Von Bernhard Preim und Monique Meuschke
Abstract
Dieses Buchkapitel stellt eine Einführung in die narrative (computergenerierte) Visualisierung dar. Da diese Visualisierungen auf Daten basieren, wird alternativ der Begriff data-based storytelling verwendet. Dieses relativ neue und dynamische Gebiet ist dadurch gekennzeichnet, dass Strategien aus dem Film, dem Theater und der Literatur eingesetzt werden, um Informationen auf interessante Weise aufzubereiten und zu vermitteln. Spezielle Genres der narrativen Visualisierung haben sich etabliert, wie beispielsweise Data Comics, Datenvideos, Slideshows oder das Scrollytelling, das vor allem in den Online-Varianten von Zeitschriften breit eingesetzt wird. Narrative Visualisierung ist für viele Wissenschaftsbereiche relevant und kann einen Beitrag zur Wissenschaftskommunikation leisten. Besonders wichtig sind Wissenschaftsbereiche, die für breite Bevölkerungsschichten von Interesse sind. Dazu zählen die Klimaforschung, die Astronomie, aber natürlich auch die Medizin. Wir diskutieren basierend auf eigenen Erfahrungen vor allem das Design und die Rezeption von narrativen Visualisierungen medizinischer Themen.
This chapter provides an introduction in narrative (computer-generated) visualization. Since data are an essential basis, an alternative term for narrative visualization is data-driven storytelling. This rather new and dynamic subfield of visualization is characterized by the incorporation of strategies from film, theater and literature, to present information in an interesting and engaging way. Special genres of narrative visualization were established, including data comics, data videos, slideshows and scrollytelling which is widely used in the online versions of journals. Narrative visualization may contribute to science communication. This is essential for areas that are relevant for broad audiences, such as climate research, astronomy, but also medicine. Based on our own experiences, we discuss primarily the design and reception of narrative visualizations related to medical topics, such as diagnosis and treatment of diseases.
Einleitung
Die computergestützte Visualisierung beschäftigt sich traditionell damit, wie große Datenmengen effizient dargestellt werden können. Neben abstrakten Daten werden räumliche Daten, z. B. aus der medizinischen Bildgebung, und Flussdaten, z. B. resultierend aus Wettervorhersagemodellen, dargestellt, wobei Genauigkeit und Geschwindigkeit im Vordergrund stehen. Die Nutzer dieser Visualisierungen sind zumeist Experten, die die zugrunde liegenden Phänomene sehr gut kennen und sich in die genutzten Visualisierungstechniken eingearbeitet haben.
In der narrativen Visualisierung geht man gänzlich anders vor: Man geht von Benutzern aus, die nicht über Expertenwissen in Bezug auf die dargestellten Daten verfügen und ebenso wenig über Expertenwissen in Bezug auf Visualisierungstechniken. Man ist vielmehr bestrebt, die Darstellung von Daten in eine interessante Geschichte zu „verpacken“ und dadurch zu motivieren, sich damit zu beschäftigen. Eine Geschichte (story) ist dabei eine Sequenz von Ereignissen, die in einem kausalen Zusammenhang zueinanderstehen. Visualisierungen und die zugeordneten Texte werden vereinfacht gegenüber denen, die man für die Kommunikation mit Experten nutzen würde. Die Interaktion ist eingeschränkt und wird geführt. Der Casual User anstelle des Experten steht im Vordergrund (vgl. Pousman 2007). Narrative Visualisierung – alternativ ist auch der Begriff Visual Storytelling üblich – verknüpft die alte Kulturtechnik des Storytellings mit interaktiven Visualisierungen.
- den semantischen Speicher, in dem Fakten und Relationen abgelegt werden („Rom ist die Hauptstadt von Italien“, „Mailand ist eine Stadt in Italien“) und
- den episodischen Speicher, in dem biografische Ereignisse und andere Geschichten abgelegt werden.
Die Forschung zeigt, dass die Informationen, die in Geschichten eingebettet sind, wesentlich besser behalten werden.
Narrative Visualisierungen sind ein design-orientiertes Gebiet: Die Zielgruppe muss sorgfältig analysiert werden, in Bezug auf Vorkenntnisse und Erwartungen. Sketching und Prototyping spielen eine wesentliche Rolle. Papier und Stift kommen dabei meist intensiv zum Einsatz. Zu den Teams, in denen narrative Visualisierungen entstehen, gehören Interaction Designer und Illustratoren, teilweise auch Journalisten. Narrative Visualisierungen können auf verschiedene Weise generiert und rezipiert werden. Eines der narrativen Genres (vgl. Segel/Heer 2010) ist das Datenvideo, das beispielsweise auf einem passenden YouTube-Kanal verfügbar ist und typischerweise vertont ist, so dass die narrative Absicht des Autors explizit wird. Ein anderes Genre wäre eine Slideshow, beispielsweise in Powerpoint realisiert, bei der Benutzer mehr Möglichkeiten haben, zu steuern, was ihnen präsentiert wird. Anstelle einer strikt linearen Abfolge der Slides wäre eine Struktur möglich, bei der Benutzer sich bei Bedarf ausführlicher über ein Thema informieren können. Data Comics sind in den letzten Jahren als Genre der narrativen Visualisierung populär geworden. Sie haben ein großes Potenzial, um auf unterhaltsame Weise über ein breites Spektrum an Themen zu informieren (vgl. Bach et al. 2018b). Dazu zählt auch die Patientenaufklärung über die Vorbereitung eines Eingriffs und dessen Folgen (vgl. Brand et al. 2019).
