von Übertragungen, den „Sprachmangel“ aufzuheben, wie Blumenberg (2007: 8) diskutiert.

39 Pierce 1906: 4f. beschreibt einen ähnlichen Prozess als Verfahren der Abduktion, wenn jemand über freie Assoziationen (im Schlaf oder Traum) ein Unverständliches („unintelligible“) in ein Verständliches („intelligible“) überführt. Bei ihm bleibt aber ebenfalls unklar, wie und wodurch eine neue Erklärung entsteht.

40 Koestler 1964: 169ff.

41 Kuhn 1962, 1976.

42 „Violation or distortion of a previously unproblematic scientific language is the touchstone for revolutionary change“ (Kuhn 2000: 32).

43 Kuhn 1976.

44 Kuhn 1979. Siehe auch: Pickering 1995; Hentschel 2010.

45 Kuhn 1976: 102.

46 Lem 1974: 74.

47 Lem 1974: 70.

48 Lem 197: 71.

49 Lem 1974: 72.

50 Lem 1974: 72.

51 Rocke 1992. Siehe auch: Rothenberg 1995; Theodore 2009.

52 Hentschel 2014.

53 Mit der Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführten Unterscheidung in Protonen und Elektronen hat – vereinfacht ausgedrückt – ein Wasserstoffatom ein Valenzelektron und ein Kohlenstoffatom vier Valenzelektronen.

54 Anschütz 2012: 382.

55 Kekulé in Anschütz 2012.

56 Kekulé in Anschütz 2012: 1306.

57 Rocke 1992.

58 Theodore 2009: 165.

59 Rothenberg 1995: 434.

60 Watson 1990.

61 Van Dijck 1998.

62 Watson 1990: 39.

63 Watson 1990: 38.

64 Pauling/Corey 1951.

65 Watson 1990: 41.

66 Watson 1990: 52.

67 Die folgende Aufzählung lässt sich mit Latour und Woolgar (1986, S. 171–174) auch soziologisch als materielle und kollektive Umstände beschreiben, die zur Entdeckung des DNS-Modells beigetragen haben.

68 Cochran/Crick 1952.

69 Watson 1990.

70 Watson 1990: 96f.

71 Hentschel 2014.

72 Kuhn 1976. Siehe auch: Maasen 1995. Sie unterscheidet für Metaphern bei solchen Übertragungen zwischen Transfer (eine importierte Metapher bleibt im neuen Forschungsfeld sichtbar) und Transformation (eine Metapher wird vollständig im neuen Bereich angeeignet).

73 Siehe exemplarisch den Verweis bei Ferguson (1977) auf nichtwissenschaftliche visuelle Fertigkeiten von Ingenieurinnen und Ingenieuren oder das Kapitel über die visuellen Fertigkeiten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, also auch über sie unterstützende Illustratorinnen und Illustratoren in Hentschel 2014.

74 Koshland 2007.

75 Das Problem solcher Daten ist natürlich, dass Ereignisse einerseits aus der subjektiven Perspektive des Erzählenden wiedergeben werden und dass die Struktur einer Erzählung andererseits die Bedeutung der Ereignisse miterzeugt. Im Idealfall sollten daher nicht nur Berichte und Schilderungen vorliegen, sondern Bildliches selbst.

76 Rocke 1992.

77 Watson 1990.

78 Nachzulesen in Van Dijck 1998.

79 Abdoul et al. 2012.


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Citation

Axel Philipps: Transformative Bildlichkeiten in der Wissenschaft. Überlegungen zu bildinduzierten Perspektivverschiebungen. In: IMAGE. Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft, Band 40, 7. Jg., (2)2024, S. 244-266

ISSN

1614-0885

DOI

10.1453/1614-0885-2-2024-16436

First published online

Oktober/2024