Populistische Memetik: Eine Analyse symbolischer Gewalt in Social Media

Von Marcel Lemmes

Abstract

Der vorliegende Artikel untersucht die Konstruktion von sozialen Hierarchisierungen und (Re-)Produktion von Stereotypen im Digitalen am Beispiel von populistischen Internet-Memes in sozialen Medien. Nach begrifflichen Vorüberlegungen zu einer memetischen Praxis und zu Populismus als Konzept zwischen dünner Ideologie und rhetorischer Strategie, werden diese Prozesse mithilfe des Bourdieu’schen Begriffs von symbolischer Gewalt anhand von Fallbeispielen beschreibbar gemacht. Soziales, symbolisches und ein spezifisches memetisches Kapital erweisen sich dabei als zentral.

This article examines the construction of social hierarchies and the (re-)production of stereotypes in the digital realm using the example of populist internet memes in social media. After preliminary conceptual considerations on memetic practice and populism as a concept between thin ideology and rhetorical strategy, these processes are made describable with the help of Bourdieu’s concept of symbolic violence using case studies. In doing so, social, symbolic, and a specific memetic capital prove to be central categories of analysis.

Einleitung

Der Aufstieg von Memes als distinkte Kommunikationsform in der Online-Kommunikation ist ein bestimmendes Merkmal des digitalen Zeitalters. Memes sind zu einem allgegenwärtigen und integralen Bestandteil des Online-Diskurses geworden und dienen oft als Ausdrucksmittel für Humor, Satire und sozialen Kommentar. Unter ihrer scheinbar harmlosen Oberfläche können Memes jedoch auch als Manifestation der komplexen und oft widersprüchlichen Dynamik der Online-Kultur gesehen werden. In diesem Beitrag sollen die Verbindungen zwischen Memes und Populismus reflektiert werden und es soll untersucht werden, wie mithilfe von Memes Unterstützung für populistische Ideologien mobilisiert und dominante Machtstrukturen gestärkt werden können. Die Arbeiten von Pierre Bourdieu werden hierfür elementar sein, insbesondere sein Konzept der symbolischen Gewalt.

Zunächst sollen einige terminologische Überlegungen zum Meme-Begriff vorgestellt werden. Abgeleitet von einem sozial-darwinistischen Kulturverständnis hat sich der Begriff vor dem Hintergrund spezifischer Nutzungspraktiken in Online-Communities und einer damit einhergehenden Aneignung zu einem breiten Konzept zwischen abstrakter Idee und konkreter Textform entwickelt, welches multimodale Arrangements, Bilder, Videos, Textstücke und mehr umfasst.

Danach werden Memes vor dem Hintergrund populistischer Ideologie und Rhetorik reflektiert. Hierfür wird eine Definition von Populismus und seiner Hauptmerkmale vorgestellt, einschließlich seiner Betonung eines rhetorisch konstruierten Volkes und seiner Ablehnung traditioneller Politik und Institutionen. Memes werden hierbei als funktionales Vehikel erkennbar, um ein Gemeinschaftsgefühl und eine gemeinsame Identität unter Unterstützer*innen zu schaffen.

Diese Vorüberlegungen werden mit einem Überblick über das Konzept der symbolischen Gewalt abgeschlossen. Nach Bourdieu ist symbolische Gewalt ein Prozess, mit welchem dominante Gruppen Sprache und Symbole verwenden, um ihre Macht und Privilegien über untergeordnete Gruppen aufrechtzuerhalten. Somit ist sie als Schlüsselmechanismus der Machtausübung in einer Gesellschaft zu verstehen. Im Kontext der Online-Kultur kann sich dies in der Verwendung von Memes manifestieren, indem etwa diskriminierende und stigmatisierende Stereotypen verstärkt werden. Die Zuschreibung bzw. das Aberkennen von Kapital in einem Bourdieu’schen Verständnis wird sich hierbei als nützliches Erkenntnisinstrument erweisen.

Vor diesem begrifflichen und theoretischen Hintergrund sollen schließlich fünf exemplarische Fallstudien populistischer Rhetorik folgender Memes vor­gestellt und durch die Linse der Verbindungen zwischen Memes, Populismus, symbolischer Gewalt und Bourdieus Kapitalformen analysiert werden. Anhand dieser Fallstudien wird die komplexe Dynamik symbolischer Gewalt im Kontext der Online-Kultur anschaulich; es soll sichtbar gemacht werden, wie mithilfe von Memes dominante Machtstrukturen aufrechterhalten werden können.

Schließlich werden die Implikationen dieser Ergebnisse diskutiert, wobei die Notwendigkeit einer kritischen Untersuchung der Rolle von Memes bei der Gestaltung unserer Online-Diskurse und der Art und Weise, wie sie zur Mobilisierung von Unterstützung für populistische Ideologien genutzt werden können, betont wird.

1. Memes zwischen Medienhandeln und Populismus

Der Begriff „meme“ beziehungsweise die deutsche Variante „Mem“ geht ursprünglich auf den Evolutionsbiologen Richard Dawkins zurück und bezeichnet bei diesem einen allgemeinen Kulturreplikator – abgeleitet vom griech­ischen Wortstamm „mimeme“ und phonetisch an den Begriff „gene“ (also „Gen“) angeglichen (DAWKINS 2016: 249). Ausgangspunkt für die Überlegungen zum „Mem“-Begriff ist die Entwicklung von menschlicher Sprache über Generationen hinweg, wobei Dawkins Parallelen zum sich verändernden Gesang einer neuseeländischen Vogelart zieht (DAWKINS 2016: 245–246). Diese und andere kulturelle Phänomene, beispielsweise „tunes, ideas, catch-phrases, clothes, fashion, ways of making pots or building arches“ würden sich durch Meme „from brain to brain via a process which, in the broad sense, can be called imitation“ ver­breiten (DAWKINS 2016: 249). Ein Mem könnte man also im weitesten Sinne als einen spezifischen, durch Nachahmung erworbenen Gedanken bzw. eine Denkweise bezeichnen.

Dawkins versteht das Mem als allgemeinen Kulturreplikator, der darum von Bau- und Handwerksanleitungen über Musik und Kunst bis hin zu „catch phrases“ und Insiderwitzen reicht. Für ein medienwissenschaftliches Verständnis ist das freilich viel zu weit gefasst. Die Verengung des Begriffs von „Mem“ zu digitalen Internet-„Memes“ – ich wechsele hier und im Folgenden aufgrund der Verwendung des Begriffs in den entsprechenden digitalen Communities und in bewusster Abgrenzung zu Dawkins zum anglophonen Ausdruck, der sich so auch in der deutschen Onlinesprache etabliert hat – markiert zwar klare Eckpfosten, aber keine festen Grenzen. So macht eine schnelle Internetsuche deutlich, dass als Internet-Memes konkrete Medientexte wie Text-Bild-Kombinationen, Videos, Audio-Fragmente oder ganze Lieder, aber auch schriftsprachliche Texte wie die sogenannten ‚Copypastas‘ gehandelt werden. Vor diesem weit ausgedehnten Verwendungskontext müssen Internet-Memes als ein grund­legend multimodales Phänomen verstanden werden (MILNER 2016: 23–26). Sie können sich aus verschiedenen Kommunikationsmodi zusammensetzten (zum Beispiel die extrem weit verbreitete Kombination von Text und Bild) und/oder synästhetisch auf Inhalte aus verschiedensten Modi verweisen (wie etwa durch die Verwendung von (Bild-)Zitaten aus Filmen) (MILNER 2016: 24–25). Der Modus (beziehungsweise die Modi) eines einzelnen Memes lässt sich als mögliches Abgrenzungskriterium gegenüber anderen memetischen Darstellungsformen einsetzten. Denn der Fokus auf einen spezifischen Modus beziehungsweise eine spezifische Kombination von Modi erlaubt, die Funktionslogiken unterschiedlicher Formen von Medientexten wie Text-Bild-Memes, Video-Memes oder Text-Memes konkreter zu erfassen und theoretisch zu fundieren. In diesem Beitrag liegt der Fokus auf Text-Bild-Memes.