Man spricht mittlerweile von Datenjournalisten, die für die Online-Versionen von Zeitschriften Stories erstellen, die eine Vielzahl von interaktiven Visualisierungen beinhalten. Die Corona-Berichterstattung in der Zeit war dafür ein Beispiel. Die Interaktion ermöglicht es, die Darstellung auf interessierende Bereiche, wie den eigenen Wohnort, zuzuschneiden, so dass man sich über die Entwicklung von Fallzahlen, Testquoten und Impfquoten in der interessierenden Region informieren konnte. Die Navigation in einer solchen Online-Story erfolgt im Wesentlichen durch vertikales Scrollen. Für dieses narrative Genre hat sich der Begriff Scrollytelling etabliert (vgl. Seyser 2018).
Abbildung 1: In eine lange Story zu Corona, die regelmäßig aktualisiert und ergänzt wurde, wurden verschiedene Visualisierungen integriert, die den räumlichen und zeitlichen Verlauf der Pandemie veranschaulichen. Die Zeitspanne und die ausgewertete Region wählt der Benutzer. Vielfältige textuelle Information tragen zur Einordnung bei, ZEIT ONLINE mit Daten von Kreis- und Landesbehörden, RKI, DIVI, LMU. Die Klinikaufnahmen des letzten Monats basieren auf einer Hochrechnung, https://blog.zeit.de/fragen/2022/06/13/warum-zeit-online-die-corona-zahlen-nicht-mehr-selbst-erhebt/?wt_ref=https%3A%2F%2Flens.google.com%2F&wt_t=1689853046887
Auch die Weltgesundheitsorganisation nutzt narrative Visualisierungen intensiv. So wird über 50 Gesundheitsthemen, in der Rubrik „facts in pictures“ informiert (Facts in pictures (who.int)). Eine Vielzahl von Infografiken, animierten Infografiken und Photostories macht die WHO ebenfalls verfügbar, um über wichtige Gesundheitsthemen zu informieren (Multimedia [who.int]).
In einem Wissenschaftsmuseum würde man am ehesten einen großen interaktiven Tisch wählen, auf dem eine narrative Visualisierung präsentiert wird und erkundet werden kann. Dieser Tisch könnte in einem Raum stehen, der durch seine ganze Gestaltung den Betrachter in den geeigneten Kontext versetzt, um z. B. die Geschichte einer Ausgrabung, ihrer Ergebnisse und deren Interpretation zu vermitteln. Auch in der Medizin wäre dieses Szenario vorstellbar: Im Foyer eines medizinischen Forschungsinstitutes oder einer Universitätsklinik könnte auf diese Weise über die dort durchgeführten Forschungen informiert werden.
Narrative Visualisierungen haben sich zunächst in den Medien verbreitet. Die Redakteure der Online-Versionen der New York Times und der Washington Post haben dabei Pionierarbeit geleistet. Etwa seit 2010 ist narrative Visualisierung ein dynamisches, weiter wachsendes Forschungsgebiet. Dabei wurde zunächst charakterisiert, wie existierende Stories aufgebaut sind und welche theoretischen Grundlagen und Vorbilder ihnen zugrunde liegen. Narrative Visualisierungen basieren oft auf einem Spannungsbogen, der sich am Drama, also am Theater orientiert. Besonders häufig kommt die Freytags-Pyramide zum Einsatz, die eine Geschichte in fünf Phasen aufteilt (vgl. Yang 2021). Die Freytags-Pyramide ist von dem deutschen Schriftsteller Gustav Freytag 1863 in seinem Buch „Technik des Dramas“ vorgestellt worden, wobei er intensiv auf Vorarbeiten von Aristoteles und Friedrich Schiller aufbaut.
Neben dem Spannungsbogen wird auch belief elication (deutsch: etwa Erhebung des Glaubens) als rhetorische Struktur intensiv genutzt. Dabei sollen Benutzer evtl. auch mehrfach Fragen beantworten, mit denen sie etwas einschätzen sollen („Was glauben Sie, in wievielen Ländern eine Frau, die Regierung leitet?“, „Was glauben Sie, wie stark sich die Bezahlung von Männern und Frauen in einer bestimmten Region oder Branche unterscheidet?“, …). Meist als Multiple Choice-Fragen realisiert und besonders wirksam, wenn die verbreitete Meinung bzw. Einschätzung deutlich von den Fakten abweicht. Ein kürzlich erschienener Übersichtsartikel (vgl. Mahajan et al. 2022) fasst zusammen, wie belief elication im Datenjournalismus genutzt werden kann.
