Von Helge Meyer
Schmerz zu haben ist eine körperlich empfundene Gewissheit, von Schmerz zu hören kann jedoch, nach Aussagen von Elaine Scarry, als Synonym für Zweifel schlechthin gelten. Die Empfindung von körperlichem Schmerz ist prinzipiell nicht nach außen zu vermitteln. Einzig die Zeichen des Schmerzes, die Wunden, sind als Bild wahrnehmbar, sagen aber nichts über das Phänomen der Schmerzempfindung aus. In meinem Dissertationsvorhaben gehe ich jedoch von der These aus, dass die Kunstform der Performance imstande ist, Bilder für Schmerz (sei er physisch oder psychisch) zu entwickeln und diese einem Betrachter »nahe« zu bringen. Der körperliche Schmerz wird in vielen Performances nicht nur in Kauf genommen, sondern regelrecht herausgefordert. Die Verwendung von schmerzhaften Handlungen dient hier zur Produktion eines Bildes, aber auch zur Herstellung von ekstatischen Grenzzuständen bei den Performern und teilweise auch beim anwesenden Publikum. Der Hirnforscher Christian Keysers geht in seiner »Spiegelzellen – Theorie« davon aus, dass es Hirnareale gibt, die Mitgefühl beim Betrachten eines schmerzvollen Bildes auslösen können. Nach Keysers sind die ausgelösten Gefühle beim Betrachter exakt dieselben wie beim tatsächlich körperlich empfindenden »Opfer«. Meine Arbeit untersucht die verschiedenen Herangehensweisen einzelner Künstler unter dem Aspekt des »Schmerz-Bildes«. Hierbei spielen Performances von langer Dauer (wie bei Alastair MacLennan, Marina Abramovic etc.) ebenso eine Rolle wie kurze, präzise Bilder von körperlicher Selbstverletzung (wie bei Jamie McMurry, Zbiegniew Warpechowski etc.). Durch Analysen der produzierten Bilder der Performer und Verknüpfungen dieser Arbeiten mit Theorien aus den unterschiedlichsten Disziplinen (Philosophie, Psychologie und Medizin), erhoffe ich mir eine Unterstützung meiner Grundthese: Performance Art ist dank ihrer unmittelbaren Bildproduktion vor einem live anwesenden Publikum imstande, eine nachvollziehbare Darstellung von körperlichem und seelischem Schmerz zu liefern.
Feeling pain is a personal physical experience, but according to Elaine Scarry, hearing about pain can be treated as synonymous with doubt. The experience of physical pain itself cannot be communicated to the outside world. Although the wounds as signs of pain are visible to the observer, they cannot convey the phenomenon, the sensation of pain, per se. In this thesis I will claim that by using performance as an art form it is possible to develop images of pain, both physical and psychological, and to communicate these images to an observer. Physical pain is often not only accepted as part of a performance but an integral, challenging component of it. Painful actions are used to produce images as well as to induce borderline states of ecstasy in the performers and to some degree in the audience. Christian Keysers’ mirror cell theory claims that there are areas of the brain that can trigger empathy when painful, gruesome images are observed. According to Keysers, the observer’s empathic feelings directly match those of the physical victim. In my work I investigate different artistic approaches that deal with images of pain such as temporally long performances (Alastair MacLennan, Marina Abramovic, et al.) as well as short and sharp images of self-inflicted wounds (Jamie McMurry, Zbiegniew Warpechowski, et al.). By analyzing the images produced by these performers and by connecting their works to theories from diverse fields such as philosophy, psychology, and medicine, I will back up my main thesis: The immediate production of images in front of a live audience enables performance art to generate a believable representation of physical and emotional pain.