Neben eher semiotisch verorteten Überlegungen zur Multimodalität von Memes müssen diese aber auch, aus einer medienwissenschaftlichen Hinsicht, als multimediales, aber auch transmediales Phänomen bedacht werden: Sie zirkulieren in der Regel auf verschiedenen als distinkt zu verstehenden digitalen Plattformen, sind jedoch durch eine zugrundeliegende Formalisierung durch sogenannte Meme-Formate mitunter über die Grenzen dieser Plattformen hinaus als zusammengehörig identifizierbar. Diese mediale Doppellogik erklärt sich aus einer bis heute nicht abschließend geklärten begrifflichen Unschärfe. Als ein Meme werden sowohl einzelne Artefakte (ein konkreter Post in Social Media, ein konkretes Bild, ein konkretes Video etc.) als auch eine Sammlung mehrerer Artefakte bezeichnet. Mit letzterem Verwendungszweck im Hinterkopf verwenden etwa Knobel und Lankshear den Begriff „Meme,“ um die zunehmende digitale Verbreitung einer „particular idea [Hervorh. durch den Autor] presented as a written text, image, language ‚move,’ or some other unit of cultural ‚stuff’“ (KNOBEL/LANKSHEAR 2007: 202) zu be­schreiben – womit die Autoren über formale, i.e., syntaktische Ähnlichkeitsverhältnisse hinausgehen. Auch Milner unterstreicht diesen Gedanken; er versteht Internet-Memes als aggregierte Medientexte. Ein einzelner Medientext könne für sich genommen kein Meme sein, sondern wird dazu erst durch eine Beziehung zu anderen Medientexten, die sich aus Erweiterung, Veränderung oder Aneignung ergibt (MILNER 2016: 2–3). Mit Shifman lässt sich hier ergänzen, dass Internet-Memes „[are] (a) a group of digital content units sharing common characteristics of content, form and/or stance“ (2014: 177). Schon aus diesem kurzen Aufriss wird deutlich, dass sich Memes irgendwo zwischen konkreter Form und abstrakter Idee, zwischen formalästhetischer Beschaffenheit und kultureller Praxis bewegen.

Die Mischung aus Medienhandeln wie (Re-)Produktion, Rezeption und Verbreitung von Memes lässt sich als memetische Praxis bezeichnen. Sie ist insofern als hochgradig diskursiv zu verstehen, als sie zum einen Memes als Mittel einsetzt, um an bestehenden größeren gesellschaftlichen Diskursen teilzunehmen, zum anderen innerhalb einer sozialen Gruppe eigene Diskurse zu schaffen. „Diskurs“ soll hierbei und im folgendem im foucault’schen Sinne verstanden werden, also als System von Bedeutungsmustern, Texten, Aussagen und Konzepten, in welchem Machtverhältnisse etabliert, stabilisiert und verstärkt werden (PARR 2014; FOUCAULT 2021). Die memetische Praxis verhandelt diskursiv sowohl über Memes als Textgattung, etwa ihre Formalisierung als Meme-Formate, als auch über allgemeine, innerhalb der Gruppe relevante Themen mithilfe von Memes. Diese reflexive Auseinandersetzung mit Memes und ihrer Bedeutung in relativen Kontexten bietet Einblicke in die Art und Weise, wie Kommunikation, Identität und soziale Normen online konstruiert werden.

Dieses Potenzial lässt Memes für populistische Zwecke funktional werden. Das Phänomen des Populismus wird zumeist als Bedrohung für demokratische Ordnungen charakterisiert (siehe etwa MÜLLER 2016). Begrifflich liegt bis heute allerdings noch keine eindeutige Definition vor. Der Ausdruck „Populismus“ ist hochgradig unpräzise und wird vor allem in der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichtsforschung heterogen bedacht. Populismus wird mitunter etwa als eine („dünne“) Ideologie, eine Strategie zum Erwerb bzw. zum Erhalt von Macht oder auch als eine allgemeine Kommunikations- bzw. Diskurspraxis verstanden (siehe etwa PRIESTER 2011; STOCKEMER 2019).

Den abstrakten begrifflichen Überlegungen stehen empirische Forschungsarbeiten zur politischen Kommunikation gegenüber, die Populismus als Form der strategischen Kommunikation verstehen und konkrete Äußerungen von als Populist*innen identifizierten Akteur*innen untersuchen. Im Kern stimmen die meisten dieser Arbeiten darin überein, dass sich die Identifikation von populistischen Kommunikaten auf inhaltliche Kriterien stützen muss. Als zentrales rhetorisches Mittel populistischer Kommunikation lässt sich die Vereinfachung nennen (vgl. etwa SPIER 2006: 33; oder WOLF 2017: 7), oder mit anderen Worten: „Populismus ist einfach, Demokratie ist komplex“ (DAHRENDORF 2003: 159). Als andere typische Merkmale populistischer Kommunikation gelten etwa: 1) eine Gegenüberstellung von Eliten und ‚gemeinem Volk’; 2) die Berufung auf einen common sense dieses Volkes; 3) die kommunikative Darstellung der Eliten (Politiker*innen, Intellektuelle, multinationale Konzerne, …) als verschwörerisch und schädlich; 4) die Moralisierung des öffentlichen Diskurses; 5) die Beschwörung einer Krise; 6) die Legitimation der eigenen Position als ‚Sprachrohr’ des so konstruierten ‚Volkes’ – welches nicht mit der tatsächlichen, heterogenen Be­völkerung des jeweiligen Landes gleichzusetzen ist (MUDDE/ROVIRA KALTWASSER 2017; MÜLLER/PRECHT 2019; PRIESTER 2011; SACHS-HOMBACH/ZYWIETZ 2018).

Als populistisch lassen sich nach diesen Kriterien also alle Memes fassen, die mindestens einem dieser Merkmale folgen. Was bei dieser Minimaldefinition auffällt, ist ihr Fokus auf textimmanente Merkmale, welche letztlich qua Interpretation herausgearbeitet werden müssen. Der etwaige Produzent oder Sender spielt hier keine übergeordnete Rolle, ist jedoch freilich als Teils des relevanten Ko- und Kontexts während der Interpretation zu berücksichtigen. Zwar wäre es ein auf den ersten Blick ein sehr pragmatischer Ansatz, die Kommunikator*innenrolle stärker zu gewichten – ‚populistische Memes werden von popu­listischen Akteur*innen verbreitet’ –, auf den zweiten Blick stellt sich ein solcher Ansatz jedoch als zu kurz gedacht heraus. Zum einen ist die Identifikation von Akteur*innen als populistisch per se problematisch (schließlich ist sie auch im politischen Tagesgeschäft eine rhetorische Strategie), zum anderen stellt sich die Suche nach ‚dem/der Kommunikator*in’ bei Memes mitunter als unmöglich heraus. Generell spielt Autorenschaft in Meme-Communities selten eine zentrale Rolle. Auf vielen der typischen Meme-Plattformen interagieren Nutzer*innen anonym oder mit Pseudonymen und bei geposteten Beiträgen wird dem Profil des Urhebers (falls vorhanden) oft keine große Bedeutung beigemessen. Auf­grund der weitverbreiteten Praxis des ‚Repostings’ kann zudem nicht davon ausgegangen werden, dass der/die Nutzer*in, der/die das Meme hochgeladen hat, auch zwangsläufig dessen Urheber*in ist.