Data Videos nutzen zusätzlich für die Strukturierung und Gruppierung der Story-Elemente Konzepte aus dem Film (vgl. Amini 2015). Wie findet man einen motivierenden Einstieg in das Thema? Wie kann man die Spannung steigern? Welche Konflikte können thematisiert werden? Welche Rolle spielen Protagonisten, z. B. ein Klimaforscher und ein Klimaaktivist in einer Geschichte, die über die Folgen des Klimawandels informiert? Diese und ähnliche Fragen, die typisch sind für den Journalismus, aber auch für das Kino und die Literatur stehen im Zentrum der narrativen Visualisierung.
Abbildung 2: Ausschnitt aus einer narrativen medizinischen Visualisierung, in der über eine Gefäßerkrankung informiert wird. Jedes Slide beginnt mit einer Frage. Die Visualisierungen wurden von einer Illustratorin nach einem einheitlichen Konzept gestaltet, Meuschke, 2022
Narrative Visualisierung ist für viele Wissenschaftsbereiche relevant und kann einen Beitrag zur Wissenschaftskommunikation leisten. Besonders wichtig sind Wissenschaftsbereiche, die für breite Bevölkerungsschichten von Interesse sind. Dazu zählen die Klimaforschung (vgl. Böttinger 2020), die Astronomie (vgl. Ynnerman 2020), aber natürlich auch die Medizin (vgl. a 2022). Die Medizin ist von Interesse, weil Krankheiten teilweise weit verbreitet sind, weil Hinweise zur Vermeidung von Erkrankungen als relevant empfunden werden und weil der medizinische Fortschritt in Bezug auf die Behandlung von Erkrankungen oft als spannend empfunden wird. In diesem Kapitel diskutieren wir die jüngsten Entwicklungen im Bereich der narrativen Visualisierung in der Medizin.
Trends
Seit den ersten narrativen Visualisierungen in online journals sind mehr als 15 Jahre vergangen. Seitdem hat es markante Veränderungen in den eingesetzten Visualisierungen und Interaktionen gegeben. Während in der ersten Phase die Benutzergruppe relativ klein und besonders technologie-affin war, sind immer mehr Benutzer, die zuvor gedruckte Zeitungen genutzt haben, auf Online-Versionen umgestiegen. Damit stieg die Zahl der Benutzer, die die online-Artikel, also auch die datenbasierten Stories, auf einfache Weise konsumieren und nicht aufwändig explorieren wollten. So wurde tendenziell die Vielfalt der Interaktionen stark eingeschränkt, wie der Artikel von Tse [2016] deutlich macht, indem der New York Times-Autor deutlich macht, dass Benutzer tendenziell nur scrollen wollen. Dennoch existieren nach wie vor online stories, die deutlich mehr Interaktionen ermöglichen.
Real-Time Extensions ist eine Variante der datenbasierten Visualisierung, bei der die Daten kontinuierlich aktualisiert und die Visualisierungen automatisch daran angepasst werden. Im deutschsprachigen Raum ist die Corona-Berichterstattung von Zeit Online und noch aktueller Trends zum Gas- und Stromverbrauch bzw. zu den Gasreserven (ebenfalls von Zeit Online) ein Beispiel.
Design-Prozess
Die Erstellung narrativer Visualisierungen erfordert ein Team, in dem ausreichende Design-Erfahrung (visuelles Design, Interaction Design) und ausreichende Programmiererfahrung mit dem nötigen Wissen über das Anwendungsgebiet verknüpft ist. Im Falle von narrativen Visualisierungen in der Medizin wird typischerweise mindestens ein Arzt wesentlich beteiligt sein, evtl. auch Pflegekräfte, Patienten oder Angehörige. Es kann auch hilfreich sein, Journalisten einzubeziehen, insbesondere, wenn sie Erfahrungen in der Wissenschaftskommunikation haben. Journalisten können gut beraten, wie die Aufmerksamkeit gelenkt und gehalten werden kann und somit auch, was ein möglicherweise geeigneter Einstieg in ein Thema ist. Narrative Visualisierungen profitieren von konsistent verwendeten Farben, Fonts und Layouts. In den frühen Phasen sind Papier und Stift besonders hilfreich, um Inhalte und die Storystruktur zu skizzieren und damit diskutierbar zu machen.
Die narrative Absicht
Am Anfang der Entwicklung steht das Nachdenken über die narrative Absicht. Was wollen wir vermitteln? Narrative Visualisierungen in der Medizin können beispielsweise die narrative Absicht verfolgen, über die Risikofaktoren einer Erkrankung aufzuklären, wobei die vermeidbaren Risikofaktoren, also diejenigen, die durch den Lebensstil beeinflussbar sind, im Vordergrund stehen können. Andere typische narrative Absichten wären, über Vorsorgeuntersuchungen aufzuklären oder über innovative Behandlungsmöglichkeiten zu informieren. Unsere medizinischen Kooperationspartner haben mehrfach noch ein anderes Ziel geäußert: Narrative Visualisierungen können im Rahmen einer erweiterten Patientenaufklärung genutzt werden, z. B. so, dass die Patienten besser vorbereitet für das Aufklärungsgespräch mit dem Arzt sind. Patienten sind eine spezielle Zielgruppe: Da sie von der Erkrankung direkt betroffen sind, muss besonders sensibel informiert werden – Risikokommunikation in Bezug auf die mit den Behandlungsvarianten verbundenen Risiken spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Weitere Design-Entscheidungen
Nach der Entscheidung über die narrative Absicht folgen eine Reihe weiterer Entscheidungen, wie beispielsweise:
- Welches Material, z. B. welche Daten, Visualisierungen und Zusammenhänge werden benötigt?
