Fiktionale Immersion zwischen Ästhetik und Anästhesierung

Von Christiane Voss

Der Text wirft die Frage auf, inwieweit gängige Formen der immersiven Filmrezeption durch philosophische Theorien ästhetischer Erfahrung einholbar sind. Die seit Adorno bestehende Tendenz in der deutschsprachigen Ästhetik, das Reflexionspotenzial und die damit einhergehende Distanzierung der anteiligen Erlebnisaspekte an ästhetischen Erfahrungen hervorzuheben, hat innerhalb der philosophischen Ästhetik zu einer generellen Skepsis gegenüber der Sinnlichkeit geführt, die es zu revidieren gilt. Im Anschluss an die Erfahrungsästhetik John Deweys wird die von ihm vorgeschlagene Polarisierung der Begriffe des Ästhetischen und Anästhetischen einer Neubewertung unterzogen. Sofern Immersionen stets auch anästhesierend wirken, ist es trotz vieler Übereinstimmungen mit dem, was Dewey als ästhetisch ausweist, fraglich, ob sich dieser Erlebnistyp als ästhetischer qualifizieren lässt. Zu einer Neubestimmung des Verhältnisses von Ästhetik und Anästhetik kommt es in der postmodernen Ästhetik – z. B. bei Wolfgang Welsch. Doch auch die postmoderne Verteidigung einer ›Ästhetik des Anästhetischen‹, so die Kritik, bleibt implizit einer Skepsis gegenüber allem Aisthetischen verpflichtet. Mit Bezug auf immersive Formen der Filmrezeption plädiert die Autorin im Anschluss an ihre Kritik für eine Lesart, wonach diese sehr wohl als ein repräsentativer Modus ästhetischer Erfahrung ausweisbar werden. Insbesondere die aisthetischen Facetten der Reaktionen auf Filme, z. B. synästhetische Reaktionen, führten zu einer Verkörperung und Verlebendigung des Filmgeschehens. Da diese Verlebendigung weder den Zuschauer noch das Leinwandgeschehen unverändert lasse, erweise sich dieser aisthetisch transformierende Prozess als objektkonstituierend. Von dorther werde allererst der dynamische Zwischenraum zwischen screen und Betrachter zum eigentlich ästhetischen Erfahrungsraum des Filmischen.

The text poses the question whether philosophical theories of aesthetic experience may be applied to phenomenas of immersive film reception. Since Adorno, the aspects of reflectivity and emotional distance figure as the dominant and favoured features of aesthetic experience, at least in the context of (German) philosophical aesthetics. This tendency in philosophy reveals a problematic sceptical attitude and even neglection of the aisthetic and carnal aspects in and of aesthetics. That point of view should be critically reexamined. Referring to the American pragmatist John Dewey and his theory of aesthetic experience, especially his notion of ›anaesthetics‹ becomes important. Since Dewey uses this latter term as an antonym of ›aesthetic‹, and given the further fact that immersions always include anaesthetic, perceptual effects, filmic immersion may not be qualified as being a token of aesthetic experience. At least this would not be on par with Dewey’s argumentation. In alleged opposition to that, postmodern aesthetics, as represented by the german philosopher Wolfgang Welsch, appreciate the notion of anaesthetics. Welsch argues even in favour of an ›aesthetic of anaesthetic‹. But this claim can be shown to be self-contradictory because even Welsch sticks to an implicit scepticism towards carnality and anaesthetic aspects of perception. To be able to reevaluate the normative function of aistheis for aesthetics, neither Dewey nor Welsch is of any help.