Memes sind als vernetzte Texte zu verstehen, welche ihren Bedeutungsgehalt aus Referenzialität und Bezügen zwischen einzelnen Artefakten gewinnen. Zwingend eine eindeutige Kommunikationsinstanz zu bestimmen, würde dies auf geradezu fahrlässige Weise vernachlässigen. Denn als Diskursinstrumente sind Memes aufgrund ihrer Vernetztheit insbesondere dadurch wirkmächtig, dass sie ihre Argumente, Positionen und Meinungen als (Zwischen-)Ergebnis eines memetischen Prozesses präsentieren. Ein einzelnes Meme ist ‚eine Stimme von vielen’ – beziehungsweise wird es aufgrund seiner Einbettung in eine memetische Praxis als solche verstanden. Diese Feststellung offenbart fürderhin das populistische Potenzial dieser modernen Textform: populistische Kommunikation zielt darauf ab, die eigene Position als Mehrheitsmeinung zu stilisieren – ein Ziel, für welches Memes als ideales Vehikel erscheinen.

2. Symbolische Gewalt nach Bourdieu:
Anwendung auf memetische Praktiken

Pierre Bourdieu prägte den Begriff der symbolischen Gewalt, um die Art und Weise zu beschreiben, wie Macht durch den Einsatz von Symbolen und Sprache konstruiert und dadurch soziale Hierarchien aufrechterhalten werden. Aus einer kultursoziologischen Perspektive argumentiert Bourdieu, dass die Produktion und der Konsum von Symbolen und Sprache der Schlüssel zum Verständnis der Machtausübung und -reproduktion in einer Gesellschaft sind. Symbolische Gewalt operiert hierbei subtil und oft unbemerkt, etwa wenn sie sich in Sprechweisen, Kommunikationsbeziehungen und Sprachsystemen manifestiert (BOURDIEU 2015; BOURDIEU 2020); wenn sie durch „Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsschemata“ (BOURDIEU 2001: 218) wirksam wird.

Im Zentrum von Bourdieus Theorie der symbolischen Gewalt steht das Konzept des sozialen Feldes, die sozialen und kulturellen Kontexte, in denen Sprachsysteme und spezifische Symbole produziert und konsumiert werden (BOURDIEU 2022). Ein distinktes soziales Feld wird durch ein spezifisches Feldinteresse konstituiert (BARLÖSIUS 2011: 102), welches auch die jeweiligen um­­kämpften Kapitalsorten strukturiert und hierarchisiert. Bourdieu unterscheidet vier allgemein anwendbare Formen des Kapitals, kulturelles Kapital (u. a. Wissen, Ausdrucksfähigkeit), ökonomisches Kapital (Geld, Besitz), soziales Kapital (Beziehungen, Gruppenzugehörigkeit) sowie symbolisches Kapital (Anerkennung, Status). Je nach Feldinteresse lassen sich jedoch im Einzelfall noch feldspezifische Kapitalformen bestimmen. Ein soziales Feld ist ein Ort des Kampfes um Kapital, in dem Individuen und Gruppen um Macht und Status konkur­rieren (Bourdieu 2022: 134). Das kulturelle Feld als ein Beispiel ist etwa durch ein Klassifikationssystem gekennzeichnet, in dem Individuen und Gruppen auf der Grundlage ihrer Beziehung zur dominanten Kultur kategorisiert und eingestuft werden.

Symbolische Gewalt lässt sich als eine spezifische Form der Machtausübung innerhalb eines sozialen Feldes bestimmen, welche durch die Verwendung von Symbolen und Sprache die dominante Kultur und die dort herrschenden Hierarchien verstärkt und aufrechterhält. Die damit erzeugten Dominanzverhältnisse werden durch Internalisierungsprozesse verfestigt; sie sind „das Produkt der Einverleibung von somit zur eigenen Natur werdenden Klassifizierungen […]“ (BOURDIEU 2001: 218). „Die symbolische Gewalt ist ein Zwang, der ohne die Zustimmung nicht zustande kommt“ (BOURDIEU 2001: 218). Zentral für die Ausübung symbolischer Gewalt ist das Vorhandensein von symbolischem Kapital, welches sich vornehmlich aus kulturellem, ökonomischem und sozialem Kapital konstruiert (PETER 2004) und wodurch Distanz – und damit Wertung – zwischen Akteur*innen geschaffen wird (PETER 2011).

Das Konzept der symbolischen Gewalt zeigt sich unter anderem auch in der medialen Darstellung verschiedener Gruppen oder Individuen. So kann beispielsweise die Darstellung von Frauen in den Medien als eine Form symbolischer Gewalt verstanden werden, wenn sie die Sicht der dominanten Kultur auf Frauen als Objekte der Begierde verstärkt (etwa durch den male gaze, siehe etwa EATON 2008). Allgemeiner gesprochen kann die stereotype Repräsentation anderweitig intersektional klassierter Gruppen als eine Form symbolischer Gewalt angesehen werden, da sie die Sichtweise der dominanten Kultur auf diese Gruppen als minderwertig aufrechterhält. In Bourdieus Mutterdisziplin, der Soziologie, sind Untersuchungen zum Zusammenspiel von Medien und Medienhandeln mit symbolischer Gewalt schon verhältnismäßig unterrepräsentiert (mit Ausnahmen wie etwa ŠUBER et al. 2011), medienwissenschaftlich ist dieser Zusammenhang quasi überhaupt nicht bedacht (wie etwa bei AUSTIN 2016). Die Reflexion über die Verteilung und Strukturierung Bourdieu’scher Kapitalsorten soll vor dem Hintergrund dieses Desiderats im Folgenden als fruchtbar herausgestellt werden.

Repräsentationsformen und Ausdrucksdynamiken in der medialen Repräsentation von Personengruppen haben sich durch Prozesse von Mediatisierung und Digitalisierung offenkundig verändert, wie bereits die obigen Aufführungen zum Phänomen der Internet-Memes angerissen hat. Eine dabei immer wieder beobachtete, und im öffentlichen medialen, politischen und journalistischen Diskurs zurecht kritisierte Entwicklung ist die Zunahme von Hass und Feindseligkeit im Digitalen, von verbalen Angriffen, Mobbing und Diskriminierung bis hin zu Radikalisierungsprozessen, welche im Extremfall in physischer Gewalt und Gefahr für Leib und Leben münden. Als eine Konstruktion sozialer Machtungleichgewichte lassen sich diese Entgleisungen als eine Form der symbolischen Gewalt verstehen, welche auf die die diskursive Konstruktion von Kontrolle einer dominanten Gruppe durch den Einsatz von Einschüchterung, Hassrede und Stereotypisierung abzielen. Die Eingebundenheit dieser Form von symbolischer Gewalt muss fürderhin vor einem breiteren sozialen Kontext reflektiert werden. Sie muss als Ergebnis des Zusammenspiels verschiedener Faktoren verstanden werden, einschließlich gesellschaftlicher Normen, kultureller Werte und historischer Kontexte. Denkbar ist etwa, dass gesellschaftliche Normen Hassrede aufrechterhalten, indem sie diskriminierendes Verhalten dulden oder sogar fördern (‚free speech‘). Kulturelle Werte wiederum können schädliche Stereotypen und Vorurteile verstärken (‚Alleinverdiener-Haushalt‘). Der historische Kontext kann solche Dynamiken des Hasses weiter verschärfen, indem vergangene Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten fortgeschrieben werden (etwa die fortwährende Aktualisierung antisemitischer Narrative). Das Wechselspiel dieser Aspekte wird durch eine Bourdieu’sche Linse beschreibbar.