- Wie werden die Bestandteile der Story gruppiert und in eine Sequenz gebracht?
- Welche narrativen Strategien werden eingesetzt?
- Welche Visualisierungstechniken werden verwendet?
- Wie wird die Story personalisiert, z. B. durch Integration eines fiktiven Patienten?
- Wie wird die Story zugänglich und bekannt gemacht?
- Wie können die Nutzer erkennen, ob die Story vertrauenswürdig ist?
Material
Das Material für eine gute Story beinhaltet Konzepte, Bilder, Daten und daraus abgeleitete Visualisierungen, deren textuelle Beschreibungen (Bildunterschriften, Beschriftungen). Eventuell sind auch Animationen hilfreich, um z. B. zu veranschaulichen, wie sich ein Krankheitsherd bildet, wie er wächst und seine Umgebung verändert und wie eine erfolgreiche Therapie dieses Wachstum beendet. Zu den Daten, die häufig verwendet werden, zählen Aussagen über die Verbreitung einer Erkrankung, die Entwicklung der Krankheitslast in den letzten Jahren und besonders betroffene Altersgruppen. Medizinische Bilddaten, z. B. Röntgen-, Ultraschall- oder Computertomographiedaten dienen der medizinischen Diagnose durch Radiologen. Wenn man sie geeignet aufbereitet, also z. B. die krankhaften Strukturen abgrenzt, farblich hervorhebt und mit passenden textuellen Informationen versieht, sind sie auch für die Information der Bevölkerung hilfreich.
Strukturierung.
Wenn das notwendige Material gesichtet wurde, stellt sich die Frage, wie es bestmöglich strukturiert wird. Die passende Struktur ist sowohl von der narrativen Absicht als auch von der Zielgruppe abhängig. Eine entscheidende Frage ist die Reihenfolge, in der die Informationen präsentiert werden (sequencing). Die Reihenfolge muss so gewählt werden, dass die entstehende Geschichte logisch erscheint. Oft wird Aristotoles’ Spannungsbogen, der aus drei Akten besteht genutzt: Nach einer Einleitung, in der die Charaktere und ein Konflikt vorgestellt werden, bewegt sich die Geschichte auf einen Höhepunkt zu, in dem sich der Konflikt verschärft. In einem dritten Akt wird der Konflikt gelöst; die Charaktere sind erfolgreich oder scheitern. In einer medizinischen Story, sind oft ein Patient, evtl. auch seine behandelnde Ärztin die Charaktere. Der Konflikt kann eine Erkrankung sein, die die Lebensqualität beeinträchtigt. Die Erkrankung wird diagnostiziert, Behandlungsmöglichkeiten durchdacht und gleichzeitig schreitet die Erkrankung fort. Auf dem Höhepunkt der Geschichte könnte der Patient operiert werden, wobei die Vorbereitung, vor allem auch die emotionale Situation des Patienten thematisiert wird. Schließlich wird dargestellt, wie der Patient nach der Operation heilt und in sein früheres Leben zurückkehrt. Eine wichtige Frage ist, wie intensiv die Charaktere vorgestellt werden sollten, damit die Betrachter sich tatsächlich mit ihnen verbunden fühlen und so der beabsichtigte Motivationseffekt erreicht wird. Für eine narrative medizinische Visualisierung muss also überlegt werden, welche Hintergrundinformationen über das Leben eines (fiktiven) Patienten oder über die Arbeit einer Ärztin auf welche Weise vermittelt wird.
Wichtig sind auch die Übergänge zwischen den einzelnen Story-Elementen. Verschiedenste Varianten des Ein-, Aus- und Überblendens, wie sie vom Film bekannt sind, kommen dabei in Frage. Die Bestandteile der Story werden zudem gruppiert, also Übergruppen zugeordnet, wie beispielsweise „Vorbeugung“, „Früherkennung“, „Diagnose“. Die wesentliche Bedeutung der Gruppierung und Sequenzierung hat Jessica Hullmann intensiv untersucht (vgl. Hullmann 2011). Für medizinische Stories hat Monique Meuschke ein Template entwickelt, das für die Kommunikation von Erkrankungen breit einsetzbar ist (vgl. Meuschke 2021).
Obwohl die meisten Stories eine strikt lineare Struktur haben, kann es sinnvoll sein in Grenzen davon abzuweichen und den Benutzern somit zu ermöglichen, bei Bedarf vertiefte Informationen zu bekommen. So könnte in einer medizinischen Story bei Bedarf das Bildgebungsverfahren erklärt werden. Danach wird der Benutzer wieder auf den Hauptpfad geführt. In unseren Stories haben wir eine derart „elastische“ Struktur häufig eingesetzt (siehe Abb. 3).
Abbildung 3: Skizzenhafte Erstellung einer narrativen medizinischen Visualisierung. Die Slideshow hat eine elastische Struktur, d. h., von dem linearen Hauptpfad kann an ein einigen Stellen abgewichen werden, Courtesy von Sarah Mittenentzwei, Universität Magdeburg
Narrative Strategien
Mittlerweile existieren umfassende Erfahrungen, wie in narrativen Visualisierungen, Aufmerksamkeit gelenkt werden kann. Bach und Kollegen haben 18 weit verbreitete narrative Entwurfsmuster identifiziert und klassifiziert (vgl. a 2018: 1). Die rhetorische Frage ist ein Beispiel dafür und auch in der Medizin oft sinnvoll („Warum Krebs heute oft heilbar ist?“ „Wie das Immunsystem gestärkt werden kann?“ sind Beispiele für derartige rhetorische Fragen). Vergleiche, die der Einordnung dienen und einen Referenzrahmen setzen, sind ein weiteres Entwurfsmuster, das der Argumentation dient. Den Benutzer etwas raten zu lassen, dient dem Engagement des Benutzers und zugleich dem framing, also um einen Rahmen zu setzen und so bestimmte Erwartungen zu wecken. Emotionalität und Engagement werden gezielt gesteigert, wenn Benutzer etwas auf sich zuschneiden können („How many households are like yours“ – ist der Titel einer bekannten Geschichte der New York Times).
Abbildung 4: Die Länder der Welt sind in Bezug auf die mittleren Einkommen und die Lebenserwartung dargestellt. Die Farben repräsentieren die Kontinente und die Größe der Kreise die Bevölkerung, so dass die großen asiatischen Länder hervorgehoben erscheinen. Nur noch wenige Länder haben eine Lebenserwartung, die unter 60 Jahren liegt. Für eine narrative Visualisierung ist dies recht komplex. Man könnte die Länder schrittweise in einer geeigneten Reihenfolge einblenden, um die Verständlichkeit zu verbessern (Screenshot von GapMinder), Wikipedia, Creative Commons – Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Gapminder
Visualisierungstechniken
Für die narrative Visualisierung kommen vor allem einfache und relativ weit verbreitete Visualisierungstechniken in Frage, so wie die in Abb. 1 verwendeten Timelines, kartographische Darstellungen oder einfache Diagrammtypen. Verbreitet sind auch Streudiagramme (Scatterplots), die zeigen, wie sich Daten in einer abhängigen Dimension (z. B. Körpergewicht) und einer unabhängigen Dimension (z. B. die Zeit) gegenüberstehen, so dass Trends erkennbar werden. Für die narrative Visualisierung werden die Trends in solchen Scatterplots oft explizit hervorgehoben (Darstellung der Trendlinie, also der geraden Linie, die am besten zu den Daten passt). Die Darstellung kann auch animiert werden, so dass z. B. erkennbar wird, wie sich in den Ländern der Welt „Einkommen“ und „Lebenserwartung“ verändert haben. Solche animierten Scatterplots sind vor allem von Hans Rosling intensiv eingesetzt worden, der in seinen Vorträgen, basierend auf umfangreichen Datensammlungen über den Fortschritt in vielen Lebensbereichen in fast allen Ländern der Welt informiert hat. Sein GapMinder macht diese Datensammlung interaktiv verfügbar und ist auf breite Benutzergruppen zugeschnitten (Abb. 4). Seine narrative Absicht war es dabei, darauf hinzuweisen, dass die Entwicklung oft viel positiver ist, als es die Menschen annehmen. Auch für narrative medizinische Visualisierungen sind derartige Scatterplots breit anwendbar, um aufzuzeigen, wie bestimmte Faktoren des Lebensstils (Bewegung, Rauchverhalten, Alkoholkonsum, …) mit dem Auftreten von Erkrankungen korrelieren, um so auf vermeidbare Risiken hinzuweisen.
Günstig ist es, wenn die Visualisierungen nicht zu allgemein sind, weil sehr allgemeine Darstellungen, wie z. B. Balkendiagramme, leicht vergessen werden (vgl. Kosara 2016). Visualisierungen, die spezifisch für die Daten sind, z. B. die auf Otto Neurath zurückgehenden ISOTYPE-Visualisierungen, werden besser behalten. So bieten sich Piktogramme von Menschen an, um die Häufigkeit von Erkrankungen darzustellen. Nach der Auswahl der Basisvisualisierungen ist eine geeignete Annotation wichtig. So ist in Abbildung 1 (Corona) der „Beginn der Herbstwelle“ beschriftet. Die Hervorhebung von Maximalwerten oder Referenzwerten, z. B. unteres und oberes Ende des Normalgewichtsbereiches, erleichtern die Interpretation. Oft ist es empfehlenswert, eine komplexere Grafik und dazugehörige Annotationen schrittweise aufzubauen, anstelle sie im Ganzen einzublenden.