Im Kontext dieses Beitrags soll eine Reflexion symbolischer Gewalt vor dem Hintergrund dieser Überlegungen am Beispiel sozialer Prozesse im Digitalen erfolgen, welche von der bereits angesprochenen Atmosphäre des Hasses und der Feindseligkeit geprägt sind. Die nahezu allgegenwärtige Nutzung von Social-Media-Plattformen vereinfacht die Verbreitung und Zirkulation von aggressiven, diskriminierenden und mit negativen Affekten aufgeladenen Inhalten. Dies ist allerdings nicht aus einer rein technologisch-dispositiv-orientierten Perspektive zu bedenken. Neben technischen Möglichkeitsräumen bzw. Restriktionen und ‚unsichtbaren,‘ algorithmischen Filtermechanismen spielen auch implizite, aber dennoch präzise beschreibbare Gebrauchs- und Verhaltensweisen von Nutzer*innen bei dieser Veränderung eine große Rolle (siehe etwa für die Verbreitung von Desinformation STARBIRD et al. 2019; VALENZUELA et al. 2019). Memetische Praktiken und Heuristiken sind für diese Form von Medienhandeln ein exzellentes Beispiel. Die mit diesen verbundenen spezifischen Verbreitungsdynamiken bringen ein breites Spektrum an Inhalten hervor. Harmlose, nonsensisch-unterhaltende bis hin zu fröhlich-aufbauende Einzeltexte stehen hasserfüllten, aggressiven, diskriminierenden, sogar menschenverachtenden Beispielen gegenüber. Aufgrund der zugeschriebenen Vielstimmigkeit, mit welcher Memes Argumente und Anschauungen präsentieren, erscheinen sie nicht nur wie bereits besprochen als geeignetes Vehikel für populistische Rhetorik, sondern auch für die Ausübung symbolischer Gewalt, um sie aufrecht zu erhalten und zu verstärken. Dies soll im Folgenden anhand einiger Beispiele genauer untersucht werden. In der Analyse sollen zum einen formalästhetische Bezüge und relevante Kontexte bedacht werden, zum anderen soll der übergeordneten Frage nachgegangen werden, auf welche Weise (und auch mit welchen Einschränkungen) Memes diskursiv wirksam werden und wie sie so verdeckt an der Konstruktion von Machtverhältnissen in einem Bourdieu’schen Verständnis mitwirken. Als Grundannahme ist bereits vorab davon auszugehen, dass Memes als Mittel zur Mehrung (digitalen) sozialen Kapitals zu verstehen sind (JULIEN 2015). Dies geschieht jedoch nicht bloß durch eine möglichst weite Verbreitung und damit verbundener, ggf. quantifizierbarer sozialer Anerkennung. Als Instrument symbolischer Gewalt erfolgt durch das Zu- und Absprechen verschiedener Kapitalformen eine Hierarchisierung und (Re-)Konstruktion von Dominanzverhältnissen. Ein spezifisches memetisches Feld mit eigenem Feldinteresse und eigenen Kapitalregeln wird dabei sichtbar gemacht werden.

3. Fallbeispiele: Populistische Memes als Träger symbolischer Gewalt

Die beispielhafte Untersuchung von populistischen Memes soll im Folgenden in Orientierung an einer semiotischen Analyse erfolgen. Allgemein gesprochen zielt eine solche darauf ab, die zugrundeliegenden Bedeutungen, kulturellen Einflüsse sowie die Art und Weise, wie Zeichen und Symbole verschiedene Formen der Kommunikation und (soziale) Repräsentation beeinflussen, aufzudecken. Aufbauend auf dem von Ferdinand de Saussure (vgl. etwa SAUSSURE 2011) prominent skizzierten Verständnis, dass die Beziehung zwischen dem signifiant (der physischen Form eines Zeichens) und dem signifié (dem Begriff oder der Bedeutung, die mit dem Zeichen verbunden ist) willkürlich ist, rückt der Herstellungsprozess dieser Beziehungen in den Fokus. Mit Peirce lassen sich drei Arten von Zeichen unterscheiden (siehe etwa DANESI 2004, welcher dies anschaulich umreißt): Ikone, die ihren Referenten visuell ähneln (z. B. ein Foto eines Baumes), Indizes, die eine direkte Verbindung oder Korrelation mit ihren Referenten haben (z. B. Rauch, der auf ein Feuer hinweist), und Symbole, deren Bedeutung auf Konventionen und kulturellen Codes beruht (z. B. Wörter oder Flaggen). Eine semiotische Analyse zielt also darauf ab, Zeichen in ihrem breiteren kulturellen und sozialen Kontext zu untersuchen, die verschiedenen Beziehungen zwischen Zeichen und ihren Bedeutungen, die Assoziationen/Konnotationen, die sie hervorrufen, und die Codes und Konventionen, die ihre Interpretation beeinflussen, aufzudecken und gleichzeitig zu versuchen, die Gebrauchsmuster eines bestimmten Zeichens in einem bestimmten sozialen Kontext zu entschlüsseln. Vor der Linse der Bourdieu‘schen Feldtheorie rücken die Peirce’schen Symbole in den Vordergrund. Diese gilt es, als Konstituenten symbolischer Gewalt und als Ausdruck Bourdieu’scher Kapitalformen zu verstehen. Im Kontext memetischer Praktiken lassen sich die Symbole und das Wissen um deren Gebrauch als memetisches Kapital verstehen. Memetisches Kapital ist, wie sich zeigen wird, ein Vehikel für symbolische Gewalt.

Die Analyse von Memes als ein Mittel symbolischer Gewalt beginnt mit der Identifizierung des Memes und seiner intendierten Bedeutung. Dabei geht es darum, die Modalität(en) des Memes zu bestimmen und was mutmaßlich seine beabsichtigte Bedeutung ist zu entschlüsseln. Dafür ist es nicht zuletzt wichtig, den Kontext nachzuvollziehen, in dem das Meme verwendet wird, einschließlich der Social-Media-Plattform, des Online-Forums bzw. eines anderen digitalen Raums, in dem es geteilt wird.

Der nächste Schritt in der Analyse besteht darin, die Signifikanten und Signifikate des Memes zu identifizieren. Signifikanten sind die visuellen und sprachlichen Elemente, aus denen sich das Meme zusammensetzt, im Falle der folgenden Beispiele also die konstitutiven Bild- und Textsegmente. Signifikate sind wiederum die Konzepte oder Ideen, die diese Signifikanten evozieren sollen, wie z. B. eine bestimmte (pop-)kulturelle Referenz oder einen formelhaften Witz, aber auch gesellschaftliche Narrative und Diskurse. Die Beziehungen zwischen Signifikanten und Signifikaten verfeinern die erste mutmaßliche Kommunikationsabsicht des Memes. Die Identifikation von Mehrdeutigkeiten ist dabei ein zentraler Aspekt der Strukturanalyse. Populistische Memes neigen dazu, vielschichtige Interpretationen zuzulassen, indem sie bewusst ambige Elemente verwenden; nicht zuletzt, da die bewusste Auswahl von Bildern, Symbolen und Texten es Akteur*innen ermöglicht, ihre Identität gezielt zu gestalten und dabei oft subversive oder ironische Elemente einzubinden. Dieser Inszenierungsprozess trägt dazu bei, zumindest grenzwertige, häufiger jedoch grenzüberschreitende Positionen zu politischen und gesellschaftlichen Themen zu artikulieren.