Personalisierung
Personalisierung ist im Journalismus generell ein erfolgreiches Konzept, um Betroffenheit oder andere empathische Gefühle zu wecken und dadurch Leser stärker einzubeziehen. Die am Anfang des Kapitels erwähnte Zeit-Story zu Corona hat darauf verzichtet und sehr objektiv, konsequent faktenbasiert über die Pandemie informiert. Eine Personalisierung könnte Ärzte einbeziehen, die verstärkt Schutzkleidung tragen müssen und unter großem Zeitdruck eine wachsende Zahl von schwerkranken Patienten behandeln, oder sie könnte Patienten mit ihren Symptomen und ihren Ängsten zeigen oder die Angehörigen, die aufgrund der Eindämmungsmaßnahmen kaum Kontakt zu den erkrankten Familienangehörigen hatten. Insofern kann eine geeignete Personalisierung ein mächtiges Mittel sein, um die narrative Absicht zu erfüllen, z. B. aus Sicht der Politik Menschen für die Corona-Impfung zu gewinnen. Kritisch könnte man einwenden, dass auf diese Weise nicht mehr primär objektiv informiert wird, sondern die Leser gezielt manipuliert werden sollen.
Vertrauenswürdigkeit
Auch breite Bevölkerungsschichten haben oft ein Gespür dafür, ob sie einem Beitrag vertrauen können oder nicht. Dass die Pharmaindustrie, die Medizintechnikbranche und die Ärzteschaft nicht nur das Wohl des Patienten, sondern auch ausgeprägte wirtschaftliche Interessen haben, ist bekannt. Die narrative Absicht, Patienten zur Teilnahme an Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen zu bewegen, könnte also als primär wirtschaftlich motiviert, empfunden werden. Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, nicht zu stark zu vereinfachen, indem einseitig über die Vorteile der medizinischen Maßnahmen informiert wird. Große Sorgfalt ist nötig, um zuverlässige Daten zu verwenden und auch bei deren Interpretation einen Bias zu vermeiden. Die Herkunft (provenance) der Daten sollte kommuniziert werden. Ebenso sollte klar sein, ob die Daten für die Aufbereitung der Story verändert wurden und wenn ja von wem und mit welchen Zielen. Steht ein renommierter Mediziner, z. B. ein Klinikdirektor, für diese Geschichte ein? Das wäre der Vertrauenswürdigkeit dienlich und sollte kommuniziert werden. Auch in anderen Bereichen der narrativen Visualisierung wird das Thema der Vertrauenswürdigkeit diskutiert (vgl. Böttinger 2020; Ynnerman 2020).
Evaluierung
Zum Designprozess gehört die Evaluierung als integraler Bestandteil. Narrative Visualisierungen werden in verschiedenen Stadien erprobt, um zu testen, inwiefern die Inhalte verständlich sind, die gewählten narrativen Entwurfsmuster zur Motivation beitragen und ob die Story insgesamt stimmig ist. Der Wissensgewinn, also die Differenz des Wissens vor und nach Betrachtung der Story, ist ein häufiges Evaluierungskriterium. Allerdings ist zu befürchten, dass das gewonnene Wissen, was sich unmittelbar nach Nutzung der Story beobachten lässt, schnell verloren geht, wenn die Benutzer nicht stark motiviert gewesen sind. Insofern beschäftigen sich Evaluierungen narrativer Visualisierungen auch damit, dass Engagement der Benutzer einzuschätzen.
Neben dem inhaltlichen Wissen ist auch interessant, ob sich die Benutzer an die gezeigten Inhalte erinnern (memorability). Schließlich kann man erfragen, ob Benutzer einen Impuls verspüren, etwas zu verändern, beispielsweise in Bezug auf gesunde Lebensführung oder Vorsorgeuntersuchungen, wenn die narrative Absicht darin bestand, darüber zu informieren. Einleitend hatten wir erläutert, wie sehr die Techniken der narrativen Visualisierung sich von denen der klassischen computergestützten Visualisierung unterscheiden und dies gilt auch für deren Evaluierung. Die in der klassischen Visualisierung genutzten Evaluierungskriterien (Wie schnell sind die Benutzer bei der Erledigung bestimmter Aufgaben? Wie präzise sind sie dabei?) sind in der narrativen Visualisierung irrelevant (siehe Preim 2018) für eine Diskussion von Evaluierungen in der medizinischen Visualisierung).
Beispiel: Narrative Visualisierung von Blutflussdaten im Zusammenhang mit einer Erkrankung der Herzklappen
Beispielhaft stellen wir im Folgenden kurz eine visuelle Story vor, die dazu dient, über eine häufige angeborene Herzerkrankung und ihre Behandlung zu informieren. Die Story ist in enger Kooperation mit dem Herzzentrum Leipzig entwickelt worden, da die entsprechende Erkrankung dort häufig behandelt wird. Konkret geht es um eine krankhaft veränderte Herzklappe, die Aortenklappe, die bei gesunden Personen aus drei Klappensegeln besteht. Die krankhafte Veränderung betrifft das Verwachsen der Klappensegel, so dass nur zwei Segel vorhanden sind. Dies führt dazu, dass sich der Blutfluss verändert und Verwirbelungen auftreten, die zu einer starken Belastung der Gefäßwand führen können, so dass sich diese ausbeult. Damit sind verschiedene Risiken verbunden bis hin zum Platzen der Aorta – eine Situation, die die wenigsten Patienten überleben.