Neben der Analyse der Signifikanten und Signifikate gilt es zu untersuchen, wie das Meme intersektional operiert, wie es verschiedene Gruppen bewertet und diese markiert. Dabei geht es darum, das symbolische Gewaltpotenzial des Memes auszuloten und zu ermitteln, wie es verwendet wird, um soziale Hierarchien zu verstärken oder in Frage zu stellen. Zum Beispiel kann ein Meme eingesetzt werden, um dominante Machtstrukturen zu reproduzieren, etwa indem marginalisierte Gruppen verspottet oder schädliche Stereotypen aufrechter­halten werden.

Der letzte Schritt in der Analyse zielt darauf ab herauszufinden, wie mithilfe des Memes Kapital im Bourdieu’schen Sinne akkumuliert wird – oder wie bereits vorhandenes eingesetzt wird. Zum Beispiel kann ein Meme verwendet werden, um soziales Kapital zu akkumulieren, wenn es von einer großen Anzahl von Nutzern geteilt und geliked wird, oder um kulturelles Kapital zu evozieren, indem es auf eine bestimmte popkulturelle Referenz verweist.

Die ersten beiden Beispiele, die hier untersucht werden sollen, stammen aus der Zeit des US-Wahlkampfes 2016. Auch wenn Trump und sein Wahlkampf­team immer wieder einen direkten Kontakt zu Russland abgestritten haben und Trump letztlich durch den „Mueller-Bericht“ von diesen Vorwürfen offiziell entlastet wurde (vgl. SARRE 2019; TAGESSCHAU ONLINE 2019), gilt eine Einflussnahme durch russische Einrichtungen als gesichert (vgl. etwa ABRAMS 2019). Ein Untersuchungsausschuss des amerikanischen Kongresses veröffentlichte in diesem Zusammenhang Ende 2017 zunächst einige, im Mai 2018 schließlich alle rund 3.500 Social-Media-Werbeanzeigen, die von der russischen Trollfabrik „Internet Research Agency“ veröffentlicht worden sind (RÜESCH 2017; SHANE 2017; WAGNER 2018).[1] Beide Beispiele stammen aus dieser Sammlung und formulieren antimuslimische Ressentiments.

Abb. 1:
Ein Meme aus der Zeit des US-Wahlkampfes 2016 von einem von Russland aus gesteuerten Social-Media Account (@stand_for_freedom_)

Abgerufen von https://medium.com/@ushadrons/this-space-is-a-repository-for-content-from-the-russian-social-media-group-stand-for-freedom-e4b44c921155 (14.12.2019).

Das erste Text-Bild-Arrangement (Abb. 1) instrumentalisiert hierfür die verheerende Tragödie der Anschläge vom 11. September 2001. Auf der visuellen Ebene verwendet das Meme ein Bild der Twin Towers mit aufsteigenden Rauchschwaden; eine Fotografie, die mutmaßlich unmittelbar nach dem Einschlag der Flugzeuge in die Gebäude entstanden ist. Das über das Bild gelegte sprachliche Element fragt: „How did we get from this, to being afraid of offending Muslims?“ Als mutlimodales Arrangement verbindet das Meme das Narrativ, dass Muslime in der kontemporären amerikanischen Kultur einen besonderen geschützten Status genießen würden, mit dem Schrecken der Anschläge des 11. Septembers 2011. Es zielt fürderhin darauf ab, die muslimische Bevölkerung Amerikas mit Terrorismus in Verbindung zu setzen. Damit verstärkt es die bei manchen Gruppierungen vorherrschende Ideologie, dass Muslime eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten darstellen würden. Gleichwohl läuft das Meme mit dieser Unterstellung gegenläufig zu einem der hegemonialen Narrative zu den Anschlägen, welches den 11. September als die Amerikaner vereinende Tragödie tradiert. Muslime werden hier aus diesem Narrativ herausgestrichen.

Auf der Ebene des begleitenden Ko-texts untermauert das Meme seine kruden Behauptungen, welche – ganz im Sinne eines für populistische Rhetorik üblichen common sense keiner rationalen Begründung bedarf – durch die Evokation sozialen und symbolischen Kapitals. Das Meme wurde vom Instagram-Account @stand_for_freedom_ während des US Wahlkampfes 2016 gepostet. Dieser Accountname impliziert auf der einen Seite die Social-Media-Präsenz einer Gruppe oder Bewegung statt die einer Einzelperson. Auf der anderen Seite wird auf den positiv konnotierten Wert der Freiheit verwiesen. So wird das populistische Rhetorik Schema eines tugendhaften ‚Wirs‘ reproduziert, welchem augenscheinlich die muslimische US-Bevölkerung als schadhaftes ‚Die‘ gegenübergestellt wird. Der übergreifende Kontext wiederum macht eine weitere Kapitalform sichtbar, welcher sich dieses Meme jedoch gänzlich verdeckt bedient. Als Produkt der Trollfabrik „Internet Research Agency,“ welches als bezahlte Werbeanzeige verbreitet wurde, stellt dieses Meme den Versuch dar, ökonomisches Kapital qua Übersetzung in symbolisches Kapital zur Ausübung symbolischer Gewalt gegen Muslime einzusetzen. Auf formal-ästhetischer Ebene bedient sich das Meme wiederum dessen, was sich tentativ als memetisches Kapital be­zeichnen lässt. Damit ist hier das Wissen um die Strukturierung und den Aufbau eines typischen Internet-Memes zu verstehen; dies wird etwa durch die Verwendung der Schriftart „Impact“ und das Überlagern des Bildes mit Text deutlich, was zum damaligen Zeitpunkt üblich und beliebt für etliche Spielarten memetischen Ausdrucks war.

Abb. 2:
Ein Facebook-Beitrag der von Russland aus gesteuerten Seite „Stop A.I.“ („stop all invaders“) aus der Zeit des US-Wahlkampfes 2016


Abgerufen von https://www.nytimes.com/2017/11/01/us/politics/russia-2016-election-facebook.html (zuletzt geprüft am 14.12.2019).

Das zweite Beispiel (Abb. 2) wiederum setzt eher auf Empörung und zeichnet den muslimischen Teil der Bevölkerung als fremd und andersartig. Es operiert hierbei durch die Reproduktion einer stereotypen Darstellungskonvention aus der medialen Berichterstattung über den Islam. Bei der Bildkomponente des multimodalen Meme-Arrangements handelt es sich um eine Fotografie dreier Frauen in Burka. Ihre durch das Kleidungsstück verdeckten Gesichter sind je mit einem Fragzeichen gekennzeichnet. Der das Bild überlagernde Text lautet im oberen Bereich „Like and share if you want burqa banned in America,“ im unteren Bereich prangt der Slogan „Stop all invaders.“ Der begleitende Beitrag fragt: „Who is behind this mask? A man? A woman? A terrorist? Burqa is a security risk and it should be banned on American soil!“

Wenn man die visuellen und sprachlichen Elemente aufschlüsselt, kann das Bild der Frauen in Burkas als Signifikant für das Konzept des „Othering“ (siehe etwa BRONS 2015) gelesen werden. Die Überlagerung der Gesichter mit Fragezeichen impliziert einen Mangel an Identität und Individualität, was diese Vorstellung weiter verstärkt. Der begleitende Beitrag wiederum evoziert als Signifikant Begriffe wie „Verdacht“ oder „Misstrauen,“ denn er impliziert, dass die Trägerin der Burka ihre Identität oder Absichten verbirgt – welche, wie im obigen Beispiel, mit Vorwürfen des Terrorismus in Verbindung gebracht werden.

Als Ausdruck symbolischer Gewalt verstanden, kann das Meme als Zustimmung zum dominanten Narrativ um die Burka als Symbol der Unterdrückung angesehen werden. Das Meme verstärkt die Vorstellung, dass die Burka ein Symbol des ‚Anderen‘ ist, welches verboten oder eingeschränkt werden muss. Es bestärkt dominante soziale Hierarchien in Bezug auf Geschlecht und Religion. Frauen, welche Burka tragen, werden ihrer Identität, und somit ihrer Individualität und Menschlichkeit beraubt. Als Muslima werden sie durch Mechanismen des „Othering“ von der implizierten Gemeinschaft, für welche das Meme zu sprechen beansprucht, ausgegrenzt; sie werden als (potenziell terroristische) Bedrohung gesehen, als „Eindringlinge,“ welche aufgehalten werden müssen. Ihnen wird die Fähigkeit verwehrt, soziales Kapital besitzen oder nutzen zu können; Muslime und Muslima werden so als sozial isoliert konstruiert. Ähnlich wie das erste Beispiel wird auf der Ebene des Ko-textes durch die Evokation einer dem gegenübergestellten Gruppenidentität – der Accountname „Stop A.I.“, mutmaßlich als Kurzform des Slogans auf dem Meme „Stop all invaders“ impliziert ebenfalls den Anspruch der Mehrstimmigkeit einer Bewegung – die typische populistische ‚Wir gegen Die‘-Rhetorik reproduziert. Für den ökonomischen Kontext gilt bei diesem Beispiel ebenfalls dasselbe: als Produkt strategischer Propagandamaschinerie handelt es sich um einen Übersetzungsversuch von ökonomischem in symbolisches Kapital. Mit Blick auf ein memetisches Kapital operiert dieses zweite Beispiel jedoch anders. Zwar wird auf der Darstellungsebene ebenfalls den damaligen gestalterischen Gepflogenheiten entsprochen – die Schriftart „Impact“ und das Überlagern des Bildes mit Text –, auf der semantischen Ebene wird jedoch noch Wissen um gängige Praktiken der digitalen Plattform Facebook eingeflochten. Der überlagernde Text „Like and share if you want burqa banned in America“ fungiert als Handlungsaufforderung an potentielle Rezipient*innen. Ein solcher Aufruf ist dort üblich und geduldet. Auf anderen Plattformen, etwa Instagram oder Reddit, wäre dies verpönt und würde mangelndes memetisches Kapital erkennen lassen. Es wird deutlich, dass neben gestalterischen Spezifika auch die Anforderungen der jeweiligen digitalen Räume konstitutiv für memetisches Kapital wirken.

Abb. 3:
Ein X-Post (ehemals Twitter) der Account der AfD-Fraktion im Europaparlament

Abgerufen von https://twitter.com/AfDimEUParl/status/1489909423497699331/ (zuletzt geprüft am 06.04.2024)

Bei Abbildung 3 handelt es sich um einen X-Post (ehemals Twitter) der AfD-Fraktion im Europaparlament. Dieses Text-Bild-Arrangement zeigt eine Hand, die in einem augenscheinlich fast leeren Portemonnaie wühlt, wenige Euro-Münzen aus diesem hervorholt. Der umrahmende Text lautet: „Glauben Sie, dass Migration ein Problem für unseren Sozialstaat bedeutet?“ sowie „60 % Sagen ja!“ In der linken unteren Ecke findet sich zudem ein Logo mit der Be­schriftung „INSA Migrationsumfrage“ sowie mutmaßlich menschliche Si­lhou­etten auf einem Boot.

Die von diesen Zeichen evozierten Signifikate oder Konzepte sind Knappheit und die Vorstellung von Migration als Problem. Knappheit soll auf einer visuellen Ebene möglicherweise auch mit Altersarmut in Verbindung gesetzt werden, denn die im Portemonnaie wühlende Hand zeigt Falten. Die dargestellte Situation erzeugt gleichzeitig ein Gefühl der Dringlichkeit; eine Situation, in welcher man Geld aus einem Geldbeutel hervorholen muss, wie etwa beim Einkauf, sollte im Idealfall schnell und reibungslos verlaufen, da ein ansonsten zu erahnender Mangel an ökonomischem Kapital den wahrgenommenen Status schädigen würde. Durch die Darstellung einer solchen Alltagssituation soll das Meme wohl auch eine emotionale Verbindung zum Betrachter schaffen. Der Person mangelt es augenscheinlich an notwendigem ökonom­ischem (i.e., Geld) und sozialem Kapital (i.e., sie wird allein dargestellt). Die recht geringe Identifikationsfläche, welche die fotografisch abgebildete Hand als Index für eine vollständige Person bietet, wird noch von der Identitätslosigkeit der silhouettenhaften Darstellung in der linken unteren Ecke unterboten. Bei den schematischen menschlichen Umrissen von Menschen auf einem Boot handelt es sich um eine Reproduktion verbreiteter Darstellungskonventionen geflüchteter Menschen; die durch das Absprechen von Identität und Individualität intendierte Verwehrung jedweder Form sozialen oder symbolischen Kapitals ist der Darstellungsweise der Muslima in Abbildung 2 nicht unähnlich. Gleichzeitig kontrastieren die so stilisierten Geflüchteten in ihrer anonymen Mehrzahl die als sozial isolierte zu lesende Person in der fotografischen Darstellung. Das Thema Flucht wird mit dem Thema Migration (Textebene) verkettet; in Verbindung mit dem Thema (Alters-)Armut (Fotografie der Hand) wird ein Kausalzusammenhang impliziert. Diese Implikation wird auf der Textebene als „Problem für den Sozialstaat“ aufgegriffen und bestätigt.

Auf der Textebene propagiert das Meme populistischer Logik folgend einen Mehrheitsanspruch („60 % Sagen ja!“); es unterstreicht seine Aussage mit dem Gewicht angeblichen sozialen Kapitals. Kontextuell ist klar, dass dieser Anspruch hier von einer erkennbaren Kommunikationsinstanz gestellt wird, der AfD-Fraktion im Europaparlament. Mit Blick auf sein memetisches Kapital scheint das Meme jedoch ganz und gar nicht mehrheitsfähig zu sein. Es folgt keinen klassischen Darstellungsweisen humoristischer Memes – welche sich auf der Plattform X großer Beliebtheit erfreuen. Dementsprechend wenig soziales Kapital konnte dort akkumuliert werden; mit gerade einmal knapp über 270 Likes und weniger als 80 Reposts wurde es nicht weit verbreitet. Zum Vergleich: dasselbe Text-Bild-Meme, welches ebenfalls auf der Facebook-Seite derselben AfD-Fraktion veröffentlicht wurde[2] erhielt dort über 10.000 Likes und wurde über 2.800-mal geteilt. Anscheinend wurde den Spezifika der Plattform X nicht im gleichen Maße Rechnung getragen. Eine erfolgreiche Übersetzung memetischen Kapitals in soziales Kapital (was in der Logik von Social Media eine bekundete große Reichweite wäre) blieb aus.

Abb. 4:
Ein Post auf der Plattform 9gag

Abgerufen von https://9gag.com/gag/aoggzAm (14.12.2019).