Abbildung 5: Illustration einer gesunden Aortenklappe (AV), bestehend aus drei Klappensegeln im Vergleich zu einer krankhaftveränderten Aortenklappe. Hierbei handelt es sich um die sog. Bikusbide Aortenklappe (BAV), wobei zwei der drei Klappensegel verschmolzen sind, Kleinau, 2022
Zusammengefasst lässt sich die narrative Absicht so beschreiben: Wir wollen über die Folgen eines häufigen angeborenen Herzfehlers unter besonderer Berücksichtigung des Blutflusses berichten. Diese narrative Absicht ist auch dadurch begründet, dass in einer langjährigen Kooperation mit dem klinischen Partner umfangreiche Erkenntnisse und Erfahrungen vorhanden sind. Insbesondere ist die Software BloodLine entstanden, mit der Blutflussdaten dargestellt, qualitativ und quantitativ ausgewertet werden können, wobei die Erkennung und Klassifikation von Verwirbelungen einen Schwerpunkt einnimmt (vgl. Köhler 2019). Damit ist nicht nur ein konzeptionell wichtiger Hintergrund vorhanden, sondern die gewünschten Inhalte, also geeignete Visualisierungen und 3D-Modelle lassen sich mit BloodLine aus klinischen Bilddaten generieren. Die Story ist in zwei Varianten verfügbar, zum einen als Slideshow (Powerpoint) und zum anderen als lange vertikal aufgebaute Geschichte, durch die mittels Scrollytelling navigiert werden kann. Im Folgenden wollen wir ausgewählte Fragen und dazugehörige Antworten beschreiben.
• Wie können wir die Geschichte interessant einleiten?
• Wie personalisieren wir die Beschreibung?
• Wie vermitteln wir den Blutfluss und seine Varianten?
• Wie vermitteln wir die Gefährlichkeit bestimmter Varianten des Blutflusses?
Einleitung
Wir wollten die Story mit einem attraktiven statischen Bild beginnen, wobei eine rhetorische Frage als Titel verwendet werden sollte. Die beteiligten Institutionen sollten genannt werden um eine gewisse Glaubwürdigkeit zu erreichen. Abb. 6 zeigt verschiedene Versionen, einschließlich der final verwendeten. Die rhetorische Frage basiert auf einer Diskussion mit dem klinischen Partner darüber, wie er Patienten die Erkrankung, den Schweregrad und die damit verbundenen Gefahren vermittelt. Auch wenn es uns nicht direkt um die Patientenaufklärung geht, scheint uns diese Situation ähnlich zur Wissenschaftskommunikation insofern, als dass kein medizinisches Wissen vorausgesetzt werden kann. Stark verwirbelten Blutfluss charakterisiert der medizinische Experte dabei als etwas, was einem Tornado ähnelt und von dem wisse man ja, dass er gefährlich sei. Der bekannte Tornado wird als Metapher eingesetzt, um eine prominente Verwirbelung im Blut zu erklären. Die gesamte Story, bei der die Freytags-Pyramide zur Strukturierung eingesetzt wird, ist in Abbildung 7 dargestellt.
Abbildung 6: Entwicklung der Titelfolie. Die rechte finale Variante nutzt eine rhetorische Frage, Illustrationen und eine aus klinischen Daten abgeleitete Blutflussvisualisierung, Kleinau, 2022
Personalisierung
Das Icon des Patienten ist geschlechtsneutral, ebenso wie der Name „Alex“. Dies ist dadurch motiviert, dass dieser Herzfehler ähnlich häufig bei Frauen und Männern auftritt. Der abstrakte Charakter anstelle eines Fotos soll es zudem dem Betrachter erleichtern, einen Bezug herzustellen. Wenn das Foto, z. B. hinsichtlich Geschlecht, Figur, Haarfarbe oder Alter sich deutlich von der eigenen Person unterscheidet, wäre dieser Bezug schwieriger.
Abbildung 7: Übersicht über die narrative Visualisierung zu einem angeborenen Herzfehler. Die Struktur entspricht der Freytagspyramide mit einem Höhepunkt, in dem die Behandlung erklärt wird. Zwei Slides (in der ersten und dritten Phase) sind optional, Kleinau, 2022
Vermittlung von Blutfluss. Blutfluss ist eine komplexe Information. Für jeden Raumpunkt im Gefäß liegt ein Vektor vor, der beschreibt, in welche Richtung und in welcher Stärke das Blut fließt. Zudem ist der Blutfluss zeitabhängig, d. h. er ändert sich über den Herzzyklus. Der Blutfluss allein ist kaum verständlich und wird daher zusammen mit der Anatomie des Gefäßes dargestellt. Die Zeitabhängigkeit kann man vereinfachen, indem man einen oder zwei repräsentative Zeitpunkte auswählt. Die Darstellung der Flussinformation kann vereinfacht werden, indem man den Fluss nur in den Bereichen darstellt, in denen eine gewisse Mindestgeschwindigkeit erreicht wird. Anstelle pro Raumpunkt einen Vektor darzustellen, wird die Flussinformation integriert. So entstehen Stromlinien, die den Fluss in einem längeren Verlauf zeigen. In Stromliniendarstellungen, die für Experten generiert werden, wird die Geschwindigkeit des Flusses auf die Farbe abgebildet. Dies ist in der Strömungsmechanik so verbreitet, dass es intuitiv verstanden wird. Unsere Evaluierung hat klar gezeigt, dass diese Farbwahl für ein breites Publikum verwirrend ist. Wir haben uns daher entschieden, den Fluss einfarbig darzustellen (siehe Abb. 8).