Das nächste Beispiel wurde der dedizierten Meme-Plattform 9Gag entnommen, welche für seine Hinwendung zu stereotypisierenden, diskriminierenden und politisch teils extremen Inhalten bereits akademisch beforscht ist (etwa GUTIERREZ III 2015). Das Meme lässt sich in drei zusammenhängende Bereiche unterteilen, welche ähnlich der Anordnung von Comic Panels zu lesen sind. Im ersten Bereich sieht man ein Bild eines augenscheinlich entspannten oder zufriedenen Mannes in einer Küche nebst einem Screenshot einer Schlagzeile einer Onlinezeitung, „Mehrheit für härtere Asylpolitik.“ Das zweite Segment zeigt denselben Mann, nun mit weit aufgerissenen Augen, möglicherweise ein Ausdruck des Schocks oder der Bestürzung. Diesem ist ebenfalls eine Schlagzeile beigestellt, „Bundesländer bauen wegen starker Zuwanderung ihre Asylkapazitäten aus.“ Schließlich wird im dritten Bereich ein Foto eines anderen Mannes gezeigt, welcher im Freien mit einer Kaffeetasse an einem Tisch sitzt. An dem Tisch hängt ein weißes Schild, dessen ursprünglich auf dem Foto abgebildeter Text mit den Worten „change my mind“ geendet hat. Der Anfang des Originaltexts wurde qua Fotomontage mit dem Text „Wir leben in einer Epoche der Geisteskranken“ überlagert.

Auf der Ebene des memetischen Kapitals operiert das Beispiel mit starkem Wissen um etablierte Praktiken und Darstellungskonventionen innerhalb der Meme-Community 9Gag, indem es zwei etablierte Meme-Formate verkettet. Die ersten beiden Bildsegmente sind gemeinsam zu lesen. Sie folgen der Struktur des Meme-Formats „Joey’s Delayed Reaction,“ welches sich aus den zwei Bildern des ersten Mannes bildet. Hierbei handelt es sich um Ausschnitte aus der TV-Serie Friends. In der zugrundeliegenden zweiten Episode der achten Staffel begreift die Figur Joey Tribbiani, gespielt von Matt LeBlanc, schlagartig, dass sein Freund Ross höchstwahrscheinlich der Vater des noch nicht geborenen Kindes seiner schwangeren Freundin Rachel ist. Dieser Moment der Erkenntnis überkommt ihn plötzlich, weswegen er die Augen so weit aufreißt. Als etabliertes Meme-Format ist mit dieser Darstellungsweise eine klare Leseanweisung verbunden: die entspannte erste Hälfte ist mit zufriedener Ahnungslosigkeit, die zweite erstaunte Hälfte als schockierend und unerwartet zu verstehen. Das dritte abschließende Bildsegment ist eine Variante des „Change My Mind“-Meme-Formats. Es zeigt den amerikanisch-kanadischen Podcaster Steven Crowder in der Nähe des Campus der Texas Christian University. Im zugrundeliegenden Originalfoto, welches Crowder selbst auf seinem X-Account geteilt hat, zeigt das Schild die Aufschrift „Male Privilege is a myth – Change My Mind.“ Es war als herausfordernde, provokative Einladung an politisch Andersdenkende gemeint, sich zu ihm zu setzen und mit ihm zu diskutieren – obwohl sich Chowder mutmaßlich nicht von seinen Ansichten abbringen lassen würde. Mit ebendieser Interpretation wurde die memetische Aneignung der Fotografie vorgenommen. Der auf der Textebene ergänzte Diskussionspunkt soll, mit dem Zusatz „change my mind“ versehen, als unbestreitbar und unwiderlegbar wahr gelesen werden.

Mit diesem Hintergrundwissen lassen sich in den ersten beiden Bereichen zwei multimodale Signifikate bestimmen, das mit Zustimmung zu lesende „Mehrheit für härtere Asylpolitik“ und als schockierend abzulehnende „Bundesländer bauen wegen starker Zuwanderung ihre Asylkapazitäten aus.“ Diese evozieren gemeinsam Themen wie politische Polarisierung und Politikverdrossenheit. Dem populistischer Logik folgend formuliertem Willen der Majorität wird das Handeln politischer Akteur*innen als gegenläufig gegenüber­gestellt. Dieser Widerspruch wird mit dem Kommentar des dritten Segments als „geisteskrank“ bewertet, Politiker*innen dadurch ihr symbolisches Kapitals (Intellekt, Gesundheit) abgesprochen. Diese Wertung wird Mittels sozialen (die textuell evozierte Mehrheitsmeinung) und memetischen Kapitals (das Meme wahrt formal-ästhetische memetische Regeln und gewinnt dadurch an Gewicht und Gültigkeit innerhalb der memetischen Community) untermauert. Im Unterschied zu den vorigen Beispielen spielt ökonomisches Kapital bei diesem Beispiel keine Rolle. Weder wird es auf der Symbolebene als umkämpfte Kapitalsorte verhandelt, noch ist es kontextuell im Entstehungs- und Verbreitungsprozess fundamental gewesen (zumindest soweit sich dies feststellen lässt).

Das Meme operiert mit symbolischer Gewalt, denn es hält die populistischer Rhetorik folgende Vorstellung aufrecht, dass bestimmte Ansichten von Natur aus „richtig“ oder „falsch“ sind. Der symbolische Wert dieser propagierten mo­ralischen Gewissheit wiegelt abweichende Stimmen ab. Darüber hinaus lässt sich argumentieren, dass die Abhängigkeit des Memes von Humor und Ironie die Ernsthaftigkeit und Komplexität des Themenkomplexes Migration verschleiert und die Erfahrungen der von der Migrationspolitik Betroffenen trivialisiert. Die Komplexität wird im memetischen Feld dem memetischen Kapital geopfert, indem soziale und politische Spannungen ausgenutzt und gleichzeitig alterierende Ideologien verstärkt werden.

Abb. 5:
Ein zufälliger X-Post

Abgerufen von https://twitter.com/Tom09303170/status/1482015147002585092/ (zuletzt geprüft am 14.12.2023)

Das letzte Beispiel, welches in diesem Beitrag untersucht werden soll, stammt aus der Zeit der Corona-Pandemie, genauer Januar 2022. In diesem Zeitraum nahm die Anzahl an Neuinfektionen durch die Verbreitung der Omikron-Virusvariante drastisch zu. Das Meme besteht aus einem Bild eines blassen, kränklich wirkenden Mannes, der eine Substanz, welche von einer dritten Hand dargereicht wird, auf einem Löffel mit einem Feuerzeug erhitzt, begleitet von einem umrahmenden Text „Noch einen Booster – Dann hör ich auf!“ Im dazugehörigen Beitrag heißt es: „So ist es!“

Die bildhafte Darstellung referenziert recht eindeutig den Konsum von Drogen. Eine Hintergrundrecherche bestätigt dies: Im Original handelt es sich um eine via Reuters veröffentlichte Pressefotografie, aufgenommen von Dima Korotayev im November 2000, welche einen Heroinabhängigen im russischen Schukowski, 35km südöstlich von Moskau, bei der Vorbereitung einer Injektion zeigt. Auf der Ebene symbolischen Kapitals evoziert die Darstellung als Signifikant so gängige Stereotype und die stigmatisierte Wahrnehmung von Suchtkranken. Der abgebildete Mann dient hier als Projektionsfläche für Krankheit, Hilflosigkeit und mangelnde Selbstkontrolle – und somit auch mangelnde Rationalität. Dies wird durch die zweite Texthälfte verstärkt. Das begleitende Versprechen, „Dann hör ich auf,“ verweist auf eine Unkontrollierbarkeit, eine Sucht, als wäre der Mann nicht in der Lage, sich vom Konsum der Substanz abzuhalten. Der eingeblendete Text „Noch einen Booster“ könnte wiederum, als Wortspiel verstanden, doppeldeutig gelesen werden. Es kann sich sowohl auf eine medizinische Auffrischungsimpfung beziehen als auch auf ein Rauschmittel, das einen „boosted,“ also das subjektive Leistungsvermögen steigert. In Kombination mit der Bildebene erfolgt eine Verkettung der Themen Sucht, Irrrationalität und Krankheit mit Impfungen. Es wird sich auf ironisierende Weise über Auffrischungsimpfungen lustig gemacht, die typischerweise mit Gesundheit und Genesung in Verbindung gebracht werden. So wird nahegelegt, dass Impfungen – ähnlich einer Drogenabhängigkeit – zu einem krankhaften, selbstschädigen Kontrollverlust führen würden. Damit wird sich impfen zu lassen mit einem Verlust symbolischen Kapitals, von Status, und kulturellem Kapital, von Rationalität und Selbstkontrolle, impliziert.

Der Rückgriff auf eine stigmatisierende Darstellung von Suchterkrankungen legt zudem eine damit einhergehende soziale Isolation nahe, also auch auf der Ebene des sozialen Kapitals einen anzunehmenden Verlust (dass, wie im Bild dargestellt, eine andere Person einem Drogen anreicht, ist in diesem Zusammenhang nicht als positives soziales Kapital zu werten). Durch den/die Beitrager­steller*in wird dieses auf der Kontextebene wiederum mutmaßlich beansprucht. Die auf der sprachlichen Ebene ausgedrückte Distanz des rahmenden Beitrages in der Formulierung „So ist es!“ markiert zum einen eine Allgemeingültigkeit der Aussage des Memes. Zum anderen maskiert es den anzunehmenden Entstehungskontext. Es ist nämlich denkbar, dass das Meme vom/von der Beitragstersteller*in in Eigenarbeit erstellt worden ist. Durch eine rückwärtige Bildersuche lässt sich zumindest keine andere Instanz des Memes im öffentlich zugänglichen Internet finden (was freilich einen Ursprung in einer privaten Chatgruppe o.ä. nicht ausschließt). Diese Möglichkeit wird auf der Textebene mangels einer Ich-Formulierung nicht behandelt. Mit Blick auf memetisches Kapital operiert das Meme auf ähnliche Weise wie die ersten beiden Beispiele. Die Verwendung der Schriftart „Impact“ ist noch immer in diversen Meme-Communities verbreitet, dass der Text hier nicht das Bild überlagert, sondern dieses umrahmt, trägt neuerlichen Veränderungen in memetischen Darstellungskonventionen Rechnung. Allerdings wird hier, anders als beim vorigen Beispiel, nicht auf ein etabliertes Meme-Format zurückgegriffen, also auf weithin bekannte Bilder mit einer klar verbundenen Leseanweisung.

Als Beitrag zum Diskurs um das Thema Impfung während der damals anhaltenden Corona-Pandemie kann dieses Meme, im Sinne populistischer rhetorischer Darstellungsmuster, als hochgradig moralisierend und vereinfachend bezeichnet werden. Ein durch Stereotype und Emotionen vorbelastetes Thema, Suchterkrankungen, wird als Vergleichsobjekt in den Diskurs eingebracht, eine Diskussion auf Basis von möglichst objektiven Fakten und bestmöglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen so torpediert.

Fazit: Die Bedeutung symbolischer Gewalt in populistischen Memes

In diesem Beitrag wurden exemplarisch die möglichen Verbindungen zwischen Memes, Populismus, symbolischer Gewalt und Bourdieus Kapitalformen anhand von fünf Fallbeispielen untersucht. In der Analyse ist deutlich geworden, wie wichtig es ist, die Rolle von Memes bei der Gestaltung von Online-Diskursen kritisch zu untersuchen und das Potenzial von Memes als eine Form der gewaltvollen Widerständigkeit, der Reproduktion dominanter, diskriminierender und stereotypisierender Machtstrukturen zu reflektieren. Es hat sich gezeigt, dass Memes hierbei entlang populistischer rhetorischer Strategien verfahren, wodurch ihr Potenzial für die Mobilisierung von Unterstützung für populistische Ideologien sichtbar wird. Soziales, symbolisches, und ein spezifisches memetisches Kapital haben sich dabei als zentral erwiesen. Auf der Ebene des die Beispiele umgebenden Kontexts wird soziales Kapital mithilfe memetischen Kapitals konstruiert. Die Verbreitung eines Memes hängt maßgeblich von der korrekten und der Plattform angemessenen formal-ästhetischen Gestaltung des Memes ab. Auf der Zeichenebene sind soziales und symbolisches Kapital wie­derum Vehikel symbolischer Gewalt. Die Herabwürdigung und Absprache dieser Kapitalformen eines der eigenen (zur Majorität erhobenen) Position entgegengestellten ‚Dies‘ ist hierfür üblich. Dabei wird mitunter mit bereits etablierten stereotypen, diskriminierenden und stigmatisierenden Darstellungskonventionen operiert.

Die Erforschung von Memes und Online-Kultur ist ein Feld, welches sich im steten Wandel befindet. Trotz dieser Herausforderung gilt es, ihre Rolle bei der Gestaltung unserer Online-Diskurse weiterhin kritisch zu untersuchen. Die Reflexion ihres Potenzials zur Ausübung symbolischer Gewalt und eine Systematisierung symbolischer Strategien zur Verhandlung und Verteilung Bourdieu‘scher Kapitalformen sind fürderhin noch nicht abgeschlossen. Dieser Beitrag stellt lediglich einen ersten Ansatzpunkt für ein solches Unterfangen dar. So können Memes nämlich auch als eine Form der demokratisch legitimen Opposition genutzt werden, eine Möglichkeit für marginalisierte Gruppen, dominante Narrative zu untergraben und den Status Quo in Frage zu stellen. Im Kampf um Kapital könnten sie so auch als Mittel des „symbolischen Widerstands“ bedacht werden. Auch wurden Memes in diesem Beitrag lediglich als potenzielle Instrumente symbolischer Gewalt in ihrer Einbettung in gesamtgesellschaftliche Diskurse untersucht. Eingebunden in spezifische soziale Milieus und Gruppen sind ihr jeweiliges symbolisches Gewaltpotenzial sowie relevante Formen von Kapital sicherlich anders zu bewerten (siehe etwa DECOOK 2018); „some memes are not designed to escape their subcultural groups and go viral, memes produced within fringe groups […] are not designed for external consumption“ (MITMAN/DENHAM 2024: 2). Auch gilt es für zukünftige Überlegungen, die technologisch-medialen Affordanzen der jeweiligen Online-Räume, der genutzten Plattformen genauer zu reflektieren und systematisch einzubinden (RECUERO 2024).

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Fussnoten

1 Die offizielle Website, über welche der Kongress die entsprechenden Instagram- und Facebook-Werbeanzeigen veröffentlicht hat, steht heute nicht mehr zur Verfügung, sodass das erste Beispiel der umfangreichen Sammlung zweier US-Forscher entnommen wurde (zu finden unter https://medium.com/@ushadrons (03.03.2024), die eine Vielzahl weiterer Anzeigen von anderen russischen Institutionen und Social-Media-Accounts auf der Plattform „Medium“ zusammengestellt haben, allerdings aus Angst vor Anfeindungen anonym bleiben. Das zweite Beispiel wiederum stammt aus der journalistischen Berichterstattung über die Veröffentlichung der Website.

2 Zu finden unter https://www.facebook.com/AfDimEUParlament/posts/966562590632336 (06.04.2024).


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Citation

Marcel Lemmes: Populistische Memetik: Eine Analyse symbolischer Gewalt in Social Media. In: IMAGE. Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft, Band 40, 7. Jg., (2)2024, S. 205-228

ISSN

1614-0885

DOI

10.1453/1614-0885-2-2024-16432

First published online

Oktober/2024