Abbildung 8: Blutflussvisualisierung für einen gesunden Probanden, einen leicht erkrankten Patienten und einen schwer erkrankten Patienten, bei dem eine massive Verwirbelung die Stabilität der Gefäßwand beeinträchtigt, so dass das Gefäß stark verbreitert ist. Die Darstellung ist in verschiedener Hinsicht vereinfacht, um die Interpretation durch Laien zu erleichtern, eigene Darstellung
Erkenntnisse
Bei der Überarbeitung der Geschichte haben wir eine Vielzahl von Modifikationen vorgenommen, die dem Ziel dienten, die Komplexität zu reduzieren und damit auch die Länge der Geschichte sinnvoll zu begrenzen. Wir wollten zunächst auch die Unterschiede im Blutfluss zwischen jüngeren und älteren Personen veranschaulichen, auch um zu vermitteln, dass die Unterschiede zwischen normaler Alterung und krankhafter Veränderung oft gering sind. Dies haben wir ebenso weggelassen, wie eine Erklärung der physikalischen Prinzipien der Bildgebung. Die Wirkung der Geschichte auf die Zielgruppe, also ein breites Publikum ohne medizinische Vorkenntnisse haben wir bei der Langen Nacht der Wissenschaften an der Universität Magdeburg im Juni 2022 getestet. 24 Personen (Altersspanne 8-57 Jahre), überwiegend mit einer höheren Bildung haben sich die Geschichte angesehen und im Nachgang Fragen beantwortet, so dass erfasst werden konnte, was behalten wurde. Die Geschichte wurde ausführlich von Anna Kleinau und Kollegen beschrieben (vgl. Kleinau 2022).
Zusammenfassung
Das Gebiet der narrativen Visualisierung basiert auf gut durchdachten Geschichten, die für ein breites Publikum aufbereitet werden. Ästhetische Visualisierungen, deren Komplexität begrenzt ist und einfache Interaktionsmöglichkeiten sind prägend für die narrative Visualisierung. Visualisierungen werden sorgfältig mit Annotationen angereichert: Pfeile, Beschriftungen und Bildunterschriften sind Beispiele für diese Annotationen. Narrative Visualisierungen, sowohl in Form von online-Artikeln als auch in Form von datenbasierten Videos, haben sich in den letzten Jahren stark verbreitet: Die Berichterstattung über die großen Probleme unserer Zeit – Ukraine-Krieg, Corona-Pandemie und Klimawandel – basieren stark auf interaktiven Visualisierungen, die räumliche und zeitliche Entwicklungen anschaulich machen, wobei Benutzer z. B. Regionen oder zeitliche Intervalle auswählen können.
Im Bereich der Medizin ist die Patientenaufklärung eine wichtige Inspiration für die narrative Visualisierung: Die direkte Kommunikation von Ärzten mit Patienten unter Nutzung vereinfachter Begriffe und geeigneter Metaphern kann Vorbild dafür sein, wie medizinische Inhalte für ein breites Publikum aufbereitet werden können. Online-Redaktionen von Zeitschriften, wie Die Zeit und Focus, sowie Fernsehsender informieren intensiv über medizinische Themen und experimentieren dabei mit verschiedenen Formaten. Die generierten Stories unterscheiden sich teils erheblich im Medieneinsatz, in den Interaktionsmöglichkeiten und auch in der Länge der generierten Geschichten.
Narrative Visualisierungen medizinischer Sachverhalte können die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung steigern. Dafür sind interessante Geschichten wichtig, denen zuverlässige Informationen zugrunde liegen müssen. Eine Personalisierung durch Integration fiktiver Patienten ist vorteilhaft (vgl. Mittenentzwei 2023).
Aus Sicht der Informatikforschung sind wiederverwendbare Strategien und Softwarekomponenten von Interesse. Aktuell erforschen wir medizinische 3D-Visualisierungen und geführte 3D-Interaktionen, damit Benutzer anatomische Strukturen besser kennenlernen können. Uns interessiert auch, ob wir die Motivation und Wirkung von narrativen Visualisierungen durch gamification steigern können, also z. B., indem wir quiz-artige Elemente einbauen. Zu den wichtigen Forschungsfragen gehört, wie man eine Story, die für ein Medium vorbereitet wurde, z. B. für die Betrachtung auf dem Smartphone, weitestgehend automatisch transformieren kann, so dass sie auf einem anderen Medium betrachtet werden kann. Unterschiede in der räumlichen Auflösung, in den Interaktionsmöglichkeiten, aber auch Konventionen, die an das jeweilige Medium gebunden sind, machen diesen Prozess herausfordernd.
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Citation
Bernhard Preim; Monique Meuschke: Narrative Visualisierung in der Medizin. In: IMAGE. Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft, Band 38, 19. Jg., (2)2023, S. 94-112
ISSN
1614-0885
DOI
10.1453/1614-0885-2-2023-15739
First published online
Oktober/2023